Die meisten von uns sind froh, dass sie nicht noch einmal in die Abi-Klausuren müssen. Das gilt wohl für Mathe in besonderer Weise. Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernten wir. Und die Zeiten scheinen eher härter zu werden. Wer als heutiger Abiturient alle Prüfungsfragen meistert, ist für das Berufsleben ideal vorbereitet – sollte er sich je mit den Rätseln der Politik befassen müssen.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bereitet den Apothekern seit Monaten Kopfzerbrechen. Als allen längst klar ist, dass er das Rx-Versandverbot nicht will, bietet er an, es zu versuchen. Aber dann hätte er leider keine Kraft mehr, über etwas anderes nachzudenken. Erste Aufgabe: Bestimmen Sie den Wert des Koalitionsvertrags.
Dann dachte Spahn gemeinsam mit ABDA-Präsident Friedemann Schmidt über eine Boni-und-Marktanteils-Obergrenze für ausländische Versender nach und versprach den Apothekern mehr Geld (für mehr Leistung). Zweite Aufgabe: Rechnen Sie aus, wie lange Sie mit 375 Millionen Euro als Branche überleben können.
Die Zahl unter dem Strich war zu klein, also passte Spahn die Gleichung an: Weniger Geld, dafür ein Boni-Verbot im SGB V. Schmidt und sein Cosinus Fritz Becker dachten kurz, sie hätten die Lösung, aber dann wiesen Dr. Mand auf das Problem mit der Nulldivision im Arzneimittelgesetz und Dr. Kevekordes auf das Reinheitsgebot hin und die Zustimmung versiegte auf der ABDA-MV. Dritte Aufgabe: Ein Rosenverkäufer in Luxemburg kommt in eine Kneipe. An einem Tisch sitzen drei Richter. Welche Haarfarbe hat der Kellner?
Falls Sie ernsthaft Interesse an aktuellen Abituraufgaben und die Beschwerden über die Schwierigkeit der Prüfungen vernommen haben, können Sie sich hier selbst testen. Der Jahrgang 2019 hatte mit der Pharmazieaufgabe seine liebe Mühe. Die Lösung finden Sie nicht am Ende dieses ApoRetrOs.
Aber zurück zu den Rätseln der Apotheker. Nachdem sie Spahns Briefschock überwunden und sich bei der Sondersitzung wieder versammelt hatten, traf man sich in dieser Woche beim DAV-Wirtschaftsforum wieder. Auf die Frage des Moderators, wer schon mehr als zehnmal der Veranstaltung beigewohnt hat, gingen mehrere Dutzend Hände in die Höhe. Das wurde aber nicht als Nachwuchsproblem der Standesorganisationen missinterpretiert, sondern der großen Qualität der Veranstaltung in Rechnung gestellt.
In seinem Lagebericht wiederholte DAV-Chef Fritz Becker seine Zweifel an Spahns neuer Boni-Idee, die Apotheker bangen um die Gleichpreisigkeit. Aber er mahnte auch, dass so eine Gelegenheit zur Vergütung neuer Dienstleistungen vielleicht so bald nicht wieder kommt. Später warnte CDU-Politiker Michael Hennrich bei der Podiumsdiskussion die Apotheker davor, sich nicht zu sehr auf § 78 Arzneimittelgesetz zu kaprizieren.
Wie ernst die Situation andererseits für viele Apotheker schon heute ist, wurde bei der Präsentation der Zahlen klar. Die Erträge fallen auf das Niveau des Horror-AMNOG-Jahres. Ein Easy-Apotheker spart sogar schon die Kassiererin ein, sehr zur Freude seiner Systemzentrale. Zeit zum Grübeln und Jammern bleibt nicht: Die ABDA hat ihre Stellungnahme zu Spahns Apothekenstärkungsgesetz abgeschickt: Keine Lieferdienste, keine Abholfächer, keine Rezeptmakler. Dafür wurde parallel das eigene Konzept für ein E-Rezept vorgestellt und eine App will die ABDA jetzt auch stricken.
Verbündete sind allerdings rar: Nur der BAH kämpft an der Seite der Apotheker, die Großhändler (die seit dieser Woche endlich ihre ersehnte Rabattsperre im Gesetz haben) setzen sich wenigstens dafür ein, dass die Versender sich auch um die Temperaturkontrolle sorgen müssen. Vierte Aufgabe: Wenn es in einem DHL-Laster 18 Prozent wärmer ist als draußen, was machen 34° Celsius mit temperaturempfindlichen Weichkapseln?
Die Ärzte sind gegen Impfungen in der Apotheke und Dauerrezepte. Vom unergründlichen Hass auf die Apotheker getrieben, beschweren sich die Krankenkassen über alles, was den Apothekern irgendwie helfen könnte. Und weil die Stellungnahme des GKV-Spitzenverbandes dazu offenbar nicht reicht, hat der AOK-Bundesverband das Ganze auch noch weggeschickt. Nur die TK schert aus und möchte mit den Apothekern gern Verträge schließen. Alle Kassen freuen sich aber, dass Spahn das Rx-Versandverbot nicht weiter verfolgt.
Die CSU findet das schade, die Bayern hätten es wenigstens gern versucht. Nur: Der Abgeordnete Bernhard Seidenath musste erkennen, dass die Apotheker selbst nicht mehr daran glauben. Und „zum Jagen tragen“ wolle man die Apotheker auch nicht. Das Dilemma der ABDA der vergangenen Monate lässt sich kaum besser zusammenfassen. Apotheker W. Schmidt kehrt der CDU nach 40 Jahren den Rücken und ist bereit, an der Basis auch noch ein bisschen Anti-Wahlkampf zu machen.
Wie das mit dem Protest geht, haben die Kollegen in der Schweiz gezeigt: Alle in Schwarz gearbeitet und sogar einen Sarg vor die Apotheke gestellt. So kommt man zumindest mit den Leuten ins Gespräch.
Wenn man ansonsten im Alltag bei der Beratung zu einer echten Paracetamol-Bombe kein Thema für Smalltalk findet, bietet sich die Impfdebatte an. Wieder ist es Spahn, der mit sicherem Händchen für polarisierende Themen eine Impfpflicht ins Spiel gebracht hat. Völlig daneben, findet Apothekerin Sylke Bergmann und berichtet von ihren erfolgreichen Impfpass-Checks in der Apotheke. Kein Impfgegner dabei, nur verbaselte Impfausweise. Und falls Sie heute Abend zu einer Masernparty eingeladen sind, gehen Sie nicht hin. Machen Sie lieber mal Ihre Mathe-Hausaufgaben. Schönes Wochenende!
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