Der Arzt in seiner Apotheke Alexander Müller, 02.03.2019 08:03 Uhr
Arzt und Apotheker, Partner und Antipoden in der Gesundheitsversorgung. Damit sie friedlich zusammen für die Menschen da sind, wurden ihre Berufe im 13. Jahrhundert strikt voneinander getrennt. Seitdem dürfen Mediziner keine Medizin mehr verkaufen. Und das hat sich bis heute gehalten, was gut ist, sonst wäre der Rezeptblock eine Gelddruckmaschine. Aber die Versuchung, kleinere Raubzüge und Plünderungen im Hoheitsgebiet des anderen zu unternehmen, ist auf beiden Seiten groß.
Fall 1) Ein Banker in Frankfurt fühlt sich wirklich schlecht. Eigentlich gehört er ins Bett, aber Krankschreibungen sind in seiner Abteilung nicht so gern gesehen. Also recherchiert er im Netz und findet einen privatärztlichen Hausdienst, der Patienten auch im Büro besucht. Und die fliegenden Ärzte stellen am Arbeitsplatz nicht nur zuverlässig ihre Diagnose, sondern bringen die benötigten Medikamente gleich mit. Alles aus einer Hand, schnell und unkompliziert (und ein kleines bisschen ungesetzlich).
Fall 2) Vor der Praxis steht ein Gehwegreiter: Ibuprofen, 400 mg, 30 Stück, heute nur 4,95 Euro!!! Drinnen geht es so weiter: Die Sprechstundenhilfe ruft laut durch die Praxis: „Voltaren-Voltaren-Voltaren-Voltareeeen! Heute im Sonderangebot. Kauf 2, Nimm 3!“ Im Wartezimmer stehen mehrere Regalmeter mit Nahrungsergänzungsmitteln, Säften und freiverkäuflichen Arzneimitteln. Vollversorgung für die Patienten, praktisch (und ein kleines bisschen ungesetzlich).
Fall 3) Ein Patient hat Probleme mit seiner Libido und lässt sich untersuchen. Ursächlich könnten psychische Probleme sein, denn eine andere Erkrankung kann der Arzt nicht feststellen. Möglicherweise gibt es hier aber auch gar kein Problem, sondern ein Verlangen. Dem Arzt egal, er händigt ein Rezept aus, lässt es sich zurückgeben und händigt dem Mann eine 12er-Packung eines Sildenafil-Generikums gegen Zahlung von 30 Euro aus. Bitteschön, viel Spaß damit, auf Wiedersehen. Wie zuvorkommend, wie angenehm diskret (und ein kleines bisschen ungesetzlich).
Und das Schönste: Nur ein Fall davon ist ausgedacht. Über Fall 1 haben wir vor einigen Wochen berichtet, Fall 3 ist brandaktuell. Das Landgericht Leipzig hat einem Urologen aus Markkleeberg tatsächlich verbieten müssen, Viagra-Generika an seine Patienten zu verticken. Überführt wurde der geschäftstüchtige Mediziner von einem benachbarten Apotheker – der Mann aus dem Fallbericht war ein von ihm gesandter Testpatient. Dass sich dieser, wie vom Arzt vorgetragen, in einer akuten Notlage befunden haben soll, die eine sofortige Abgabe des Potenzmittels unumgänglich gemacht habe, vermochte die Richter nicht zu überzeugen.
Auf der anderen Seite wurden auch wieder Apotheker abgemahnt. Nicht, weil sie ihrerseits Arzt gespielt und Rezepte ausgestellt hätten. Nein, sie haben Arzneimittel ins Schaufenster gestellt, ohne den Kunden darauf hinzuweisen, dass er bei Fragen dazu tatsächlich IN die Apotheke gehen muss. Wäre eigentlich auch ein guter Fall für die Liste oben gewesen. Wir haben einen Pflichttext-Zettel vorbereitet, können Sie sich bei Bedarf ausdrucken und ins Schaufenster hängen. Keine große Hilfe gegen die Abmahnritter, aber besser als nichts.
Gegen eine Gruppe von Wegelagerern, die den Apothekern das Geld aus der Tasche ziehen, hilft kein Warnhinweis im Schaufenster. Wir reden von Krankenkassen beziehungsweise ihren Dienstleistern, die es bei den Retaxationen übertreiben. Vielleicht hilft ein anderer Zettel: der neue Rahmenvertrag ist unterschrieben. Hier geht’s zum Faktencheck und hier zur Liste der wichtigsten Punkte. Leider wahr: Retaxationen wird es weiterhin geben und vielleicht kommen sogar neue Gründe dazu…
Aktuell hat die AOK Hessen eine alte Masche für sich entdeckt: die Tipp-Ex-Retax. Die Kasse bedauert, den Apothekern die Abrechnung kürzen zu müssen, doch müsse man eben auch „höchstmögliche Datenqualität und -sicherheit gewährleisten“. Und die ordnungsgemäße Korrektur, die nach einem Fehldruck vorgenommen werden muss, ist bereits seit 2012 in der Technischen Anlage 2 verankert.
Ausgeretaxt hat es sich vielleicht bald bei Protaxplus. Die Prüffirma von Kassen wie Novitas, Pronova und Big direkt hat Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt. Für die betroffenen Mitarbeiter ist das natürlich immer gravierend, trotzdem haben viele Apotheker das Gefühl, das es nicht den falschen erwischt. Protaxplus steht geradezu sinnbildlich für Nullretaxationen aufgrund kleiner Formfehler. Besonders partnerschaftlich im Umgang mit den Leistungserbringern war die Firma jedenfalls nie.
Auch Hexal kürzt, aber nur Bestellungen. „Hamsterkäufe“ vor einer Preisanpassung sind in Holzkirchen nicht gern gesehen – und daher nicht möglich. Wer sich vor der Preiserhöhung zum März noch mit Direktware von Ambrohexal Hustenlöser (Ambroxol), ASS + C, Paracetamol 500 oder ACC akut (Acetylcystein) bevorraten wollte, wurde bitter enttäuscht. Kurz vor dem 1. März waren nur „realistische Mengen für einmalige kurzfristige Bestellungen“ möglich. Die feine englische Art hat den Brexit offenbar schon hinter sich.
An den Gesetzen, die Minister Jens Spahn (CDU) für die Apotheker vorgesehen hat, wird in Berlin eifrig gestrickt. Ein Wunsch des Gesetzgebers: Das Bundesgesundheitsministerium möchte genauer wissen, was die Apotheker im Notdienst so treiben. Spahn soll Einblick in die Zahlen des Nacht- und Notdienstfonds erhalten, der später zudem weitere Aufgaben übernehmen soll.
Die Aufgaben der Großhändler und ihre Leistung sind fraglos vielfältig und komplex. Auch benötigen sie dafür wirklich pharmazeutische Fachkompetenz? Die Sanacorp meint Nein, das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen meint Ja. Die Urteilsgründe liegen nicht vor, aber Revision zum Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) ist zugelassen.
Vor dem Landgericht Leipzig wurde erneut über falsche Quittungen von DocMorris verhandelt. Weil die niederländische Versandapotheken privatversicherten Kunden Belege ohne die gewährten Boni ausstellt, leistet sie aus Sicht der Richterin Beihilfe zum Betrug. Dabei hat das Oberlandesgericht Stuttgart diese Praxis schon vor geraumer Zeit verboten. Aber jetzt seien die Quittungen wirklich angepasst worden, versicherte der DocMorris-Anwalt vor Gericht.
Ebenfalls vor Gericht landen wird sehr wahrscheinlich dieser Fall: In Süddeutschland besteht der Verdacht auf einen millionenschweren Korruptionsskandal im Gesundheitswesen. Am Dienstag führten die baden-württembergische und die bayerische Polizei in beiden Bundesländern konzertierte Razzien an mehreren Standorten durch. Ein Medizinproduktehersteller soll zusammen mit mehreren Ärzten jahrelang organisierten Betrug mit Blankorezepten begangen haben.
Apotheker haben so etwas gar nicht nötig, die verdienen eh genug. Ach halt, das war in den USA. Aber jetzt ab ins Wochenende und falls Sie Karneval feiern, verkleiden Sie sich doch als Arzt, dann dürfen Sie fast alles! Alaaf und Helau!