E-Rezept-Kundin verzweifelt Alexander Müller, 29.01.2022 08:06 Uhr
Die Berliner Rentnerin Erna Ballerstädt ist – wenn man der Geschichtsschreibung glaubt – die erste E-Rezept-Nutzerin Deutschalnds. Sie ist Kundin e01, sie ist eigentlich die ganze verdammte Modellregion Berlin-Brandenburg. Und jetzt steht Erna Ballerstädt in Q1 vor einer riesigen Herausforderung, genauer: vor einem Schachtelberg. In ihrer Wilmersdorfer 3-Zimmer-Wohnung stapeln sich die Arzneimittelpackungen.
Sie kennen die Geschichte alle: Dass es im Mai 2021 alles noch ganz entspannt aussah, als Ballerstädt von der Gematik als typische Patientin ermittelt wurde, die digital Rezepte einlösen sollte. Wenig später wurde aus der Ballerstädt-Saga beinahe Realität, die Testregion wurde feierlich eröffnet.
Aber die rüstige Rentnerin war ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen: Selbst als Chronikerin war es schlicht unmöglich, bis Jahresende die gewünschten 1000 Rezepte einzulösen. Also griff sie zum Telefon und rief kurz vor Weihnachten beim neuen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach an. Und der hat also das E-Rezept dann also erstmal abgesagt.
Neues Jahr, neues Glück, das E-Rezept 2022 einzuführen ist der gute Vorsatz der Gematik. Die Gesellschafter haben einen Fahrplan vereinbart. Für die Aktienkurse der Versender war das Balsam. Für Erna Ballerstädt ein echter Schock. 30.000 E-Rezepte soll sie im ersten Quartal einlösen! Zum Glück ist ihr Blutdruck gut eingestellt, denn Praxis und Apotheke sind so dermaßen ready, dass sie die E-Folgeverordnung direkt ausgestellt und per Botendienst gebracht kriegt. Wahlweise auch von Mayd, aber dann kostet es 30 Millionen Euro.
Die Testkundin Nummer 1 ist total bemüht und erfinderisch. Sie hat sich sogar Sildenafil verordnen lassen, um wieder an ein Rezept mehr zu kommen. Zum Glück hat sich der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht gegen eine OTC-Switch entschieden. Dabei hatte AVNR-Chef Thomas Preis so eine gute Idee: Versandverbot analog zur „Pille danach“. Als Frau Ballerstädt jedenfalls von der BfArM-Entscheidung gelesen hat, hat sie sich schnell noch ein Otriven Duo verordnen lassen, das ebenfalls rezeptpflichtig bleibt.
Trotzdem sieht sie keine Chance, die Testphase diesmal zum Erfolg zu führen. Also ruft sie wieder bei Lauterbach an. Gott sei Dank, das ist alles nur ein Missverständnis, beziehungsweise eine große Verwechslung: Lediglich acht E-Rezepte sollen in Q1 getestet werden, dagegen bis zu 30.000 SMC-B-Karten sollen die Apothekerkammern pro Apotheke verschicken (Klage läuft). Die Gematik möchte einfach sicher gehen, dass die Versender mit allen ihren Domains abgedeckt sind. Oder war es doch umgekehrt mit 8 und 30.000? Erna Ballerstädt blickt nicht mehr durch und freut sich schon auf ihren nächsten ApoRetrO-Auftritt.
Sehr in die Zukunft beim E-Rezept plant offenbar auch CGM. Das Softwarehaus hat sich beim Direktabrechner Scanacs eingekauft und hält auch 30 Prozent am italienischen Schnelllieferdienst 4K. Da wartet jemand auf den Marktumbruch.
Das Warten der Apotheken hat ein Ende. Fast. Am 8. Februar dürfen sie in die Impfkampagne einsteigen. Und bei den Bestellobergrenzen gelten die gleichen – aktuell recht milden – Grenzen wie bei den ärztlichen Kolleg:innen. Welche Sonder-PZN, ab wann und wie: Hier gibt’s den Überblick. Biontech und Moderna liefern sich derweil ein Rennen um die neusten Impfstoffe und beantworten zur Not auch mal merkwürdige Fragenkataloge zu ihren aktuellen Vakzinen.
Geimpft werden darf also demnächst. Und neben dem Impfen und Testen gibt es noch die Zertifikate. Bereits 80 Millionen wurden in Apotheken ausgestellt. Gar nicht so rätselhaft, dass es mehr Zertifikate als Impfungen gibt. Spoiler: Es sind nicht nur die Fälscher:innen, für die diese Apothekerin übrigens ab sofort Kopfgeld fordert. Noch mehr Arbeit droht: Apotheken dürfen jetzt auch PCR-Tests abrechnen, dafür aber nur 40 Euro verlangen, und das ist schon inklusive Zuschlag. Abgerechnet werden kann jetzt auch Paxlovid, Sonder-PZN zu den Corona-Medikamenten gibt es hier.
Immer mehr Aufgaben, immer weniger Apotheken. Manche PTA macht sich Sorgen, ob der eigene Betrieb noch eine Zukunft hat und diese Inhaberin musste ihre Filiale aufgeben, weil es einfach zu viele Notdienste waren. Ein besonderer Gruß und Dank an alle, die dieses Wochenende Dienst schieben und für alle anderen: Schönes Wochenende!