Apotheke soll Wahlkampf retten Alexander Müller, 04.09.2021 08:02 Uhr
Der Kunde war Apotheker Ziad Selo schon aufgefallen. Er hatte sich eine Weile vor der Apotheke herum gedrückt und den Moment abgepasst, bis die Offizin frei war. Mit der Hand vorm Mund hatte er von der Tür aus gerufen, dass er Hilfe brauche, aber leider seine Maske vergessen habe. Ziad nimmt eine FFP2 und bringt sie dem Kunden zur Tür. Bitte. Danke. Hereinspaziert. Das ist aber nicht das Einzige, das dem Kunden fehlt.
Als der Mann kurz die Hand vom Mund genommen hat, um die Maske aufzusetzen, kommt dem Apotheker das Gesicht irgendwie bekannt vor. Aber nach anderthalb Jahren sehen ohne Maske alle irgendwie gleich aus…
Gemeinsam gehen der Apotheker und sein maskenerstversorgter Kunde zum HV-Tisch. „Was kann ich denn noch für Sie tun“, fragt jener. Halblaut berichtet dieser, dass er unter Lampenfieber leide und bei öffentlichen Auftritten manchmal patze. Ob es da nicht etwas gebe? Ziad findet, dass es ganz normal und sympathisch ist, wenn jemand ein bisschen aufgeregt wird. Naja, schon, antwortet der Kunde, er müsse nur demnächst wieder vor einem sehr großen Publikum sprechen. Und da seien noch zwei andere und die seien so gemein. Ein einfaches Beruhigungsmittel sollte helfen. Aber Vorsicht, es kann ein bisschen müde machen. Das beunruhigt den Kunden ein bisschen, er darf auf keinen Fall schläfriger werden.
Was sonst? „Ich habe manchmal zu gute Laune, wenn es gerade gar nicht passt. Gibt es vielleicht sowas wie Anti-Anti-Depressiva?“ Nein, da muss Ziad leider passen, aber es gibt Mittel zur Steigerung der Konzentrationsfähigkeit. Dieses hier freiverkäuflich, für das andere bräuchte der Kunde ein Rezept. „Könnte ich nicht das stärkere ausnahmsweise so bekommen?“, fragte der Kunde und zwinkert kameradschaftlich. „Drei Worte: Ich mache es nicht“, antwortet der Apotheker und zwinkert zurück.
Der Kunde ist leicht rot angelaufen hinter seiner Maske, was ihm doppelt unangenehm ist. Um die Situation aufzulösen, fragt Ziad: „Möchten Sie vielleicht noch eine Zeitung?“ „Ach die Rentner-Bravo, also bei mir gibt’s die garantiert ab 67“, witzelt der Kunde, plötzlich wieder gut gelaunt. „Nein, wir sind beim Zukunftspakt und haben die My Life“, antwortet der Apotheker. „Zukunftspakt“, murmelt der Kunde, „Zukunftspakt. Zukunft. Das ist gut. Ich brauche auch einen Pakt, ich schaffe das nicht alleine. Aber ne, Pakt passt besser zum Markus, dem alten Mephisto, ich brauche ein Team. Ein Zukunftsteam.“
Als der Kunde weg ist, geht der Apotheker wieder ins Büro zurück und liest bei APOTHEKE ADHOC, dass 37 Prozent seiner Kolleg:innen noch nicht wissen, wen sie wählen wollen und dass ganz schön viele Angst vor der zeit nach der Wahl haben. Das mit der Angst geht Ziad nicht so, dafür haben die Apotheken zu viel geleistet, aber die Unentschlossenheit fühlt er auch so. Im Notdienst will er den Podcast: NUR MAL SO ZUM WISSEN hören, vielleicht hilft das ja weiter, denn es geht um die Bundestagswahl. Während er sich später die Spekulationen über mögliche Koalitionen anhört, blättert er durch die Gewinner:innen der VISION.A-Awards. Das sind wirklich tolle Projekte dabei.
Aber dann hat ihn der Alltag schnell wieder: Neue Festbeträge sorgen dafür, dass einige Sondergrößen in Gefahr sind und auch bei Cannabis aus der Apotheke muss er sich auf Reformen einstellen. Bei der Verteilung der Corona-Impfstoffe ändert sich ja sowieso ständig etwas. Jetzt dürfen Apotheken also auch Impfzentren betreiben. Aber nicht werden: Die Abda betont, dass die Betriebsräume nicht mit der Tätigkeit kontaminiert werden dürfen. Merke: Grippe-Impfungen können apothekenüblich sein, Corona-Impfungen nicht.
Um ein anderes großes Zukunftsthema ist es nach Ziads Geschmack etwas ruhig geworden: Was ist denn nun mit der E-Rezept-Einführung? Okay, diese Verordnung kommt also nicht mehr vor der Wahl, aber werden denn wenigstens die Ärzte bald mal ihre Software ans Laufen bekommen? Beim E-Rezept-Panel lernt er, dass es wichtig sein wird, einlaufende E-Rezepte schnell zu bemerken. Denn der digitale Kunde ist ein verwöhnter.
Was sich mit dem E-Rezept ja hoffentlich vereinfacht, ist die Abrechnung. Wobei manchem Kollegen zu viel Datentransparenz auch wieder nicht recht ist. Ein Apotheker aus Berlin ist gegen den Fiskus bis vor den Bundesfinanzhof (BFH) gezogen. Die Richter bestätigten rückwirkend, dass sich das Finanzamt die Rezeptdaten direkt vom Rechenzentrum schicken lassen durfte – und dies auch vorher androhen durfte.
Noch vor Gericht verhandelt wird Teil 1 des AvP-Prozesses. Dabei geht es aber nicht um die Verstrickungen der fünf Beschuldigten im Vorfeld der Insolvenz, sondern vorerst nur um die Steuervergehen des ehemaligen Big Boss. Diese hat er inzwischen auch eingeräumt, das Urteil wird für den 20. September erwartet, es könnte sich aber auch noch etwas verzögern.
Zum Schluss noch zwei Unannahmlichkeiten, die Apothekeninhaber:innen ereilen können: Pöbelnde Kunden (sogar mit Kind) und klauende PTA. Auf dass Ihnen beides erspart bleibe! Schönes Wochenende!