Apothekerin Lisa hat ein Problem. Sie ist einfach zu nett, kann nie Nein sagen. Sie übernimmt jeden Notdienst, verschiebt ihren Urlaub dreimal für die Kolleginnen und hat das Lager voll unnützer Artikel, weil sie keinen Vertreter enttäuschen möchte. Damit muss Schluss sein. Lisa trifft eine Entscheidung: Ab heute sagt sie nur noch NEIN.
Es ist Donnerstagmorgen, 3 Uhr, Lisa sitzt im Büro und wartet auf den nächsten Notdienstkunden. Gerade hat sie an eine Stammkundin 800er Ibuprofen abgegeben, mit schlechtem Gewissen, weil ohne Rezept. Aber die Frau hat so gebettelt. Beim nächsten Kunden wird sie bestimmt wieder auf die Notdienstgebühr verzichten, grübelt sie düster und blättert in der neuen Zeitschrift. Die soll sie jetzt auch noch auslegen. Eigentlich hat sie mit Umschau, My Life und sogar der Apotheken Jllustrierten schon genug Hefte, aber sie konnte auch bei „deine Apotheke“ wieder nicht Nein sagen, obwohl Phoenix nur ihr Defektlieferant ist.
Weil Lisa nicht an Horoskope glaubt, liest sie immer alle Sternzeichen und sucht sich dann das Beste aus. Und sie muss das neue Heft loben. Skorpione bekommen von „deine Apotheke“ den Gesundheitstipp: „Bei Einschlafschwierigkeiten können pflanzliche Präparate schonend Abhilfe schaffen.“ Das ist Cross Marketing der Extraklasse.
Nur muss Lisa hoffen, dass es möglichst wenige Jungfrauen unter ihren Kund*innen gibt. Denn hier lautet der OTC-feindliche Astrotipp: „Sie sollten auch kleinere gesundheitliche Probleme ernst nehmen. Oft helfen zwar klassische Hausmittel, um die Beschwerden zu lindern. Aber wenn nicht, konsultieren Sie einen Arzt.“ Na Bravo, wozu sollte man auch in einer Apothekenzeitschrift die Apotheke empfehlen, grummelt Lisa. Als ob es zwischen Wadenwickeln und Notaufnahme nichts anderes gäbe.
Verärgert blättert sie weiter. Ob die Emanzipation je an den Punkt kommen wird, an dem „Frauenmagazine“ sich nicht mehr um Schuhe, Küche und Beauty drehen? Oder wenigstens mal Opas Haushaltstipps präsentiert werden?! Ach, egal. Lisa liest sich fest im Artikel „Ab heute heißt es öfter NEIN“. Und sie macht natürlich den Psychotest. Na toll, 13 von 13 Punkten. „Nur Mut, Sie dürfen auch mal Nein sagen!“, lautet die Empfehlung. Und das schwört sich Lisa jetzt. Sie liebt Jim Carreys Ja-Sager und jetzt wird sie zur NEIN-Sagerin.
Am nächsten Tag will ein Kunde ohne Maske in die Apotheke (Debatten zu KN95 oder FFP2 kommen gar nicht erst auf). Nein, gibt’s nicht. Er darf sich gerne eine kaufen. Lisa hat sich extra von den Iserlohner Kollegen Yen-Ngan Vu-Nguyen und Phong Nguyen die „Gemeinsam stark – vor Ort“-Masken schicken lassen. Ja, es gibt billigeren Bundschutz im Internet, aber der ist dann eben auch genau das: billiger. Der Kunde kauft und alle sind zufrieden. Wow, das funktioniert.
In ihrem Umkreis ist zuletzt eine Trickbetrügerin unterwegs, die ungefragt ihren Hintern entblößt. Die Polizei hat schon etwas geschmacklos darauf reagiert, aber Lisa schickt ab sofort jeden Kunden, der sein Wehwehchen im Backoffice zeigen möchte, ohne Diskussionen zum Arzt. Und wenn die Bild-Zeitung deswegen anruft und binnen einer Stunde ein Statement von ihr verlangt, dann macht sie den Drosten und sagt: „Ich habe Besseres zu tun.“Wie Drosten erhält auch Karl Lauterbach Morddrohungen wegen seiner Äußerungen in der Corona-Krise.
Apropos Bild: Die AOK will nicht mehr in der Postille werben, weil das Boulevardblatt Jagd auf den Virologen Christian Drosten macht. Das ist an sich eine gute Entscheidung, aber welche Art der Berichterstattung hat denn eigentlich die „Bild“-„Zeitung“ bislang als adäquates Medium für Kassenwerbung erscheinen lassen?
Bleiben wir noch kurz bei der AOK: Deren Hessener Dependance hat vor dem Sozialgericht Kassel so sehr um eine Tracht Prügel gebettelt, bis die Richter nicht mehr anders konnten. Wäre lustig, wenn die Apotheker nicht so viel Energie und Geld in diese völlig überflüssige Abwehrschlacht gesteckt hätten.
Wann Lisa auf jeden Fall NEIN sagen sollte: Wenn Hersteller ihr Haribo anbieten. Denn Weingummi und Lakritz fallen unter das Heilmittelwerbegesetz, wenn sie an den Einkauf gekoppelt sind. Mag übertrieben klingen, ist aber letztlich konsequent durchgeurteilt.
Genauso wie die Richter in Rostock. Der beklagten Apothekerin wurde verboten, Rezepte in Arztpraxen zu sammeln, dem klagenden Apotheker ebenfalls. Dabei wollte er nur Heime versorgen und sie nur alten Kunden ohne Busanbindung in Mecklenburg helfen. Dumm gelaufen.
Dumm gemacht war die Schaufenster-Aktion einer Apotheke im Saarland. Mundart hin oder her: Rassistische Beleidigungen gehören einfach nicht in das Schaufenster einer Apotheke. Und wenn es beim vorigen Mal nur Lob und Schulterklopfen statt Beschwerden gab, ist das Teil des Problems. Und wenn der Dekorateur das nächste Mal mit einer „witzigen“ Idee kommt: Einfach mal NEIN sagen. Schönes Wochenende!
APOTHEKE ADHOC Debatte