Apotheker denkt radikal um Alexander Müller, 31.07.2021 07:48 Uhr
„Nein, das geht noch nicht“, sagt Apotheker Hendrik Rose durch die geschlossenen Zähne. Eben hat wieder ein Kunde nach einem Impfzertifikat gefragt. „Ja, ich weiß, dass das in der Bild-Zeitung stand. Es geht aber noch nicht.“ Der Kunde geht empört. Hendrik Rose sagt der nächsten Kundin, dass er ihr LEIDER NOCH KEIN IMPFZERTIFIKAT ausstellen kann. Aber die will „heute nur die Zeitung“. Rose dreht sich um und verschwindet wortlos im Büro. Er hat eine radikale Idee und will sie sofort umsetzen.
Am nächsten Morgen hat sich eine kleine Menschentraube vor der Apotheke gebildet. Die Kund:innen staunen nicht schlecht, als sie das Schild an der Apotheke lesen. „In dieser Apotheke werden Sie mit Arzneimitteln versorgt und umfangreich dazu beraten.“ Und in etwas kleinerer Schrift darunter: (Masken, Tests, Zertifikate und Traubenzucker gibt es auch.)
Wie denn das zu verstehen sei, will eine Kundin wissen. Es ist die Dame von gestern, sie hatte das Seniorenheft vergessen. „Ganz einfach, sie schildern mir Ihre gesundheitlichen Beschwerden und ich suche ihnen ein Mittel raus, das dagegen hilft. Wie geht es Ihnen denn?“ Die Kundin antwortet ganz perplex, dass sie eigentlich nur ein bisschen Kopfschmerzen hat (vom vielen Rätseln in der Zeitung vermutlich).
Nachdem der Apotheker sie versorgt hat, lehnt er sich noch einmal über den HV-Tisch und raunt in verschwörerischem Ton: „Und jetzt verrate ich Ihnen noch ein Geheimnis: Wenn es Ihnen mal richtig schlecht geht, dann bringen Sie mir von Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin diesen kleinen rosa Zettel – dann habe ich noch ganz andere Sachen für Sie.“ Die Kundin lächelt, zwinkert und will hinausgehen. Auf halbem Weg dreht sie um und kommt zurück: „Könnten Sie mir vielleicht auch so ein Impfzertifikat ausstellen?“ „Aber selbstverständlich. Einen kleinen Moment nur“, sagt Hendrik Rose und geht aufs Portal, das zum Glück heute wieder funktioniert.
Die Apotheker:innen haben sich gewünscht, neue Aufgaben zu übernehmen. Sie impfen gegen die Grippe und sie verhandeln noch über eine angemessene Vergütung für „pharmazeutischer Dienstleistungen“. Sie waren und sind sehr gerne bereit, in der Corona-Pandemie ihren Beitrag zu leisten. Aber für dieses Jahr reicht es allmählich. Erst die Masken-Coupons, dann die Testzelte und jetzt die Zertifikate. Und immer wieder Ärger – mit dem gestressten Team, mit dem volatilen Honorar, mit dem Spahn.
Die Zertifikatenummer war schon fast filmreif. Weil der Deutsche Apothekerverband (DAV) sein Portal so sicher wie ein einstelliges Zahlenschloss aufgebaut hatte, musste alle Apotheken vom Netz. Natürlich brach in der Bevölkerung sofort Panik aus. Nur mancher Arzt mag sich heimlich ein bisschen gefreut haben, dass die Streber in der Offizin mit ihrer superschnellen Lösung auch einmal auf die Nase fallen. Der DAV blieb sehr konsequent in seiner Kommunikationspolitik: Jeden Tag wurden die Apotheker:innen informiert, dass es heute noch nicht geht und es morgen eine neue Meldung geben werde.
Dabei war klar, dass das Portal nur wieder würde online gehen können, wenn es an die TI angeschlossen sein würde – so wie es das Bundesgesundheitsministerium (BMG) von Anfang an gewünscht hatte. Und dass das ein paar Tage dauern würde. Jetzt ist es geschafft, die vom DAV beim ersten Launch der Impfzertifikate noch verschmähten Softwarehäuser sind sehr schnell eingesprungen und haben die Lösungen gefunden. Expert-Tipp vom DAV: Den Cache löschen („Have you tried turning it off and on again?”). Die neuerlichen Ausfälle sind aber wohl auch dem Ansturm geschuldet – Post-Corona wird sich womöglich der Begriff Toilettenpapier-Effekt für diese besondere Form der Schwarmintelligenz durchsetzen.
Ausgebootet sind jetzt allerdings die Apotheken, die sich – aus welchen Erwägungen auch immer – bis heute nicht an die TI angeschlossen haben. Auf einmal haben die es sehr eilig und machen bei ihren Softwarehäusern Druck. Nicht so Rudi Ebner, denn der wird nie wieder ein Zertifikat ausstellen, was er allerdings verschmerzen kann. Denn er schließt seine Apotheke Ende des Jahres und beendet sein Berufsleben folglich ohne E-Rezept. Ren-T statt SMC-B. Merke auch: In einer OHG brauchen nicht beide Gesellschafter eine Karte, egal was die Kammer sagt. Dafür bekommen PTA jetzt einen elektronischen Berufsausweis.
In zwei Monaten ist Bundestagswahl. Die Apotheken kommen in den Wahlprogrammen der großen Parteien kaum vor. Aber warum das auch eine Chance sein kann, haben Thomas Bellartz und ich in unserem Podcast NUR MAL SO ZUM WISSEN besprochen. Wir finden, auch wenn es mühselig ist: Die Apotheker:innen müssen sich in den Wahlkampf einmischen und den Kandidaten zeigen, was sie drauf haben.
Wie das geht, hat Petra Verhoeven gezeigt: Sie hat CDU-Nachwuchshoffnung Georg Günther zu sich in die Apotheken eingeladen. Der kandidiert ist Angela Merkels Wahlkreis, will sich auf den Mutti-Bonus aber nicht verlassen, sondern bei Kurzpraktika dazulernen und für sich werben. Was heißt hier kurz: Von halb acht morgens bis nach drei am Nachmittag war er in der Korallen-Apotheke. APOTHEKE ADHOC hat ihn beim Salbenrühren mit der Kamera überwacht. Verhoeven zählt nebenbei auch zu den AvP-Opfern. Das laufende Insolvenzverfahren wird von den Krankenkassen nicht unbedingt bedingungslos unterstützt, glaubt man dem zweiten Bericht des Insolvenzverwalters.
Aus der Welt der Pharmazie gibt es noch zu berichten, dass die Zulassung von Tetrazepam nun endgültig futsch ist und die ersten Hersteller bei Titandioxid reagieren. Und dass der ewige Streit um die Opiumtinktur weitergeht. Hier gibt es noch die Geschichte der letzten DocMohikaner. Schönes Wochenende!