Es ist die Hochzeit der Videokonferenzen. Ob mit der Corona-gefährdeten Oma zu Hause oder vom eigenen Homeoffice aus mit den Kollegen – Zoom, Skype, Teams & Co. laufen heiß. Das fühlt sich nach erfolgreich bestandenem Digitalisierungsschritt an und schafft etwas menschliche Nähe auf Distanz. Könnten die Kassen da nicht mitmachen und eine Remote-Retax-Sprechstunde anbieten?
Statt ewig Briefe mit Retaxationen und Einsprüchen und Ablehnungen der Einsprüche hin und her zu schicken, sollten die Prüfstellen der Kassen den Apotheken einen kurzen Videocall am Monatsende einrichten. Idealerweise GKV-übergreifend, zur Effizienzsteigerung. Dann werden alle vorgesehenen Teil- und Vollabsetzungen vorgetragen und der Retaxierte kann gleich online widersprechen.
Belege lassen sich vor die Kamera halten, notfalls werden sogar der Patient und/oder der behandelnde Arzt zugeschaltet, um den Sachverhalt aufzuklären. Bei den gängigen Programmen lassen sich auch gleich Dokumente übermitteln, Bestätigungen nachreichen oder versöhnliche GIFs schicken. Die Rezeptprüfung läuft ohnehin schon größtenteils automatisiert. Da wird es Zeit, dass die Einspruchsbearbeitung ein paar technische Sprünge macht.
Doch nach ein paar Wochen hätten die Kassenprüfer wohl immer weniger Lust, ihre kleinlichen und oft auch wissentlich unbegründeten Beanstandungen vorzutragen. Niemand will sich im Online-Chat ständig rechtfertigen und am Ende zugeben müssen, dass mit dem Rezept doch eigentlich alles in Ordnung war. Also kommt als nächstes Künstliche Intelligenz zum Einsatz: Die Apotheker müssen eine Zeitlang mit Kassen-Avataren verhandeln. Diese argumentativ auszutricksen ist aber keine Herausforderung für jemanden, der Oma Schneider schon dreimal von ihrem neuen Rabattarzneimittel überzeugt hat. Als die Retaxquoten weiter in den Keller rauscht, wird die Remote-Sprechstunde schnell wieder abgeschafft. Digitalisierung könnte so schön sein.
Es ist übrigens nicht so, dass es in Wirklichkeit nicht immer wieder neue Retax-Blüten geben würde. Was halten Sie zum Beispiel von dieser Argumentation? „Die Frist beginnt mit dem Ausstellungstag und endet mit Ablauf des übernächsten Tages, unabhängig ob Wochenendtage oder Feiertage dazwischen liegen.“ Ich kann es Ihnen auch nicht erklären, denn als die retaxierte Apothekern beim Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr nachbohrte, wurde ihr doch die im Liefervertrag vorgesehene Frist eingeräumt und die Erstattung zugesagt.
Und dann gibt es die allseits beliebte Rezeptur-Retax, weil Sie die Wechselwirkungen übersehen haben, die der Arzt beim Verordnen anscheinend auch nicht (aber für ihn völlig folgenlos) auf dem Schirm hatte. Oder Sie haben vergessen, dass Wirkstoffe unterschiedliche rezeptierbare pH-Bereiche haben. Hier gibt es zumindest ein paar hilfreiche Tipps meiner Kollegin zu inkompatiblen Kombinationen. Engpässe schützen dagegen nicht vor Retaxationen, wie die charmante KKH mit Venlafaxin beweist.
Einen Retaxrückgang erhoffen sich ja viele von der Einführung des E-Rezepts. Und damit das seinen Weg auch in die Apotheke findet, braucht diese eine Plattform. Die kann zumindest nicht schaden. In dieser Woche wurde mit Apora die nächste gestartet – oder wenigstens im Showroom gezeigt. Im Sommer sollen die Apotheken für das Pro-AvO-Projekt eingesammelt werden, im Herbst die Kunden. Dr. Hermann Sommer (Noventi) und Dr. Peter Schreiner (Gehe) erklären im Video-Podcast WIRKSTOFF.A, was sie mit Apora vorhaben.
Es gibt viel zu gucken am Wochenende, ich hab noch mehr Videos in meiner Playlist: Thomas Bellartz, Herausgeber von APOTHEKE ADHOC, hat ein Whitepaper zur Digitalisierung von Apotheken in Zeiten von Corona geschrieben. Er bezieht sich dabei unter anderem auf den Digitalisierungsindex Apotheke (DIA), der von aposcope erhoben wird. Bellartz‘ Botschaft: Wenn die Apotheke ihre Freundlichkeit und Fachkompetenz mit digitalen Services unterstützt, ist sie nicht zu schlagen. Besseres Coaching zu allen Lebenslagen liefert eigentlich nur noch DocWopp – Timo coacht für uns Apotheker und PTA.
Nur für Gerda kommt offenbar jedes Coaching zu spät. E-Rezepte kommen über Gerda nicht mehr in den Apotheken an. Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg hat sich von Teleclinic getrennt – bislang die Brücke zwischen den Praxissystemen der Ärzte und dem E-Rezept-Server Gerda. Der Vertrag mit der KV ist im April abgelaufen – an der Ausschreibung beteiligte sich Teleclinic gar nicht mehr. Geschäftsführerin Katharina Jünger zufolge konnte man sich nicht auf einen gemeinsamen Fahrplan für die Zukunft einigen.
Man könnte auch sagen: Es fehlte die Vision. Das lässt sich beheben: VISION.A findet in diesem Jahr komplett im digitalen Raum statt. Vom 22. Juni bis 3. Juli. Am besten über https://vision.apotheke-adhoc.de/ einen Gutscheincode sichern. Ausgewählte Panels werden auch bei APOTHEKE ADHOC live übertragen. Und mit Blick auf Apora, Gerda & Co: Es wird natürlich auch ums E-Rezept gehen.
Dessen Einführung fiebern ja vor allem die Versandapotheken entgegen. Ob die Wette wirklich aufgeht, wenn die Apotheken bis dahin funktionierende Lösungen etabliert haben? Mit Papierrezepten sind die Versender dagegen immer mal wieder überfordert, wie dieser Fall der Shop-Apotheke zeigt. Und einen kleinen Cliffhanger für die nächste Woche habe ich auch noch: Die Geschichte hat ein Nachspiel, denn es gab ein sehr unerwartetes Telefonat.
In der Apotheke vor Ort ist die Plexiglasscheibe zum neuen Alltag geworden. Für manchen Inhaber offenbar so sehr, dass man es sich gar nicht mehr ohne Schutzwand vorstellen kann. Laut einer Befragung können sich sechs von zehn Apotheken vorstellen, die Plexiglasscheiben auch nach der Corona-Krise stehen zu lassen. Zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen senkt der Gesetzgeber zeitnah die Mehrwertsteuer. Damit nicht ausgerechnet den Apotheken daraus ein Millionenverlust erwächst, müsste der Gesetzgeber noch einmal aktiv werden. Das Ringen hat begonnen. Vielleicht klärt ihr das einfach in der nächsten Videokonferenz. Ja? Danke! Schönes Wochenende!
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