AvP-Kundin gerührt von SOOOO VIEL Hilfe Alexander Müller, 03.10.2020 08:13 Uhr
Apothekerin Claudia Schwarz (der Name ist echt, die Apothekerin ausgedacht) fehlen 150.000 Euro. Damit liegt sie mal wieder über dem Durchschnitt ihrer Kollegen, ist diesmal aber nicht so stolz wie damals beim Staatsexamen. Das Geld muss möglichst schnell her, sonst folgt sie ihrem Rechenzentrum den Pfad hinab in die Insolvenz. Doch zum Glück ist sie nicht allein: Schon nach wenigen Stunden und einem halben Dutzend Telefonaten ist ihr klar, dass sie sich um nichts Sorgen machen muss.
Schon an Tag 1 meldeten sich alle anderen Rechenzentren proaktiv bei Schwarz und boten ihre Hilfe an. Sie könnten die nächsten Rezepte abholen – und damit sie langfristig Sicherheit hat, in den nächsten fünf Jahren gleich mit. Deal? Deal! Auch ihr Hauptlieferant zeigte sich total großzügig: Der Großhändler bot an, die nächste Rechnung zu stunden. 24 Stunden. Und einen weiteren Tag für je 0,1 Prozent Kondition. Wie nett!
Die Krankenkassen? Vorbildlich! Statt sich kartellhaft zusammenzurotten und die arme Apothekerin mit einer konzertierten Hilfsaktion zu erschlagen, schrieb jede einzelne einen sehr freundlichen und individuellen Brief an „Sehr verehrte Apothekerin, sehr verehrter Apotheker“. Das Versprechen: Dieses ganze Durcheinander mit den offenen Forderungen soll nicht unnötig vergrößert werden. Deshalb werde man den übernächtigten Insolvenzverwalter nicht noch mit Retaxationen behelligen, sich als Kostenträger selbst zwischen die Gläubiger drängeln und so alles verkomplizieren. Nein, die Retaxen werden ganz ordentlich beim neuen Rechenzentrum der Apotheke geltend gemacht.
Die Bank hatte auch noch einen im Köcher: Wollte eigentlich einen attraktiven Überbrückungskredit anbieten. Eigentlich, man nahm dann doch Abstand. Denn Corona und diese Geschichte mit der Insolvenz des Abrechners dämpften leider Prognose und Bonität der Apotheke, weshalb das Geld nicht ganz so locker sitzt. Trotzdem: Eine Top-Finanzierung im unteren zweistelligen Prozentbereich könne man schon anbieten, hieß es.
Der Anwalt, den sich Schwarz leistet, um einen möglichst signifikanten Anteil ihrer Kohle wiederzusehen, arbeitet zwar nicht umsonst. Aber ist ja eigentlich egal, ob sie das Geld in den Pool schmeißt oder durch den Kamin jagt, denkt sie sich. Und wieder eine großzügige Überraschung: Weil sie den Vertrag sofort unterschreibt, darf sie sogar den Kugelschreiber behalten! Als sie dann abends in den Nachrichten sieht, was der Bundestag soeben beschlossen hat, weint sie vor Rührung und Freude: Immer wenn der 7. Eines Monats auf einen Montag fällt, ist die Bevölkerung aufgefordert, um 18 Uhr hinter dem geschlossenen Fenster zu applaudieren – als Anerkennung der Leistung der Apotheken. Claudia ist ergriffen.
Ich weiß, man soll auch nicht alles schlecht reden und viele Partner der Apotheken machen sich wirklich Gedanken, wie sie helfen können. Und nicht unerwähnt bleiben soll, dass slebst Kassen wie die TK eine gute Figur in Sachen AvP-Bewältigung machen. Aber es gibt eben auch Kandidaten wie die AOK Bayern, die ihre Retaxationen schön heraushalten aus dem Schlamassel – und das irgendwo auf der zweiten Seite eines zuckersüßen Schreibens an die Apotheker verstecken.
Worst Case: Die Apotheke hat den Rabattvertrag nicht beachtet und wird auf Null retaxiert. Die ursprüngliche Überweisung der Kasse versiegt in der AvP-Masse und die Retax wird mit der ersten Abrechnung des neuen ARZ verrechnet. Patient versorgt, nichts verdient, Arzneimittel zweimal selbst bezahlt. Ausgerechnet ab diesem Donnerstag setzen die Teams in der Offizin die mittlerweile 23. Tranche der AOK-Rabattverträge um. Und müssen künftig (ab November) auch noch darauf achten, dass die Dosierung auf dem Rezept steht – das allerdings nicht nur bei der AOK.
Im Insolvenzverfahren läuft die Aufklärung auf Hochtouren, das ARZ Haan hat immerhin schon die Abrechnung der sonstigen Leistungserbringer gerettet. Die Apotheker hoffen vor allem darauf, dass ihre Rechte ausgesondert werden, damit sie sich bei der Quote nicht hinten anstellen müssen. Glücklich die, die im September noch Geld erhalten haben: 193 Millionen Euro hat AvP unter ungeklärten Umständen noch an vereinzelte Kunden ausgeschüttet – nach welchen Kriterien auch immer. Ganz offiziell und dennoch ärgerlich: Auch 4,5 Millionen Euro aus dem Notdienstfonds flossen noch der Insolvenzmasse zu.
Das Thema ist jetzt immerhin im Bundestag angekommen. Der Gesundheitsausschuss des Bundestags wird sich in der kommenden Woche damit befassen. Und die Linke fordert offen staatliche Unterstützung für die Betroffenen, die FDP immerhin zinslose Kredite. Die Union als neue Lieblingspartei der Apotheker muss sich also warm anziehen, eine Kollegin hat der CSU schon öffentlichkeitswirksam gekündigt. Und ausgerechnet zum 1. Oktober hat Minister Spahn auch noch das Botendiensthonorar halbiert.
Falls Sie noch keinen spannenden Film für heute Abend ausgewählt haben, empfehle ich Ihnen „Die Retaxjägerinnen“. Oder Auszüge aus unserem Gruppen-Livetalk mit betroffenen AvP-Apothekern, ebenfalls sehr spannend! Und wenn Sie jeden Abend vor der Tagesschau noch eine Dosis Branchennachrichten brauchen, abonnieren Sie einfach unseren Youtube-Kanal. Dort sowie auf unserer Homepage erschient jeden Abend (wochentags) um 19:30 die neueste Ausgabe von adhoc24. In drei Minuten wissen Sie dann das Wichtigste. Schönes Wochenende!