AOK empfiehlt Tele-Chirurgie Alexander Müller, 22.04.2023 08:00 Uhr
Die AOK hat einen weiteren heißen Tipp für ihre Versicherten: Kleinere chirurgische Eingriffe seien mit telemedizinischer Hilfe bequem und schnell zu Hause durchführbar, heißt es auf der Homepage der Kasse. Online gibt es laienverständliche Demovideos von Ärztinnen und Ärzten „mit behördlicher Zulassung“, versichert die AOK.
„Oft sind kleinere Operationen kostengünstiger zu Hause durchzuführen als in der Klinik vor Ort. Wer regelmäßig unters Messer muss, zum Beispiel wegen Schnittverletzungen, Biss- und Risswunden oder Nagelwallentzündungen, also keine Vollnarkose benötigt, kann selbst zum Skalpell greifen und beim Kauf des 10-teilgen chirurgischen Instrumentensatzes von den günstigen AOK-Preisen profitieren“, wirbt die Kasse auf ihrer Onlineseite.
Wer hier unter telemedizinischer Anweisung erste Punkte im DIY-Bonusprogramm der Kasse gesammelt hat, kann Level 2 freischalten. „Geübtere Hobbychirurgen können ohne Probleme auch eine Appendektomie vornehmen (Blinddarm entfernen) oder einfache Brüche richten“, teilt die AOK mit. Das Operieren am PC spare den weiten Weg zur nächsten Klinik und lange Wartezeiten.
Auf die Nachfrage, ob man medizinische Eingriffe nicht lieber den Profis überlassen sollte, teilte die Kasse mit, dass Ärzt:innen auch Kunstfehler unterliefen. Außerdem liege es im Interesse der Versicherten, wenn Beitragsgelder gespart werden können. Und wenn es doch mal schief geht? „Dann kann man immer noch ins Krankenhaus. Die Kosten für diese Folgebehandlung trägt der oder die Versicherte dann allerdings selbst, schließlich ist der Zustand durch unsachgemäße Durchführung entstanden.“
In der nur unmerklich weniger skurrilen Realität hat die AOK ihren Versicherten empfohlen, OTC-Arzneimittel bei Versandapotheken zu beziehen, weil das günstiger ist. Besonders wertvoll ist der Tipp für die hier aufgeführten, typischerweise aber akut benötigten Schmerzmittel. Als Erstes: Was geht die Kasse das überhaupt an, wo sie doch seit 20 Jahren keinen Cent mehr davon bezahlt?
Und zweitens: Seit wann empfiehlt eine Kasse einen Anbieter?! Halt Stopp, verteidigt sich die AOK, man habe nie die Nutzung einzelner Leistungserbringer empfohlen. Wenige Sätze später räumt die Kasse ein, „dass die recht offensiv formulierte Empfehlung zur Nutzung von Versandapotheken zu Irritationen geführt hat“. Das ist Kassenlogik. Irgendwie wäre eine Erklärung wie: „Irgendeine Agentur pflegt unsere Homepage, das ist uns einfach durchgerutscht, sorry“, sympathischer und glaubhafter gewesen.
Und die Kassen haben uns in dieser Woche weitere Positivmeldungen beschert: Weil eine Apotheke jetzt aus der berufsunwürdigen Präqualifizierung raus will, droht die AOK mit einer Vertragsstrafe. Und in einem anderen Fall ist die Patientin sogar verstorben, bevor die Genehmigung der Kasse für die Einmalspritzen und die passenden Kanülen eintraf. Zum Glück konnte die Apothekerin die im Sterben liegende Patientin trotzdem mit Midazolam versorgen.
Solche Verzögerungen können aber auch die Medikation betreffen. Weil AstraZeneca mehrere Hochpreiser nicht an die Großhändler gibt, dauert die Auslieferung Tage statt Stunden. Jetzt ist der Fall eingetreten, vor dem Apotheker Dr. Christian Fehske immer gewarnt hat: Eine Patientin ist genau in dieser Zeit verstorben. Auch wenn die lieferbedingte Therapieunterbrechung bei der schwerkranken Frau sicher nicht ausschlaggebend war, Fehske sieht nicht ein, warum er und seine Kollegen aus reiner Profitgier der Konzerne in so eine Situation gebracht werden.
Von Profitgier kann bei DocMorris keine Rede mehr sein. Der ehemalige Angstgegner der Apothekerschaft ist einem erbarmungswürdigen Zustand: Der Bereich der Versandaktivitäten im Konzern schrumpfte in Q1 abermals um 26 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahr hat der Versender 2,6 Millionen Kund:innen verloren.
Keinen Ärger mit der Kasse, sondern mit der Kammer, hat eine wohlbekannte Apothekerin aus Zwickau. Es geht um die Engpässe, Kontingente und Kontrahierungszwang. Wenn Sie, liebe Leserin, lieber Leser, als einzige/r noch keinen Kommentar zu diesem Sachverhalt abgegeben haben, ist jetzt noch die Chance dazu.
Und die Abda: Die plant einen Protesttag, irgendwann im Juni. Ideen werden gesammelt, allerdings in einem ausgesuchten Kreis. Bei einer anderen Umfrage dürfen alle mitmachen: Worauf soll sich die Abda in ihrem politischen Kampf konzentrieren? Bei einer Sache ist sich die Abda sicher: Keine pDL per Videosprechstunde.
Akut bleibt das Problem der Engpass-Prämie. Wie das mit den 50 Cent gehen soll und wer das am Ende zahlt, wird sich noch zeigen müssen. In den Apotheken drohen gerade bei Antibiotika allmählich Triage-Situationen: Wer bekommt die letzte Packung? Und auch bei den Allergie- und Asthmamitteln sieht es nicht gut aus.
Der letzte Blick vorm Wochenende geht nach Luxemburg: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) soll entscheiden, ob Desinfektionsmittel hautfreundlich genannt werden dürfen. Das ist uns ehrlich gesagt vollkommen egal, wir sind hier wegen des Verfahrens zur DocMorris-Plattform in Frankreich. Da werden alte Erinnerungen wach. Schönes Wochenende!