Nur noch Stehbetten im Notdienst Alexander Müller, 13.08.2022 07:48 Uhr
Die gute alte Pritsche im Nachtdienstzimmer der Apotheke: Sie hat schon viele Stunden unruhigen Schlafes erlebt, ungezählt oft wurde der Diensthabende schon durch schrilles Klingeln von ihr hinfortgerissen. Doch das altgediente Möbel hat ausgedient. Ab sofort sind waagerechte Schlafmöbel in der Apotheke tabu, sie müssen laut einer aktuellen Verordnung sämtlich durch Stehbetten ersetzt werden.
Hintergrund sind neueste Erkenntnisse aus der Schlafforschung: Bei einer groß angelegten Studie mit 520.000 Proband:innen stellte sich heraus, dass der tiefste Schlaf in horizontaler Lage erreicht wird. Einzige Ausnahme waren Testpersonen aus dem öffentlichen Dienst sowie Beschäftigte bei Krankenkassen, die sitzend ebenso erholsam schlafen konnten.
Proband:innen, die in der Doppelblindstudie kopfüber schliefen, klagten am häufigsten über Kopfschmerzen und Abgeschlagenheit. „Beim Schlaf in normaler aufrechter Position haben uns die Ergebnisse überrascht“, so Studienleiter Prof. Morpheus Nyx. „Obwohl die stehenden Testpersonen nicht besonders tief schliefen, waren sie verhältnismäßig gut erholt.“
Das sind die idealen Voraussetzungen für den Apotheken-Notdienst. Zwischen zwei Kund:innen schnell Schlaf finden, aber kein einziges Schellen oder Klingeln des Telefons mehr überhören. Für jede Tube Kamistad-Gel sofort hellwach und trotzdem am nächsten Morgen fit.
Weil das im Sinne guter Versorgung ist, wird auf Grundlage der Ergebnisse der Schlafstudie nun die Apothekenbetriebsordnung angepasst: In § 4 Abs. 2 über die Beschaffenheit und so weiter der Betriebsräume wird der Satz eingefügt: „Das Nachdienstzimmer ist mit einem Stehbett auszustatten, weitere Schlafgelegenheiten dürfen nicht vorgehalten werden. Es muss eine Lagerung des Diensthabenden zwischen 5 und 45 Grad Celsius gewährleistet sein.“
Die Pharmazieräte haben diese Vorgaben weiter konkretisiert. Das Stehbett muss in einem Winkel von nicht mehr als 65 Grad an einer freien Wand angelehnt sein. Sicherungsgurte in Knie-, Hüft-, und Brusthöhe sollen ein versehentliches Herauskippen verhindern. Ein Stirngurt freiwillig, die Nutzung einer Knirschschiene wird pharmazeutisch Tätigen ohnehin grundsätzlich empfohlen. Wer auf dem Fußboden, in der Sichtwahl oder im Schaufenster diensthabend schläft, riskiert seine Betriebserlaubnis.
Ganz so schlimm ist es in Wirklichkeit noch nicht, aber manchmal erscheinen die Vorgaben doch apothekenfeindlich unflexibel. Ob sie sich nicht zu Hause alarmieren lassen könne, fragte eine Inhaberin bei ihrer Kammer. Aber der Weg von 450 Metern zwischen Wohnhaus und Offizin war der Kammer zu weit für eine Rufbereitschaft. Sehr lesenswert ist die weit gefächerte Debatte der Kolleg:innen unter dem Beitrag.
Ein Tipp der Kammer an die extrem ausgelaugte Apothekerin war übrigens, ihre normalen Öffnungszeiten zu verkürzen. Und genau das machen tatsächlich immer mehr Inhaber:innen laut einer aktuellen aposcope-Studie. Der Grund ist meist: Personalmangel. Denn angeordnete Überstunden sind auch keine Lösung auf Dauer.
Der zweite Fall einer Apothekerin in der rechtlichen Grauzone hat mit dem zweiten großen Problem dieser Tage zu tun – den Lieferengpässen. Aus akutem Buscopan-Mangel bestellte sie bei der Versandapotheke und konnte mit der günstig eingekauften Ware die eigene Kundschaft versorgen. Zulässig? Nun, wo kein Kläger, da kein Richter. Und überhaupt: Was ist der größere Skandal: Die unorthodoxe Beschaffung oder die nachfragenlose Lieferung des Versenders von zehn Packungen eines krampflösenden Arzneimittels?
Ob Arzneitees noch als krampflösend bezeichnet werden dürfen, weiß ich nicht, als „Bio“ jedenfalls nicht mehr. Das OLG München findet auch, dass „ökologischer Landbau“ auf der Packung nichts verloren hat. Auch ein Etikettenschwindel: „Direktabrechnung“ von CGM/Scanacs. Denn man kann zwar die Rezepte direkt aus der Software an die Krankenkasse schicken, direkter, also schneller an die Kohle kommt man aber deshalb nicht. Dafür kostet das Angebot etwas mehr als die normale Rezeptabrechnung.
Falls Sie heute Notdienst haben und wenig Schlaf in Ihrem Stehbett finden, eine kleine Warnung: Zwischen 21 Uhr und 6 Uhr wird Securpharm die Rückmeldung geben, dass es aktuell keine Rückmeldung gibt. In diesem Sinne: Gute Nacht und schönes Wochenende!