Globuli nur noch für Geimpfte Alexander Müller, 07.08.2021 08:00 Uhr
Im Büro des Ministers brennt noch Licht. Drinnen zerbricht sich Jens Spahn den Kopf, wie er wieder Schwung in die Impfkampagne bekommt. Denn zuletzt wird der einst so begehrte Impfstoff nur noch in homöopathischen Dosen unters Volk gebracht. Und plötzlich macht es Klick.
Jens Spahn hat seine Schreibtischlampe eingeschaltet. Aber er hat auch eine Idee. Und diesmal muss es funktionieren. Denn dass sein Geschwurbel vom Impfen als „patriotischer Akt“ nicht verfangen wurde, war ihm von vornherein klar. Ehrlicherweise ging es ihm dabei gar nicht im die Impfquote, sondern um eine kleine Bewerbung, sollte nach der Wahl doch noch ein Verteidigungsminister gesucht werden.
Nein, die Impfkampagne wird er nach dem Spahn’schen Muster angehen: 1. Staatstragend auftreten und ein komplexes Thema stark vereinfachen. 2. Mit gemäßigtem Populismus für die nötige Aufmerksamkeit sorgen. 3. Die Apotheken für die Umsetzung einspannen.
Spahn macht lange genug Gesundheitspolitik, um genau zu wissen, worüber sich die Leute am meisten echauffieren: Impfung und Homöopathie. Das ist die ultimative Idee für den Impfanreiz: Globuli erhält künftig nur noch, wer gegen Covid-19 geimpft ist. Spahn schreibt es auf und kichert boshaft. Er muss nur das Pulverfass in den Porzellanladen rollen und warten was passiert. Noch am Abend gibt er eine Studie in Auftrag, wie viele Nichtgeimpfte eigentlich Homöopathie-Anhänger:innen sind.
Aber eine Stunde später dauert ihm das doch zu lange und er diktiert die Verordnung einfach runter. Den Apotheken wird aufgetragen, bei den Kund:innen den Impfstatus zu erfragen, bevor sie Homöopathie abgeben, der sogenannte „Spahnemann-Test“. Und sie sollen potenzierte Impfzertifikate ausstellen. Bei vollem Impfstatus übernehmen die Kassen per Dekret einen Monat die Kügelchenkosten. Die Apotheken halten das nach. Vergütung: Wird später geklärt…
Wie Minister Spahn auf diese verrückte Idee hätte kommen können? Nun, erstens gibt es mittlerweile wirklich ziemlich groteske Versuche, die Impfbereitschaft zu erhöhen: Bratwurst, Ziege oder Joint. Und Thomas Bellartz und ich haben beim Ideenlotto in unserem Podcast auch noch ein paar echt heiße Vorschläge diskutiert. Da Herr Spahn sicherlich NUR MAL SO ZUM WISSEN hört, dürften einige Ideen bald ihren Weg in den politischen Diskurs finden.
Und zweitens hat das Oberlandesgerichts Frankfurt im Homöopathie-Streit entschieden, dass in „HCG C30 Globuli“ und „HCG C30 Tropfen“ auch HCG drin sein muss. Weil sich das zumindest mit allen aktuell zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Verfahren nicht nachweisen lässt, wurde der beklagten Apothekerin der Vertrieb verboten. Rechtsanwalt Dr. Hans-Jürgen Ruhl hat das Urteil für die Wettbewerbszentrale erstritten und erklärt, was es für die Praxis bedeuten könnte.
Ein anderes Urteil wird es nie geben. Denn die EU-Kommission wird Deutschland nun doch nicht wegen des Rx-Boni-Verbots vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagen. Die Brüsseler Behörde hat gegenüber den Hollandversendern angekündigt, ihr Vertragsverletzungsverfahren einzustellen. Die Begründung hat es in sich: Zwar findet die Kommission die Regelung nicht komplett binnenmarktkonform, doch die niedergelassenen Apotheken sollen während der Corona-Pandemie und bei anstehender Digitalisierung nicht weiter geschwächt werden.
DocMorris flucht über diese „politische Entscheidung“, hofft aber irgendwie doch noch auf ein neues EuGH-Verfahren. Die Zur Rose-Tochter selbst bereitet sich auf das E-Rezept vor – die Umstellung wird in der Rezeptverarbeitung etliche Jobs kosten. Mitbewerber Shop Apotheke sucht dagegen verzweifelt nach Personal und schiebt die stotternde wirtschaftliche Entwicklung tatsächlich zum Teil darauf. Der andere Teil sind Logistikprobleme.
Ob das mit der verpflichtenden Einführung des E-Rezepts aber zum Jahreswechsel wirklich klappt, wird immer ungewisser. Die Ärzte fühlen sich nicht bereit und schimpfen über die unnötige Hast. Und jetzt hat mit Holger Seyfarth auch ein DAV-Vorstand öffentlich zu Bedenken gegeben, dass eine Übergangsfrist mit sicherem Parallelbetrieb womöglich die bessere Idee wäre. Doch die Abda weicht offiziell noch nicht von ihrer Linie ab, dass die Apotheken „ready“ sind.
Dass es sich andererseits schon lohnen kann, auf Nummer Sicher zu gehen, hat das Desaster bei den Impfzertifikaten eigentlich eindrucksvoll gezeigt. Und mitnichten sind alle Apotheken „ready“ – einige sind noch nicht einmal an die TI angeschlossen. Und auch bei den Vernetzten klappt das mit den Zertifikaten auch eine Woche nach dem Umzug noch nicht überall. Zwar lässt sich das Portal manchmal austricksen, doch das Ganze ist mit „instabil“ noch recht wohlwollend beschrieben. (Der Siebtklässler-Vergleich war nicht wohlwollend.)
Doch auch wenn das Portal in der täglichen Arbeit nervt und Minister Spahn auch bei den Zertifikaten schon wieder das Honorar gesenkt hat: Apotheken sollten sich nicht dazu hinreißen lassen, eine Gebühr von den Geimpften zu verlangen. Die Berliner Kammer kennt solche Fälle – und gibt sie an die Wettbewerbszentrale weiter.
Viel schöner ist es, wenn man einer Urlauberin die Rückkehr ermöglichen kann, wie diese Kollegin. Oder noch besser: Im Flugzeug einer Mitreisenden das Leben retten, wie dieser Kollege. Ganz schlecht dagegen: Der neuen Urlaubsbekanntschaft die eigene Altersvorsorge anvertrauen und dabei sein ganzes Geld verlieren.
Während das Bundesgesundheitsministerium (BMG) wegen im Umlauf befindlicher falscher Zertifikate das BKA einschaltet, kommt auf die Apotheken schon die nächste Aufgabe zu: Demnächst dürfen sie auch Genesenenzertifikate ausstellen. Dafür fallen die Bürgertests vermutlich Mitte Oktober weg. Andererseits: Bis dahin passiert noch sehr viel. Unter anderem eine Bundestagswahl. Haben wir auch drüber gesprochen. Schönes Wochenende!