Desinfektionsmittel hergestellt – Rüge für Apotheker Alexander Müller, 07.03.2020 07:54 Uhr
Ein Apotheker aus dem Landkreis Rotnäschen hat sich eine Rüge seiner Aufsichtsbehörde eingefangen: Bei einer Standardrevision wurde er am Donnerstagmorgen schwer betrunken in seiner Offizin angetroffen. Der Inhaber kann sich seinen Rausch nicht erklären. Er schwört bei der heiligen Corona, dass er keinen Tropfen, wohl aber 10x10 Liter Desinfektionsmittel angerührt hat.
Der Pharmazeut kann einem wirklich nur leid tun, denn er hat sich in einer schwierigen Gesamtlage vorbildlich verhalten – naja, bis zu seinem Isoprop-Gelage. Als sich das Coronavirus in vielen Bundesländern immer schneller ausbreitete und die Panik davor in doppelter Geschwindigkeit, hat er die Preise für Sterillium nicht erhöht. Im Gegenteil: Er hat den meisten Kunden vom Kauf abgeraten und sich sogar ein Depot für Transplantationspatienten und andere wirklich Bedürftige angelegt.
Trotzdem waren irgendwann auch seine Vorräte aufgebraucht und er hat sich – ganz Pharmazeut – im Internet auf die Suche nach einer Rezeptur gemacht. Bei der WHO wurde er fündig, fand dann im Netz aber auch beunruhigende, weil widersprüchliche Aussagen über die rechtliche Zulässigkeit der Produktion in der eigenen Rezeptur. Seine Apothekerkammer empfahl die Eigenherstellung trotz Biozidverordnung, doch die ABDA verhängte ein Verbot mit Aussicht auf Lockerung. Also wartete der Apotheker brav ab und veranstaltete in seiner Offizin Handwasch-Seminare für die Kunden.
Dann endlich: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kündigte festlich an und die Bundesstelle für Chemikalien verkündete, dass Apotheker jetzt auch Apotheker sein dürfen. Steriles Wasser Marsch! Der Apotheker wollte gleich mit der Produktion starten. Allerdings hatten weniger zurückhaltende Kollegen die Großhandels-Niederlassungen da schon leer gekauft; der Kollege aus Rotnäschen hatte seine liebe Mühe, alle Ausgangsstoffe zu bekommen: Ethanol 96 % (oder Isopropylalkohol 99,8 %), Wasserstoffperoxid 3 %, Glycerol 98 %.
Am Mittwochabend hatte er alles zusammen, schloss sich in der Rezeptur ein und schnurr, schnurr, schnurr hatte er bis zu Morgen alles zu Desinfektionsmittel versponnen. Aber die Nachtschicht ohne Nachtdienst hatte ihm zugesetzt: Das viele Hantieren mit Isoprop hatte ihn völlig benebelt, am Morgen fand man ihn schnarchend auf dem HV-Tisch. Und leider war da auch die Pharmazierätin in der Offizin. Jetzt droht im schlimmsten Fall sogar ein Ordnungsgeld. Und das alles nur, weil er keine Rüge dafür kassieren wollte, ohne Erlaubnis Desinfektionsmittel herzustellen. Seinen frisch produzierten Bestand hat übrigens noch in der Nacht ein Gruppe Rentner aus der Rezeptur gestohlen.
Beruhigt euch, Leute! Zumindest nach unseren Informationen hat noch keine Apotheke IN WIRKLICHKEIT Ärger wegen der Herstellung von Desinfektionsmitteln. Aber bei so viel Isoprop-Dämpfen in der Luft kann die Phantasie ja schon mal mit einem durchgehen. Und verwirrend war die Frage der Eigenherstellung in dieser Woche ja tatsächlich – zumindest wenn man sich darauf einlassen wollte. Denn die Apotheker*innen aus meinem Bekanntenkreis haben nicht auf die Video-Botschaft ihres Präsidenten gewartet, um mit der Produktion zu beginnen. Und es wäre wohl auch kein Pharmazierat auf die Idee gekommen, deswegen gegen eine Apotheke aktiv zu werden. Ja, es geht alles sehr schnell und ist teilweise kompliziert, aber in Sachen Kommunikation könnten die Verantwortlichen beim nächsten Mal gerne eine Schippe drauflegen. Dann tun sich die Apotheker am HV-Tisch auch leichter.
Wucher bei den derzeit viel gefragten Produkte ist vor allem bei „Playern“ (sic!) wie Amazon und Ebay zu beobachten, ein moderater Preisanstieg bei Versandapotheken. Vor Ort kann man sich solche Geschäftemacherei kaum erlauben, die Kunden vergessen so etwas nicht. Wo sie im Einzelfall auftauchen, sind die Reaktionen entsprechend. Wäre zu wünschen, dass sich die Leute merken, auf wen sie sich verlassen können. Keine günstige, aber immerhin eine Alternative: Notfalls kann man auch mit 4711 oder Melissengeist desinfizieren.
Viel ernster als die „Sterillium-Frage“ sind die zu erwartenden Engpässe bei Arzneimitteln. Denn Indien hat auf die Corona-Krise reagiert und für 13 Wirkstoffe den Export beschränkt. Hierzulande könnten etwa bei Paracetamol und Erythromycin Engpässe entstehen – unabhängig von den Verzögerungen, die die Epidemie in China für den Markt bringen dürfte. Doch das wird erst in einigen Monaten spürbar werden, aktuell haben alle Beteiligten noch mit dem Corona-Ausbruch an sich zu kämpfen. Hier ist der aktuelle Stand.
Die Noweda hatte wegen der Bevorratungs-Anwandlungen ihrer Kunden unter der Woche ein ganz besonderes Problem: Dem Großhändler waren die Wannen ausgegangen. Als Gegenmittel wurden Verbundlieferungen zwischenzeitlich ausgesetzt, damit nicht noch mehr Kisten unterwegs sind. Mein Vorschlag: Vielleicht könnten einige Apotheken den Weihnachtsschmuck jetzt schon vom Dachboden holen und die überaus praktischen Lagerwannen in den Kreislauf zurückführen?
Andererseits: Geschieht der Noweda auch ein bisschen recht, wenn sie den Apothekern (zumindest einigen) ab Mai zusätzlich 300 Euro monatlich abknöpfen möchte und das ganz unsensibel „SPA-Beitrag“ nennt.
Konkurrent Gehe macht unterdessen gezielt Jagd auf den genossenschaftlichen Mitbewerber. In einem Schreiben an Apotheken macht sich der Stuttgarter Großhändler über die Noweda-Plakate und sonstigen Aktivitäten der Essener lustig. Nicht besonders nett und eigentlich auch kein besonderer Mehrwert. Denn über die Pro AvO-Plattform, an der Gehe beteiligt sein wird, gibt es bis jetzt noch gar nichts zu meckern und nichts zu loben.
Und zum Schluss noch eine besonders kuriose Geschichte: Der Sohn der früheren Verpächterin war etwas zu gierig, als es um den Verkauf der Apotheke ging. Also zog der Apotheker einfach nach nebenan und eröffnete neu. Der Erbe klagte und ging mit Bausch und Bogen unter. Ende vom Lied: Er muss dem Apotheker noch zu viel gezahlte Miete in fünfstelliger Höhe zurückerstatten. Die Geschichte hätte an sich schon ApoRetrO-Potenzial. Schönes Wochenende!