Die deutsche Apothekerlobby zählt in der öffentlichen Wahrnehmung zu den besonders mächtigen – an Einfluss irgendwo zwischen der Autolobby und der katholischen Kirche. Für die Apotheker:innen an der Basis bleibt dieses Strippenziehen in Hinterzimmern zwar ebenso unsichtbar wie zählbare Ergebnisse dieser Aktivitäten in der eigenen Kasse, doch bei genauerem Hinsehen lassen sich die Erfolge nicht leugnen. Der Coup mit den Zertifikaten ist nur die Spitze des Eisberges.
„Komisch, ich hatte gar nicht den Eindruck, dass mich die Kunden als hochbegabte Trouble-Shooterin und ausgewiesene Digitalisierungs-Expertin wahrnehmen“, denkt eine Apothekerin, als sie sich an die vergangenen Wochen erinnert, in denen sie in der Offizin beschimpft wurde, weil das mit dem Ausstellen der digitalen Impfzertifikaten immer noch nicht ging, die Urlaubsreise aber schon gebucht war.
Aber das scheint nur bei ihr so gewesen zu sein, denn der Deutsche Apothekerverband (DAV) ist ja offenbar felsenfest davon überzeugt, dass die Apotheken einen gigantischen Imagegewinn eingefahren haben: „Vor-Ort-Apotheken werden damit mehr denn je als digital affine Problemlöser und Troubleshooter in der Pandemie wahrgenommen. Daran ändert die kurzfristige Nicht-Verfügbarkeit des Portals aus Sicherheitsgründen im Grundsatz nichts“, heißt es vom Verband.
Aus diesem Blickwinkel ist es auch Quatsch, wenn zornige Mitglieder jetzt personelle Konsequenzen fordern. Der Umzug in die Telematikinfrastruktur war doch Konsequenz genug und hat fast alle Probleme fast sofort gelöst. War die ganze Nummer mit dem scheunentoroffenen Portal etwa nur Mittel zum Zweck, um die fehlenden Apotheken für die TI einzusammeln? Nein, das ist nur ein böses Gerücht. Es gibt jedenfalls nichts daran zu rütteln, dass das ganze Zertifikatsdesaster ein einziger Erfolg für den DAV war. Lalalalala.
Übrigens genauso wie das Rx-Versandverbot. Nein, das gibt es nicht, aber trotzdem. Zuerst stand es mal im Koalitionsvertrag. Dann wurde Jens Spahn beim Apothekertag mit einem Attacke-Rückzug-Manöver so verwirrt, dass er ein Boni-Verbot ins SGB V schrieb. Und das hat der Minister – weil es ja sein Gesetz war – auch noch so impertinent in Brüssel verteidigt, bis die apothekenhassende EU-Kommission keinen Bock mehr hatte und ihr Vertragsverletzungsverfahren in den Schredder gab. Von langer Hand geplant, ein Lobby-Erfolg auf ganzer Linie.
Nur Phoenix muss jetzt die auslaufende App noch updaten – sonst ist Payback Day am Payback Day. Denn wenn in „deine Apotheke“ Rx-Arzneimittel vorbestellt werden, dürfen keine Pünktchen vergeben werden. Hat das Landgericht Mannheim entschieden, allerdings fand das Landgericht Hamburg in einem anderen Payback-Verfahren, dass Payback das Heilmittelwerbegesetz nicht berührt, also wird weiter gestritten.
Aber zurück zu den Lobbyerfolgen: Dass die Vergütung für neue Leistungen der Apotheken immer plötzlich und manchmal rückwirkend reduziert wird, sieht auf dem Papier ja erstmal blöd aus. ABER: Weniger Honorar heißt weniger Wettbewerb. Wer bitte will denn noch testen, wenn es sich kaum noch lohnt? Beim DAV weiß jeder, dass nur die Apotheke vor Ort so Bürokratie-gestählt ist, die ganze Dokumentation zu stemmen. Und wenn die staatliche Erstattung der Bürgertests jetzt bald ganz wegfällt, haben die Apotheken den Markt plötzlich für sich allein.
Minister Spahn überlegt sich gerade noch einen „angemessenen“ Preis, den privatwirtschaftende Händler:innen dann künftig verlangen dürfen und wird ihn dem Volk zu gegebener Zeit bestimmt mitteilen. Wenn manche/r jetzt ans Aufhören denkt, verkennt er oder sie die Langfriststrategie der Standesvertretung. Übrigens: PCR-Tests können noch ein ganz eigenes Geschäft werden.
Nicht zu vergessen: Nicht einen, sondern ZWEI Euro bekommen die Apotheken jetzt, wenn sie im gelben Impfpass Nachträge vornehmen. Auch das ein Lobbyerfolg, denn jetzt ist der Weg noch kürzer, bis in Apotheken gegen alles geimpft wird. Die Ärztelobby wird toben, aber die bekommen ja nicht einmal ihre eAU in die Software.
Sogar Shop Apotheke schmeißt sich schon voller Verzweiflung an die Apotheken ran und will sie für die eigene Plattform gewinnen. Umso mehr, als die neurotische Börse den Kurs schon wieder talwärts geschickt hat, nur weil mit Aponow/DocGreen jetzt die nächste Plattform aufgebaut werden soll.
Dem bereits real existierenden Zukunftspakt ist jetzt endlich die Sanacorp beigetreten. Die Genossen sind vereint. Vorerst behält der Großhändler sein WG-Zimmer bei der einstigen „Initiative“ zwar noch, aber die Sanacorp-Spitze lässt die Mitglieder schon wissen, was aus ihrer Sicht gesund und was gesünder ist. Aber die Konkurrenz schläft mitnichten und gesund.de wird in Apotheken jetzt noch sichtbarer: Türschild, Fensteraufkleber, zwei Plakate und Flyer. Eine Zeitung gibt es auch. Das verspricht Spannung: Denn wenn es noch ein Heft gibt, wird immer schwieriger herauszufinden sein, welchen Umsatzeffekt welche Lektüre hatte. Der Wort & Bild Verlag liefert sich mit Burda über diese Frage ein Scharmützel am Landgericht München I.
Ärger gibt es in jedem Betrieb. Vor allem, wenn sich die Wege trennen. Und manchmal treibt die Sehnsucht den rachsüchtigen Ex-Mitarbeiter des nachts zurück in die Offizin. Dieser hier soll sich seine Abfindung selbst zugesprochen haben und steht jetzt vor Gericht. Das haben dieser Inhaber und seine Ex-Filialleiterin schon hinter sich. Weil er seine Hauptapotheke schloss, hatte er für sie in Leitungsfunktion keine Verwendung mehr. Verständnis für beide Seiten, am Ende siegte hier die unternehmerische Entscheidung.
Bleibt am Ende des Rückblicks noch der Ausblick: Wir das E-Rezept der nächste große Erfolg des DAV? Wir werden sehen. Die Rechenzentren hätten die gute Idee, die Abrechnung zu beschleunigen und zu vereinfachen. Aber das geht den Verhandlungspartnern viel zu schnell. Also erstmal alle ab ins Wochenende!
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