Apotheken nach hinten priorisiert Alexander Müller, 08.05.2021 07:55 Uhr
Impfneid ist ein hässliches Wort für eine hässliche Sache. Aber so langsam hat Apothekerin Antje Beck wirklich die Nase voll davon, ständig anderen den Vortritt zu lassen. Ständig wird sie „nach hinten priorisiert“. Bei der letzten Aktualisierung der Prio-Listen stand sie kurz vor dem Versuch, sich den Impfstoff selbst im Labor zusammen zu mischen. Aber ihr fehlte Muskat.
Damit das klar ist: Apothekerin Antje ist absolut für die Priorisierung: Zuerst geimpft werden soll, wer besonders gefährdet ist – sehr alte Menschen, Risikopatient:innen, Pflegepersonal. Und auch wenn ihr Filialleiter gern martialisch davon spricht, sie würden „an der Front die Stellung halten“, weiß eigentlich jeder in der Apotheke, dass es ein paar Berufe mit deutlich höherem Expositionsrisiko gibt. Antje wäre nur einfach wahnsinnig gerne geimpft, sie fiebert ihrer Impfreaktion gewissermaßen entgegen.
Antje ist eine engagierte Apothekerin mit hohem Sozialbewusstsein. Sie wollte im Impfzentrum helfen – aus Überzeugung, nicht, um den Schuss zu kriegen. Doch Pharmazeut:innen waren da schon nicht mehr gefragt. Ein Testzelt vor der Apotheke wollte das Team nicht, die Chefin gab sich demokratisch geschlagen. Hieß für sie: Weiter Prio-Gruppe 3, weiter abwarten.
Sehr ungern beteiligt sich Antje an Systemrelevanz-Debatten, in welchem Verhältnis Apothekenteams zu „Mitgliedern in den Regierungen und Verwaltungen“, Polizisten und Zöllner stehen. Sie würde sich und ihre Kolleg:innen bei aller Bescheidenheit zwar nicht hinter Wahlhelfer:innen einsortieren, aber geschenkt. Aber jetzt werden regional Mitarbeiter:innen von Drogerien und Supermärkten sogar vorgebeten. Weil die keine so starke Lobby haben. Antje lacht bitter, als sie das liest.
Aber das ist noch nicht das Ende: Mitarbeiter:innen in Reisebüros rutschen vor die Apotheken, schließlich sollen die Beschränkungen ja bald fallen – zumindest für Geimpfte. Und die müssen schließlich wissen, wohin mit der neuen Freiheit und vor allem, wo die ist. Endgültig als Wahlkampfmanöver interpretiert Antje aber die Priorisierung von Minigolfanlagenbesitzer:innen und Spaßbadbetreiber:innen. Und in Eckkneipen ohne eigene Küche darf man jetzt schon nach der ersten Impfung?!
Auf den Weg, sich ihren eigenen mRNA-Impfstoff zu kochen, brachte Antje aber schließlich Prio-Gruppe 3.6b: „Tiere, die in Einrichtungen und Diensten der Kinder- und Jugendbetreuung tätig sind und aufgrund ihrer besonderen Flauschigkeit zur Bekämpfung Coronamaßnahmen-bedingter psychischer Vereinsamungseffekte eingesetzt werden können, insbesondere Shetlandponys, Alpakas und Vikunjas.“
Was stimmt aus dieser Geschichte, ist das Ansinnen von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU), Beschäftigte im Lebensmitteleinzelhandel und Drogeriemärkten schnell zu impfen. Und das mit der Lobby hat er auch gesagt. Die Apotheken haben eine Protestnote hinterlegt.
In Brandenburg verweist ein Apotheker auf die Risiken für die Versorgung, falls Apotheken im Flächenland wegen einer verhängten Quarantäne schließen müssen. Und selbst wenn „nur“ einzelne Mitarbeiter:innen ausfallen, kann es schnell zum Personalengpass kommen – dazu gesellen sich neuerdings von ungeklärten Fragen der Lohnfortzahlung. Die Behörden interpretieren das Infektionsschutzgesetz offenbar vermehrt in ihrem Sinne.
Die positive Nachricht: Es geht voran beim Impfen. Auch wenn die Apotheken jetzt mit vier Impfstoffen jonglieren müssen, freut sich jeder über die Beschleunigung bei der Impfkampagne. Jetzt steigen auch noch die Privatärzte ein. Frust in den Arztpraxen kommt allenfalls auf, wenn zu viele Patient:innen den Impfstoff von AstraZeneca ablehnen. Diese Hausärztin hatte die Faxen dicke und impft jetzt direkt vor dem Supermarkt. Die Priorisierung für Astra wurde komplett aufgehoben (das wäre eine Chance für unsere Antje).
Weil der Aufwand mit den Impfstoffen erheblich ist, zahlt dieser Chef seinem Team einen Bestell-Bonus. Vermutlich hat er den steuerfreien Corona-Bonus schon gefeuert. Für alle Inhaber:innen, die ihrem Team noch keine Sonderzahlung gewähren konnten oder wollten, wurde nun zumindest die Frist verlängert: Bis März 2022 ist der Bonus steuerfrei.
Apropos Fristen: Hatten Sie auch damit gerechnet, ab Juli mit E-Rezepten rechnen zu müssen? Müssen Sie nicht – nur in Berlin und Brandenburg und Teilen Hollands – Shop-Apotheke ist dabei – bestehen im Sommer Chancen auf elektronische Verordnungen. Gematik-Chef Dr. Markus Leyck-Dieken konnte im Video-Interview fast glaubhaft versichern, dass das nie anders geplant war. Leider hat sich die ansonsten so schweigsame Pressestelle der Abda in diesem Fall verquasselt: Der Beschluss zum Eindampfen der Testregion wurde ein Tag nach Verkünden gefällt. Soviel zur von Laumann zitierten mächtigen Lobby. Ich hol mir jetzt einen Impftermin, schönes Wochenende!