ApoRetrO

Die Apotheken-Streichliste ist online Alexander Müller, 09.12.2017 08:00 Uhr

Berlin - 

Das war wirklich gemein: Erst sollten die Apotheker diesen umfassenden Fragebogen ausfüllen, damit ihr Honorar neu berechnet werden kann. Dann kommt aufgrund eines perfiden Tricks im Fragebogen heraus, dass die Apotheken viel zu viel Geld bekommen. Einige von ihnen sollen deshalb bald sterben, schlagen die Gutachter vor. Und jetzt das: Gegenüber der Politik sollen die Inhaber begründen, warum ausgerechnet ihre Apotheke gerettet werden soll. Eine Protestaktion dagegen verpufft.

Die Apotheker haben diesen etwas merkwürdigen Brief erhalten. Der Vordruck sieht fast aus wie ein Bewerbungsschreiben: Name und Anschrift der Apotheke sollen oben links eingetragen werden, auf der rechten Seite ist Platz für ein Foto. Ob dort die Apotheke oder das Team gezeigt werden soll, bleibt offenbar dem Inhaber überlassen.

Apotheker Heinz-Heinrich Mollenhauer, gute Freunde nennen ihn 2hm, hatte das Schreiben erst achtlos zur Seite gelegt, er hatte es schlichtweg für Satire gehalten. Doch als am Abend in seiner Erfa-Gruppe alle nur über ihre Bewerbungsmappe sprachen, wurde er nervös. „Ich habe schon alle Zahlen zusammen, zum Glück machen wir so viele Rezepturen“, prahlte eine junge Kollegin. Ein anderer hatte für den nächsten Tag schon einen Fotografen geordert, damit dieser die Offizin gut ausleuchtet. Nur der Chef der Siegfried-Apotheke, ein älterer Kollege aus der Innenstadt, saß kopfschüttelnd dabei und fand die ganz Aktion „unseres Berufsstandes unwürdig“.

Wieder zu Hause beugte sich Mollenhauer mit frischer Aufmerksamkeit über das Schreiben. Das Ganze war tatsächlich kein Scherz: Das Wirtschaftsministerium wollte auf Grundlage des Honorargutachtens wissen, welche Apotheken wirklich überflüssig sind. Deshalb sollte jeder Inhaber ein paar zusätzliche Angaben machen und in einem Motivationsschreiben belegen, warum sein Standort erhalten werden muss. Auf die Existenzgründung folgt die Existenzbegründung.

Der Tonfall des Briefes war tadellos höflich, stimmte Mollenhauer dennoch misstrauischer, je weiter er las: „Um Ihren wichtigen Beitrag zur flächendeckenden Versorgung angemessen honorieren zu können, möchten wir gerne wissen, wie oft Sie nachts aufstehen müssen, um kranken Menschen in Not zu helfen.“ Und emotional wurde es auch: Der Chef sollte beschreiben, wer ihm aus seinem Team am liebsten ist und warum. Auch selbst gefertigte Porträtzeichnungen könne er einreichen. Alles ist erlaubt in der Bewerbungsmappe, kleine Videos mit Kundeninterviews, Berichte aus der Lokalpresse, ein sauber geführtes Herbarium.

Mollenhauer war wie vor den Kopf gestoßen. Minutenlang starrte er ungläubig auf den Brief. Dann warf er ihn weg. Am nächsten Morgen fuhr er nach Berlin und stellte sich mit einem Schild vor den Reichstag: Meine Apotheke soll gerettet werden, weil. Leider arbeiten die Politiker derzeit nur halbtags, weil sie Ferien haben, pardon, regierungsfreie Zeit. Niemand war da. Niemand sprach ihn an. Dann begann das Schneetreiben und er konnte nichts mehr sehen. Als er aus seinem bösen Traum erwachte, musste er feststellen, dass die Realität auch nicht viel besser aussah.

Die Zahlen des Honorargutachtens sind wirklich nicht besonders dazu angetan, den Apothekern Mut zu machen. Zwar sollen die Apotheker mehr Geld für Notdienste und Rezeptur bekommen, insgesamt aber deutlich weniger verdienen. Denn es ergibt aus Sicht der Gutachter einfach keinen Sinn, alle Apotheken zu erhalten. Das würde nämlich drei Milliarden Euro kosten, und wer hat die schon? Deutlich billiger wäre eine gezielte Umverteilung zu Gunsten der Landapotheken, so das Gutachten. Die Apotheker sind auch für mehr Gerechtigkeit, aber unter anderen Vorzeichen.

Wo die Gutachter auf jeden Fall den Rotstift ansetzen wollen: bei den Großhandelsrabatten und den OTC-Subventionen der Krankenkassen. Wenn Sie die in Ihrer Buchhaltung noch nicht entdeckt haben, fragen Sie Ihren Steuerberater. Der wird auch nichts finden. Und dann trinken Sie mit ihm einen Schnaps. Die Jagd auf die Zombie-Apotheken hat begonnen.

Meistens postet einer von Ihnen sarkastisch unter Beiträge wie die jüngsten über das Honorargutachten, dass es ja auch schlimmer hätte kommen können. Stimmt. Das kann immer passieren. Und es könnte sogar noch schlimmer kommen: Kaum sucht die SPD ihren Weg aus dem selbstgewählten Oppositionsexil zurück, da werden schon die Posten und Ministerien verschachert. Finanzen, Arbeit und Soziales wollen die Sozis in der nächsten GroKo auf jeden Fall haben. Und Gesundheit. Wegen der Bürgerversicherung. Und da Ulla Schmidt noch ihre Rotsperre absitzt, fallen Namen wie Karl Lauterbach als möglicher Gesundheitsminister. Ob unter diesen Artikel dann auch einer von Ihnen schreiben wird… ach… lassen wir das.

Und was sollen erst die Kollegen sagen, die gerade das 2. Staatsexamen hinter sich und das alles noch vor sich haben? Kann ja nicht jeder der schönste PhiP Deutschlands sein, der immer noch auf Model wechseln kann. Und es kommt noch dicker: PTA müssen sogar in der eigenen Apotheke die Zuzahlung leisten.

Wir haben uns in ApoRetrO wiederholt über die Myriaden von Apothekentests lustig gemacht, denen Prof. GG seine sonore Stimme geliehen hat. Wir müssen Abbitte leisten. Der Mann ist wenigstens Pharmazeut. Heute werden Apothekenprodukte schon von Studentinnen getestet, die Wärmepflaster aufschneiden und das Pulver wiegen. Und das Fernsehen ist von sich und seinen Kombipräparat-Abwertungen schon so gelangweilt, dass es seine Tests einfach doppelt und dreifach ausstrahlt. Da wird es fast zum TV-Highlight, wenn Jens Spahn in der Heute-Show auftritt wie gestern Abend.

Während bei Amazon jetzt schon niederländische Drogerien Arzneimittel nach Deutschland verkaufen, obwohl sie das nicht dürfen, musste Sinupret feststellen, dass eine Ratte nicht reicht. Und Nestlé gibt sich erst mit der Weltherrschaft zufrieden und hat sein Sortiment komplettiert. Bis jetzt hatte der Konzern nur Dinge, die einen krank oder gesund machen, Wobenzym rundet das Sortiment des mittelständischen Unternehmens ab.

Als Apotheker im Alltag hat man andere Sorgen. Zum Beispiel, wenn der Sturm das Apo-A abreißt und von den Bruchstücken auch noch ein kleines Mädchen getroffen wird. Wie man sich in so einer Situation vorbildlich verhält, hat ein Berliner Kollege gezeigt. Denken Sie an diese Positivbeispiele, wenn mal wieder ein Kunde Ihrem Botendienst seine Stuhlprobe mitgeben will. Oder üben Sie Weihnachtslieder. Schönes Wochenende!