Extra-Eingang für Priority-Kunden Alexander Müller, 04.05.2019 07:59 Uhr
Mit Geld kann man sich alles kaufen – außer Gesundheit. Naja, mit etwas mehr Geld kann man vielleicht schon schneller gesund werden. Wenn man zum Beispiel schneller an seine Arzneimittel kommt. Der Versandhandel ist den Apotheken vor Ort einige Schritte voraus. Nicht in der Versorgung, aber in der vermarkteten Priorisierung.
Folgendes ist mir einmal passiert: Ich wollte im Hotel einchecken und die zweite Mitarbeiterin am Counter war frei. Als ich den Herrn vor mir darauf hinwies, deutete er wortlos lächelnd auf den Schalter links daneben, über dem „Priority Check-in“ stand – und wo gerade eine andere Dame bedient wurde. Achselzuckend ging ich zu der freien Mitarbeiterin am Sterblichenschalter und ließ mir meine Zimmerkarte aushändigen.
Vielleicht hat Apotheker Jonas D. die Szene beobachtet. Jedenfalls hat er in seiner Apotheke jetzt zwei Eingänge: einen für „Kunden“ und einen für „Priority-Kunden“. Diese VIPatienten müssen im Durchschnitt 1:25 Minuten weniger warten, bis sie bedient werden. Rätselhefte und Taschentücher werden ungefragt in die Tüte gelegt, bei der es sich um einen geschmackvollen Stoffbeutel handelt.
Priority-Kunden erkaufen sich ihren Status mit der goldenen Kundenkarte für 29,90 Euro pro Monat – kleine Überraschungen inklusive. So wird jede Teemischung mit etwas Blattgold veredelt und die Rezepturen werden von einer PTA im schwarzen Kittel geschüttelt, nicht gerührt. Ist einmal ein Arzneimittel nicht gleich verfügbar, gilt beim kostenlosen Botendienst Chefapothekerbehandlung.
Hört sich für Sie absurd an? Schauen Sie in den Versandhandel: Amazon hat ein mehrfach gestaffeltes System mit steigenden Versandkosten, bis hin zu Prime Now in Berlin und München. Und das Ganze macht vor der Arzneimittelversorgung nicht Halt (summ, summ, summ). Die Shop-Apotheke testet jetzt auch same day – mit wechselendem Erfolg.
Dem Ganzen die Krone aufgesetzt hat bislang Aponeo: Hier können sich Kunden eine bevorzugte Bearbeitung ihrer Bestellung erkaufen. Was auch immer das konkret bedeutet, es wirft kein besonders schmeichelhaftes Licht auf den Berufsstand. Die Wettbewerbszentrale hat sogar schon angekündigt, sich das Angebot unter apothekenrechtlichen Aspekten einmal genauer ansehen zu wollen.
Mit dem Arzneimittelgesetz dagegen befassen sich die Apotheker derzeit sehr intensiv. Genauer, mit § 78 AMG, aus dem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Preisbindung radieren will. Bei der eigens einberufenen ABDA-Mitgliederversammlung wurde über den neuen Vorschlag von Herrn Spahn diskutiert – kein leichter Parcours für ABDA-Präsident Friedemann Schmidt.
Das Problem: Spahn hatte schon am Dienstag, also zwei Tage vor der MV, bekannt gemacht, dass er der EU versprochen hat, den in Brüssel als störend empfundenen Passus zu streichen. Und zwar in eben jenem in Entstehung befindlichen Gesetz, zu dem die Apotheker am Donnerstag ihre Stellungnahme besprechen wollten. Ein anonymer Aktivist machte seinem Ärger über dieses böswillige Timing Luft, indem er mit Spahn-Maske verkleidet recht mühevoll ein Apotheken-A kleinschlug. Die Aktivisten von #rettedeineapotheke waren zufällig in der Gegend und haben das Ganze gefilmt. Die ABDA drinnen bleibt bei ihrem Standpunkt.
Eine lokale Protestaktion hat diese Stuttgarter Apotheke gestartet, damit aber überregional Aufsehen erregt. Sie wirft einer allzu rigiden Aufsicht vor, Schuld an der bevorstehenden Schließung der Apotheke zu sein. Schwer, in solchen Fällen nicht einseitig zu berichten, wenn eine Seite qua Gesetz nichts dazu sagen darf.
Doch nicht nur die Apotheken fühlen sich verraten und diskriminiert, DocMorris auch. Die niederländischen Versandapotheke streitet demnächst vor dem Bundesfinanzhof um ihre Boni: Auf die Umsätze mit den Krankenkassen führt die Versandapotheke zwar keine Mehrwertsteuer ab, weshalb nun aber die Boni-Kosten mit den Umsätzen der Selbstzahler verrechnet werden sollen. DocMorris geht es um die grundsätzliche steuerliche Anerkennung von Werbekosten, die Versandapotheke argumentiert dabei aber unter auffälliger Verkehrung aller bisherigen Argumente… Und jetzt gibt es auch noch Ärger wegen der Neuschnupfen-Kampagne.
Wenn einem ein Geschäft nicht mehr gefällt, kann man sich auch daraus zurückziehen: Bionorica hat seine Cannabis-Geschäft verkauft, für 226 Millionen Euro. PharmaSGP fühlt sich dagegen Wohl als Platzhirsch in der Nische. Der sehr scheue Hirsch Heumann wiederum überlässt die Tamsulosin-Lichtung vorerst anderen und versteckt sich tief im Wald. Vielleicht gehen Sin ihn suchen? Jedenfalls: Schönes Wochenende!