Die Lübecker Löwen-Apotheke residiert in einem der ältesten Bürgerhäuser Deutschlands. Sie ist Touristenmagnet und Vollversorger vor Ort zugleich. Die von Marcus Niendorf geführte Apotheke hat eine lange Familientradition und verfügt über eine weitere Besonderheit: Der Pharmazeut vertreibt von Lübeck aus weltweit seine eigenen Produkte: Duftöle, Salben und Heilwasser. Weit über 50 Rezepturen gibt es. „Man braucht dafür Leidenschaft“, sagte der Apotheker.
Vor zehn Jahren hat Niendorf damit begonnen, aus seiner bis dahin „normalen“ Apotheke ein „Schmuckstück“ zu entwickeln. „Als nach der Jahrtausendwende die Apothekengeschäfte langsam an Schwung verloren, wollte ich mich vom Rx-Umsatz und dem Kassengeschäft unabhängiger machen.“ Niemand habe vorhersagen können, ob und wie lange das Fremd- und Mehrbesitzverbot noch Bestand habe. Niendorf setzte nicht auf Filialisierung, sondern auf Spezialisierung und Gefühl: „In der Apotheke können sie so viele Geschichten erzählen und Emotionen wecken.“
Das passende Gebäude hatte er bereits: Schon die Gattin Kaiser Karls IV. residierte 1375 in dem Haus, das seit 1812 eine Apotheke beherbergt. Das Grundstück liegt im Herzen der Altstadt und wurde um 1230 von dem Lübecker Ratsherrn Bertram Stalbuk mit einem Giebel aus Backstein bebaut. Nach wechselvoller Geschichte erwarb das Haus 1812 Apotheker Adolf Christoph Sager und gründete die Löwen-Apotheke. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts beabsichtigte der Apotheker Adolf Brandt, Niendorfs Urgroßvater, den Abriss des unwirtschaftlich gewordenen Gebäudes.
Doch es gab Protest: Der damalige Apothekerlehrling und spätere Schriftsteller Erich Mühsam verfasste anonym Aufrufe, die dazu führten, dass 1901 mit gesammelten 25.000 Goldmark der Abriss verhindert werden konnte. Infolge eines Luftangriffs auf Lübeck im März 1942 brannte die Löwen-Apotheke innen aus und wurde schon während des Kriegs wieder aufgebaut. Die Fassaden des Gebäudes stehen seit 1967 unter Denkmalschutz.
Die zündende Geschäftsidee zu den eigenen Rezepturen kam Niendorf bei den Besuchen seiner in Florenz lebenden Schwester: Gleich neben dem Bahnhof liegt die Kloster-Apotheke Santa Maria Novella. Dort werden seit 150 Jahren Liköre, Kosmetik sowie Salben hergestellt und in historischen Verpackungen verkauft. „Ich war begeistert von den Parfums, Cremes und Likören in wunderbaren Verpackungen“, sagt Niendorf, der sich neben der Pharmazie auch für Architektur, Kunstgeschichte und Design interessiert.
Niendorf erinnerte sich an die „Heilsalbe 22“, die schon sein Urgroßvater Adolf Brandt in der Lübecker Löwen-Apotheke herstellte und verkaufte. Er kramte die alte Rezeptur wieder heraus und legte damit den Grundstein für seine Geschäftsidee.
Der 53-Jährige hat sich mit individuellen Rezepturen inzwischen ein starkes zweites Standbein aufgebaut und verkauft seine Produkte an rund 700 Apotheken im Bundesgebiet und an Kunden nach Japan, Taiwan und China. Weit über 100.000 Packungen gehen jedes Jahr über den Ladentisch. Mehr verraten will Niendorf über sein Geschäft aber nicht.
Raumdüfte, Hautpflege, Liköre, ätherische Öle, Marmeladen und Gewürze gehören zum Sortiment der Dachmarke „Löwen-Manufactur Lübeck“: „In jedem Produkt steckt pharmazeutisches Herzblut und viel Arbeit“, so Niendorf. Sein Ziel war, eine Marke mit unverwechselbaren Wiedererkennungsmerkmalen aufzubauen. „Das braucht Zeit.“
Der Zufall half mit beim Erfolg: Die Intensivpflege der Lübecker Universitätsklinik suchte bei Niendorf für einen traumatisierten Patienten mit Panikattacken und schweren Schlafstörungen ein aromatherapeutisches Öl. Seine Mischung zeigte eine überraschend positive Wirkung auf den Patienten. Bei anderen Patienten konnten sogar Psychopharmaka und Tranquilizer reduziert oder gar abgesetzt werden. Der mit diesen Erfahrungen entwickelte „Löwenschlaf“ ist inzwischen der Topseller der „Löwen-Manufactur Lübeck“.
In den Schoß gefallen ist Niendorf der Erfolg aber nicht. „Der Anfang war nicht einfach“, erzählt der Apotheker über seinen persönlichen Weg mit alten Rezepturen, modernem Marketing und Werbepsychologie. „Wir haben altes Wissen neu entdeckt und ich kann das Ursprüngliche meines Berufes wieder ausleben.“ Viel Zeit und Geld hat Niendorf in Handzettel, Kunden- und Mitarbeiterinformationen sowie die sorgsam und liebevoll gefertigten Verpackungen investiert.
Auch seine Mitarbeiter musste der Chef von den Eigenmarken überzeugen – „mit auf die Reise nehmen“, wie Niendorf sagt. Nur so könnten sie sein Konzept mittragen. Die Kunden müssten spüren, dass die eigene Marke der Apotheke etwas ganz Besonderes sei. „Wer Eigenmarken lieblos in das Regal stellt, der wird keinen Erfolg haben.“
Natürlich profitiert die Löwen-Apotheke auch von ihrer einzigartigen Lage in der Lübecker Altstadt. „Das ist eine touristisch relevante Apotheke“, so Niendorf. In fast allen Lübecker Reiseführern gibt es Hinweise auf die Löwen-Apotheke. Jeden Tag finden so bis zu 60 Touristen den Weg in die Offizin.
Ausbauen will Niendorf in Zukunft das Geschäft über neue Medien. „Ich muss mich digital vernetzten“, sagt er. Seine Zielgruppen seien die eigenen Kunden, aber auch Kollegen und Ärzte. Im Digitalen liege die Zukunft, ist sich Niendorf sicher.
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