Schaum vorm Mund kann auch verschiedene Ursachen haben. Ärzt:innen wissen das, denn sie haben das studiert. Nur den eigenen Schaum bekommen sie nicht diagnostiziert, es ist allerdings auch kein medizinischer Befund. Außer „Ärger über diese Apotheker“ ist inzwischen ein anerkanntes Krankheitsbild. Die Halbgötter erheben zornig ihren Äskulapstab und drohen mit Vergeltung.
Vom Gesetzgeber zum Jagen getragen – Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat beim Deutschen Apothekertag (DAT) bemängelt, dass die Modellprojekte zu Grippe-Impfungen in Apotheken nur so schleppend gestartet sind. Spahn hätte sich mehr Engagement gewünscht doch zu Spahn später mehr. Immerhin in Westfalen-Lippe ging es jetzt los, in Baden-Württemberg ebenfalls.
Es folgte der Schaum: Dispensierrecht beim Hausbesuch, fordert der Vorstandschef der Kassenärzte im Ländle, Dr. Norbert Metke. Die Top 10 Schnelldreher will er im Köfferchen dabei haben (der Mann ist übrigens Orthopäde) und den Apothekern zeigen, dass Aufweichung der Sektorengrenzen „keine Einbahnstraße“ ist. Und wenn doch, dann wäre Metke der erste Geisterfahrer mit Bleifuß.
Problem: Da ist dieses neue Virus, dessen Gefährlichkeit anfangs in Grippe-Einheiten bemessen wurde. Und weil sich Corona aus diesem Vergleich mit Delta endgültig entzogen hat, wird eine erfolgreiche Impf-Kampagne immer wichtiger.
Auftritt Abda-Präsidentin Gabriele Overwiening. Zum Auftakt des DAT sagt sie, Corona habe die Apotheker:innen selbstbewusster gemacht. Und dass heute mehr Menschen gegen Covid-19 geimpft wären, wenn die Politik die Apotheken um Hilfe gebeten hätte. Sie ahnt den Schaum. Das sei jetzt keine Forderung, beeilt sich Overwiening zu versichern. Denn sie muss die ernste Befürchtung haben, dass Ärzte aus dem Impfprogramm aussteigen, wenn auch Apotheken mitmachen. Dass diese in der Öffentlichkeit ausgesprochene Sorge nicht als absolut lächerlich angesehen wird, sagt viel über die Schaumbereitschaft der Mediziner.
Kurze Zeit später beim DAT dann aber doch: die Delegierten fordern den Gesetzgeber auf, die Apotheker:innen unter bestimmten Voraussetzungen in die Corona-Impfungen einzubinden und damit einen niedrigschwelligen Zugang für die Bevölkerung zu schaffen. Die kontroverse Debatte zuvor, in der sich die Apotheken viel Mut zu diesem waghalsigen Schritt zusprechen mussten, wurde mit dem Argument gewonnen, wie es denn bitte jetzt aussehen würde, den Antrag einzukassieren. Beim Apothekertag haben sie ein feines Gespür für den Gesichtsverlust.
Die Reaktion kommt wie bestellt: „Die Corona-Pandemie bekommen wir nur gemeinsam in den Griff – und zwar jeder an seinem Platz“, warnt KBV-Chef Dr. Andreas Gassen. Und das Impfen mehr sei als die Injektion. Auch wenn Gassen im Ton etwas sachlicher bleibt, erinnert er doch, dass die Apotheken mit Medikamentenversorgung und Impfstoffbeschaffung an sieben Tage die Woche und rund um die Uhr doch sicher genug zu tun hätten. Subtext: Wenn da noch etwas dazukäme, müssten wir euch ja etwas abnehmen.
Mal sehen welcher Ärztevertreter Anfang der Woche mit dem Vorschlag kommt, Chroniker:innen in der Sprechstunde direkt mit Medikamenten zu versorgen. Sollte es so kommen: die Apotheker:innen müssen nicht zurückschäumen. Vermutlich bei der Rabattvertragsprüfung, spätestens bei der Hilfsmittelversorgung samt Präqualifizierung würden die Mediziner:innen die Lust am Tauschgeschäft verlieren und die neuen Rechte müde wieder abtreten (s. Abbildung 1 oben: „Der Arzt in seiner Apotheke“). Also: Schaumbad einlassen und entspannen.
Sehr entspannt hat Minister Spahn seinen Auftritt beim DAT gemeistert. Es dürfte sein letzter gewesen sein, auch wenn er versprochen und/oder gedroht hat, im nächsten Jahr wiederkommen zu wollen. Da müsste schon viel zusammenkommen: Ein Wahlsieg der Union und eine Wiederauswahl Spahns als Gesundheitsminister. Diese Ampel steht aktuell auf Rot, beziehungsweise auf Ampel, wenn man den Umfragen (hier eine nur in Apotheken) glauben will. Morgen um 18 Uhr wissen wir alle endlich mehr.
Spahn wurde beim DAT geradezu freundschaftlich verabschiedet. Als er bei seinem Statement fast nach jedem Satz Applaus bekam, musste er sich einmal sogar das Lachen verbeißen. Er hat es auch wieder sehr geschickt gemacht: Erst jede Kritik an seiner Amtsführung mit einem „ehrlichen Danke“ für die Leistung der Apotheken in der Corona-Krise abgeblockt. Dann diesen Dank zu sich zurückgeholt und auf die 125.000 Euro Mehrumsatz verwiesen, die seine Politik jeder Apotheke gebracht habe. Und damit das keinen Ärger in der später folgenden Debatte gibt noch nachgeschoben, dass Umsatz nicht gleich Gewinn sei und überhaupt Leistung auch bezahlt werden müsse. Und so konnte er entspannt durch die Honorardebatte, die mangelhafte Überwachung niederländischer Versandapotheken und das E-Rezept moderieren und entschwand unangetastet wieder. Die Apotheker überließ er wieder ihren eigenen Angelegenheiten – zum Beispiel einer Reform des Pharmaziestudiums.
Was nützt allerdings ein aufwändiges Studium, wenn man in der Praxis anschließend Impfpass-Fälscher jagen muss und nach entsprechender Bild-Polemik auch noch einen Shitstorm im Netz kassiert? Weniger Aufmerksamkeit als eine Lautsprecherdurchsage hätte sich auch diese Apotheke gewünscht, im Fall einer Falschabgabe war dies aber die einzig richtige Lösung.
Überhaupt keine richtigen Lösungen haben Gesundheitsökonomen für den Apothekenmarkt. Und wenn doch, dann verraten sie sie nicht. Sondern fordern nur immer wieder, dass Arzneimittel in Supermärkten abgegeben werden sollten. Weil das in den USA ja auch so wundervoll funktioniert. Kommt wieder, wenn ihr echte Verbesserungsvorschläge habt. Dieser Kollege hätte sogar noch die Geduld, dem FAZ-Autor im Rahmen eines Praktikums die Realität etwas näher zu bringen.
Dabei sind Reformen gefragt: Denn zwei Tendenzen gibt es leider im Markt: Es gibt immer weniger Apotheken und die verbliebenen werden bei Übergaben immer teurer. Das ist zwar schön für die abgebenden Inhaber:innen – aber nur, wenn sie auch wirklich einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin finden.
Zum ohnehin existierenden Fachkräftemangel kommt noch die justizbedingte Ausdünnung: Dieser Inhaber muss für drei Jahre hinter Gittern, weil er Luftrezepte beliefert hat, während diese PTA mit einer Zahlung von 11.400 Euro an ihren Ex-Chef vergleichsweise glimpflich davongekommen ist. Beide keine Zierde des Berufsstandes, aber zum Glück unrühmliche Ausnahmen. Schönes Wochenende und bitte WÄHLEN GEHEN!
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