Recht anschaulich habe ich als Kind den Begriff „relativ“ erklärt bekommen: „Drei Haare auf dem Kopf sind relativ wenig, drei Haare in der Suppe sind relativ viel.“ Heute können wir das auf die 200 Euro Gehaltszuschlag beziehen, die Angestellte in Apotheken bekommen. Ist das nun viel oder wenig?
Ausgehend vom alten Tarifvertrag sind 200 Euro Zuschlag auf ein PTA- oder PKA-Gehalt relativ viel. Dieses bleibt jedoch auch nach 200 Euro-Zuschlag relativ wenig, vor allem bei der aktuellen Inflation. Ein 200-Euro-Aufschlag, der nötig ist, um das Einstiegsgehalt einer PKA wenigstens über die gesetzliche Mindestlohngrenze zu hieven, ist nicht nur relativ ernüchternd, sondern eigentlich ein absoluter Skandal.
Auf der anderen Seite: Steigende Personalkosten von rund 10 Prozent für Inhaber:innen auf einen Schlag sind relativ viel, der Fachkräftemangel wiederum absolut und absurd groß. Diese apothekenspezifische Relativitätstheorie zeigt, wie wenig sich das Thema eigentlich für einen augenzwinkernden Wochenrückblick eignet.
Natürlich will jede Chefin und jeder Chef sein Team ordentlich bezahlen, gerade in so aufreibenden Zeiten wie diesen. Nur irgendwie muss das Geld reinkommen. Und dass davon insgesamt zu wenig im System ist, darüber können nur noch verschiedene Corona-Sondereffekte hinwegtäuschen. Die werden aber – hoffentlich – im Verlauf dieses Jahres wegfallen, weil die Pandemie endlich in den Griff zu bekommen gewesen sein wird. Aktuell lässt sich das Gehaltplus noch grob über den Daumen mit zwei zusätzlichen Impfzertifikaten pro Kopf und Tag abfedern, aber irgendwann hat es sich ja auch ausgeboostert.
Es ist sowieso relativ sinnlos, sich allzu tief über die neue Gehaltstabelle zu beugen, denn die individuellen Vereinbarungen nehmen den Tarifvertrag meist eher als Referenz, ein für die Beschäftigten immerhin positiver Nebeneffekt des Fachkräftemangels. Doch je nach Arbeitsvertrag kann sich die zwischen Adexa und Ada geschlossene Vereinbarung unterschiedlich auf dem Lohnzettel auswirken. Außer in Sachsen – der „Freistaat“ gönnt sich weiter seine ganz spezielle Form der Leibeigenschaft. In Nordrhein verhandeln die Abtrünnigen von der TGL noch mit der Gewerkschaft.
Die Adexa war von ihrem eigenen Erfolg in den Tarifverhandlungen so geflasht, dass sie glatt vergaß, das Ergebnis der Mitwelt mitzuteilen. In der dann eilig nachgeschobenen Erklärung spiegelt sich aufs Liebenswerteste die Aufregung auf Seiten der Gewerkschaft über ihren Coup: „Gemeinsame Pressemitteliung (sic!) von ADEXA und ADEXA (sic!): Neuer Tarifabschluss für 2022 und 2023.“ Glückwunsch jedenfalls.
Für viele Angestellte wird das eine immerhin spürbare Verbesserung bringen. Und wer schon bisher gut auskam, kann ja mit dem Zuschuss ein bisschen in den Kleinanzeigen stöbern. Ergebnisse einer ersten Kurzrecherche, was man für 200 Euro bei Ebay so bekommt: Ein Doppelpack 6x8m Teichfolie, eine Stihl 041 AVE Motorsäge oder alternativ eine „DDR Ackerfräse“ (Einachser). Ein Kindermountainbike oder, falls die Kinderplanung noch nicht abgeschlossen, einen „gut erhaltenen“ Fruchtbarkeitstracker, außerdem wahnsinnig hässliche Acryl-Bilder von Pferden und erstaunlich oft Katzenbabys – hier scheinen 200 Euro eine Art Referenzpreis zu sein. Wer keine Katzen mag oder allergisch ist, bekommt für dasselbe Geld sogar 400 Tylomelania so albino (Schnecken fürs Aquarium, Details müssen Sie selbst googeln). Für ein Auto reicht es zwar nicht, aber ein BMW-Lenkrad gibt es bei Ebay für den Preis immerhin.
Und eine letzte Berechnung aus gewohnheitsmäßiger Bosheit: Wenn sich 1750 PTA zusammenschließen und jeder den Zuschlag eines ganzen Jahres in den Topf wirft, könnten sie sich zusammen Spahns Villa kaufen – müssten dann allerdings mit 3-Bett-Zimmern auskommen.
Und was war sonst noch die Woche? Die BÄK hat die BAK erst noch zappeln lassen, aber dann doch endlich das Curriculum für die Musterschulung freigegeben. Zehn bis zwölf Stunden Training, dann dürfen Apotheker:innen auch gegen Corona impfen. Ob der Grippe-Führerschein anerkannt wird, muss noch geklärt werden.
Wer sich nicht impfen lassen möchte, kann sich von Tausendsassa Bönig jetzt einen sogenannten Impfunfähigkeitsnachweis besorgen. Kostet zwar Geld, bringt vermutlich nichts und ist rechtlich höchst umstritten, aber wir wissen nicht, ob Djokovic mit Bönigs Passierschein A38 nicht einfach durch die Kontrolle am Melbourner Flughafen spaziert wäre.
Vielleicht wollen sich aber demnächst wieder ein paar mehr Menschen in Deutschland impfen lassen: Die Gruppe, die auf proteinbasierte Impfstoffe gewartet hat. Für Novavax hat die WHO schon erste Empfehlungen ausgesprochen, Ende Januar soll die Vakzin kommen. Und als nächstes dann noch der Impfstoff von Valneva. Hier ein Vergleich der beiden Kandidaten.
Dazu die gute Nachricht, dass die Omikron-Variante offenbar tatsächlich weniger schwere Verläufe verursacht und bei ihrer leichteren Übertragbarkeit dafür sorgen könnte, dass das Corona-Virus bald endemisch wird. Captain Drosten rät trotzdem dringend zum Boostern als effektivste Waffe gegen die Variante. Das werden auch die Apotheken in den nächsten Wochen noch spüren. 17.500 Zertifikate in einem Monat werden dann in Zukunft für eine Apotheke nur noch schwer zu erreichen sein. Verbandstoffe und Blutzuckerteststreifen werden das nicht auffangen. So oder so: 2022 wird wieder ein wildes Jahr für die Apotheken, zumal die Krankenkassen jetzt ihr eigenes E-Rezept-Projekt vorantreiben wollen. Aber jetzt erstmal: Schönes Wochenende!
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