Kurz vorm Durchbruch wird es nochmal richtig knapp: In den letzten beiden Maiwochen gibt es nochmal massive Kürzungen bei den Corona-Impfstoffen – wegen der völlig unerwartet hohen Nachfrage. Viele Apotheker:innen kriegen schon Ohrenschmerzen, wenn sie nur dran denken: Dieses Gebrüll vom Arzt schon wieder! Doch die Sorge ist unberechtigt: Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat direkt interveniert und per Rechtsverordnung das Impfstoffverteilungsdiskriminierungsverbot verhängt. Durchsetzen müssen es – wer auch sonst? – die Apotheken.
Es sah so gut aus, doch dann gibt es kurz vor der angekündigten Impfstoffschwemme im Juni nochmal echte Engpässe. Nur ein Vial Comirnaty für Erstimpfungen, Kürzungen bei AstraZeneca – und die Janssen-Premiere wird wohl auch eher einem Testlauf in Berlin-Brandenburg ähneln als einem bundesweiten Aufschlag. Man könnte sagen: Es gibt so wenig Impfstoff, dass die ersten Länder sich trauen, die Priorisierung komplett aufzuheben. Wenn der Impfstoff fehlt, muss auch nicht priorisiert werden.
Die Ärzte kriegen schon Schnappatmung und suchen Wege, sich über das Zweitimpfungsrezept zusätzliche Dosen zu erschleichen. Und dabei wissen die noch gar nicht, dass es noch dicker kommt – beziehungsweise dünner. Denn dem BMG ist aufgefallen, dass es erneut einen Millionenbetrag für eine recht dilettantische Dienstleistung verfeuert hat: Diesmal hat sich die beauftragte Unternehmensberatung nicht beim Maskenpreis grob verschätzt, sondern bei der Zahl der Arztpraxen in Deutschland. Die Folge: Statt eines Vials pro Praxis bleibt nur eine Dosis übrig.
Es muss also Impfstoff gespart werden, am besten natürlich bei den Apotheken. Gern hätte sich das BMG dabei auf die Länder verlassen: In Nordrhein-Westfalen beispielsweise weiß Kultminister Karl-Josef Laumann, wie man richtige Prioritäten setzt. Gerichtsvollzieher und Steuerfahnder werden geimpft, Apothekenmitarbeiter nicht. Logisch – bei den Mengen an Steuergeld, die Väterchen Staat gerade unters Volk bringt, muss sichergestellt sein, dass er an anderer Stelle möglichst viel wieder reinholen kann. Quarantänebedingte Pfändungsaussetzungen müssen da unbedingt vermieden werden.
Doch wie immer ist es Berlin, das alles vermasselt: Da wollte der Gesundheitssenat das Problem elegant lösen, indem er die Apotheken in der Priogruppe 3 einfach nicht nennt, sondern nur nebulös von „Personen in besonders relevanter Position in Einrichtungen und Unternehmen der kritischen Infrastruktur“ spricht. Doch da hakte die Kammer nach: Wer soll das denn sein? Die Antwort ist einfach, aber schmeichelnd: Vom Apothekenpersonal ist wirklich jede:r „besonders relevant“.
Die Antwort zeigt aber auch: So einfach ist das nicht mit dem Ausschließen – erst recht nicht bei den Ärzten. Vielleicht könnte man ja auf freiwilliges Engagement zur Arbeitsvermeidung hoffen, den sogenannten Urlaub. Aber nein, die akuten Sonnenscheinengpässe lassen einen massenhaften Mediziner-Exodus in den kommenden beiden Wochen unwahrscheinlich wirken – und selbst wenn, dann hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) schon erklärt, dass sich auch dann immer noch irgendwo ein Arzt findet, der eine Spritze halten kann.
Bei Impfenden und Geimpften zu sparen, wird also nichts. Also muss es wenigstens maximal gerecht zugehen, hat das BMG nun entschieden. Außerdem ist die politische Botschaft von entscheidender Bedeutung: Auch wenn es hakt – wir bringen die Impfung in die Breite. Also hat Spahns Haus (das in der Friedrichstraße!) die Lösung gleich mitgeliefert: In den Kalenderwochen 20 und 21 müssen die Apotheken dafür Sorge tragen, dass der wenige verfügbare Impfstoff gleichmäßig auf die belieferten Ärzte verteilt wird. Die bestellen vorab künftig Einzeldosen und je sechs Rezepten erhält die Apotheke ein Vial, für dessen Aufteilung sie Sorge tragen muss.
Konstituiert wird der Impfstoff weiter in der Praxis, also ist gefragt, was die Apotheken ohnehin am besten können: organisieren und umsonst arbeiten. Hier lohnen sich digitale Helfer wie Botendienstplanungstools ganz besonders: Denn die Praxis anzufahren, das Vial auszuhändigen, zu überwachen, dass auch wirklich nur eine Dosis entnommen wird, einen kurzen Smalltalk zu halten, das Vial wieder in Empfang zu nehmen und zur nächsten Praxis zu fahren, kann man an einem Tag durchaus sechsmal machen. Bei 12, 18 oder 24 Praxen wird es da schon schwerer.
Okay, ganz so schlimm wird es natürlich nicht kommen – aber auch ohne besondere Ärgernisse wie die Lieferung von massenhaft unbrauchbarem Impfstoff dürfte die Impfstoffverteilung in den kommenden Wochen noch so manche Überraschungen für die Apotheken bereithalten. Denn die Liste der offenen Fragen wird gefühlt immer länger, angefangen bei den Auffrischungsimpfungen über die möglichen (oder unmöglichen) Abstände zwischen Erst- und Zweitimpfung bis hin zu Fragen rund um die Dauer des Impfschutzes. Wenn Booster erforderlich werden, können die mobilen Impfteams schon im Sommer wieder ausschwärmen.
Und da ist die nächste Stufe der Impfrakete noch gar nicht gestartet: Bald sollen nämlich nicht mehr nur die Niedergelassenen wie am Fließband impfen, sondern es soll wortwörtlich am Fließband geimpft werden. Im Juni soll die Arbeitsmedizin den nächsten Schub bringen. Und da bewegen die Apotheken ganz andere Größenordnungen an Impfstoff, nämlich tausende pro Empfänger. Nur wie genau das funktionieren soll, steht kurz vor Beginn immer noch nicht fest.
Immerhin muss man sich vor Augen halten, dass das ganze Impfstoffgeraffel auch seine Vorteile hat: Nicht nur sieht man alte Bekannte wie den ehemaligen FDP-Gesundheitsminister Daniel Bahr mal wieder, sondern es beflügelt auch so manchen Apotheker dazu, nicht nur selbst Gutes zu tun, sondern das Geld, das er dafür kriegt, auch noch für etwas Gutes zu spenden.
Und es gibt ja auch Grund zur Hoffnung. Nicht nur sind schon weitere vielversprechende Impfstoffkandidaten am Horizont zu sehen, sondern die Versorgungslage scheint EU-weit mittelfristig stabil. 2,6 Milliarden Impfdosen hat die Kommission bereits gesichert, allein mit Biontech und Pfizer hat sie nun einen Vertrag über 900 Millionen Dosen mit der Option auf Verdopplung abgeschlossen – auch wenn das wieder einige Fragen aufwirft und auch der Gesundheitsminister mit dem Deal zumindest nicht uneingeschränkt glücklich zu sein scheint.
Mit der Hoffnung – derzeit ja ein Begriff mit Hochkonjunktur – ist es halt wie mit dem Glauben: Beides ist nicht immer rational, kann durch rationales Denken aber zerstört werden. Das E-Rezept ist so ein Beispiel: Dass das zum 1. Januar verpflichtend kommt, glaubt kaum noch jemand in der Apotheke. Und selbst wenn es kommt, setzt kaum jemand Hoffnung in die elektronische Verordnung. Dazu trägt auch bei, dass zwar über 99 Prozent der Apotheken vorerst außen vor bleiben – die großen Versender aber nicht.
Umso wichtiger, dass die Vor-Ort-Branche sich nicht die Butter vom Brot nehmen lässt und mit möglichst großer Eintracht gegenhält, beispielweise mit ihrer eigenen Plattform – die aber freilich auch nicht kostenlos kommt. Immerhin sind sich Leistungserbringer und Kostenträger in ihren Klagen einig. Bei den Ärzten ist das E-Rezept geradezu verschrien und auch die Kassen zeigen sich alles andere als glücklich mit dem Digitalisierungsfeldzug des BMG – was sie freilich nicht daran hindert, mehr Geld von Apothekern und Ärzten zu fordern. Dass das Verhältnis zu den Kassen jemals harmonisch wird, ist wohl eine dieser irrationalen Hoffnungen. Trotzdem gilt wie immer: Geben Sie die Hoffnung nicht auf, haben Sie ein schönes Wochenende!
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