Apothekerin Juliane Tollsdorf sitzt in einem weitgehend leeren Raum mit einer auffällig verspiegelten Glasscheibe. Am Tisch ihr gegenüber sitzt ein Polizist. Allmählich wird sie nervös. Wie sie in diese Szenerie gekommen ist, die sie bislang nur aus Kriminalfilmen kannte? Sie wollte kranke Kinder mit Trinknahrung versorgen.
Der Morgen ging noch halbwegs normal los, denn Tollsdorf kennt das Spiel. Sie weiß aus anderen Hilfsmittelverträgen, dass man sich auch als approbierte Apothekerin erst als würdig erweisen muss, um die Versicherten einer Kasse betreuen zu dürfen. Präqualifizierung heißt das böse Zauberwort, das Tollsdorf an sich schon als bewusste Provokation empfindet. Als würden drei Staatsexamina nicht ausreichen, um zu wissen, wie man einen Karton Windeln korrekt lagert.
Aber sie hat es sich abgewöhnt, sich darüber aufzuregen. Sie hat also auch für die nächste Kasse wieder die Liege im Beratungsraum fotografiert, wie gewünscht von beiden Seiten und obwohl es nur um Trinknahrung geht. Sie hat das Kunststück vollbracht, den Ganzkörperspiegel in voller Größe zu fotografieren, ohne selbst im Bild zu sein und überlegt schon, wie sie daraus ein Spiel für die Weihnachtsfeier machen kann. Die Leiter-Schulung des Teams hat sie noch vor sich. Manchmal fragt sich Tollsdorf, ob bei den Krankenkassen eigentlich durchtrieben Witzbolde sitzen und sich absichtlich immer absurdere Vorgaben überlegen. Einfach nur um zu sehen, wie weit sie gehen können. Sie will nicht weiter darüber nachdenken, macht schnell noch ein Foto von der Kamera, mit der sie die Fotos gemacht hat und hat jetzt fast alles zusammen.
Fast. Denn es fehlt noch die Auskunft aus dem Gewerbezentralregister. Keine Ahnung, wo man sowas herbekommt. Irgendwo erhält sie die überraschende Auskunft, dafür sei die Polizei zuständig. Ihr Führungszeugnis hat sie eigentlich schon, sie geht aber trotzdem zur Wache. Polizeioberkommissar Hundt ist am Anfang noch freundlich, wirkt aber etwas überfragt.
Hundt: Was für eine Auskunft wollen Sie?
Tollsdorf: Na vom Zentralregister.
Hundt: Ein polizeiliches Führungszeugnis?
Tollsdorf: Nein, das hab‘ ich alles schon eingetragen.
Hundt: Was haben SIE da eingetragen?
Tollsdorf: Kein Eintrag, obwohl die ja immer denken, dass wir alle Schwerverbrecher sind.
Hundt: Wer sind die?
Tollsdorf: Na diese Heinis, die meinen, ich wüsste nicht selbst, wie man Trinknahrung an Kinder abgibt.
Hundt: Das Jugendamt?
Tollsdorf: Hä, nein! Woran denken Sie denn jetzt?
Hundt: Woran denken Sie denn?
Tollsdorf: Na an die KASSE!
Hundt: Also ich tue jetzt mal so als hätte ich das nicht gehört. Sie wollen doch keine Anzeige wegen versuchter Bestechung…
Tollsdorf: Ich möchte eine Anzeige erstatten: Wegen präqualifizierter Erpressung.
Auch wenn die Präquali-Odyssee dieser Apothekerin in Wahrheit nicht im Verhörraum geendet ist – erstaunlich viel an dieser Geschichte stimmt. Die Fotos von der Liege und dass ihr irgendeine Behörde fälschlicherweise gesagt hat, sie müsse bei der Polizei nachfragen. Die Hilfsmittelversorgung machen Apotheken – wenn überhaupt – nur noch für ihre Patientinnen und Patienten. Lohnen tut sich das meistens nicht mehr und Spaß macht es auch nicht. Ihr Fazit: „Das Schlimmste war das Gewerbezentralregister.“
Zu dem alltäglichen Wahnsinn kommt aktuell eine neue Herausforderung: Kunden, die Jod-Präparate hamstern und gegen jede noch so geduldige Beratung resistent sind. Die Abverkaufszahlen haben sich seit Beginn der Ukraine-Krise vervielfacht, die Teams in den Apotheken können die Verunsicherung bis Panik nicht auffangen.
Das sind nur die kleinen Randerscheinungen des brutalen Angriffskriegs Putins auf die Ukraine. Auch die Hersteller müssen sich irgendwie positionieren, wenn sie Geschäfte in oder mit Russland machen. Das ist manchmal ein schwieriger Spagat zwischen politischer Haltung und Verantwortung gegenüber den Patient:innen in Russland. Den Menschen in der Ukraine wollen viele Apotheken helfen. Andreas Portugal von den Apothekern ohne Grenzen berichtet, wie die Hilfe organisiert wird, was derzeit besonders dringend benötigt wird und wie sich Apothekenteams auch hierzulande einbringen können.
Es ist nach wie vor schwierig, von diesem alles beherrschenden Thema auf irgendein anderes zu kommen. Selbst Corona ist in der Aufmerksamkeit plötzlich weit abgefallen. Dabei haben viele Apotheken ganz akute Probleme, weil immer mehr Kolleginnen und Kollegen mit einer Infektion ausfallen. Wenn gar nichts mehr geht, muss der Betrieb vorrübergehend schließen. Die ohnehin dünne Personaldecke in vielen Apotheken kommt schnell an ihre Grenzen. Kein Wunder, dass diese Inhaberin ihre „Super-PTA“ lieber gar nicht öffentlich zeigen möchte – aus Angst vor Abwerbeversuchen.
Kaum absehbar, wie sich die Corona-Zahlen entwickeln werden, wenn am 20. März viele Lockerungen in Kraft treten. Vieles ist noch unklar: Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat zwar versichert, dass die kostenlosen Bürgertests erhalten bleiben sollen. Aber wird die Infrastruktur an Teststellen tatsächlich aufrecht erhalten, wenn die Nachweispflicht weitgehend entfallen sollte? Heute schlagen sich die Apotheken noch mit insuffizienten Lolly-Tests herum oder mit Zertifikaten, die im Einzelfall zum Minusgeschäft werden können.
Vom E-Rezept spricht aktuell keiner mehr. Fast keiner. Nachdem Lauterbach recht deutlich gemacht hat, dass ihm das Projekt nicht sonderlich am Herzen liegt, hat Gematik-Chef Markus Leyck Dieken die Fortführung der Testphase beteuert – die dann aus dem Bundesgesundheitsministerium auch gleich bestätigt wurde. Die Gematik hat jetzt sogar eine Ampel für die Softwarehäuser, das Dashboard wartet noch auf die große Welle.
Ein paar ganz alte Themen gab es auch noch diese Woche: Der Deutsche Apothekerverband (DAV) muss vor neuen Retaxationen der Krankenkassen warnen (diesmal Entlassrezepte) und DocMorris streitet mit der Kammer Nordrhein (diesmal über Schadensersatz). Und ein Ausblick: Ex-Minister Jens Spahn (CDU) und viele Freunde aus der Union sind im Masken-Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtags geladen. Als Zeugen natürlich! Schönes Wochenende!
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