Die AOK Bayern will offenbar die Beweislast für die Haltbarkeit von Sterilrezepturen auf die Apotheken übertragen. So berichtet es zumindest Apotheker Dr. Franz Stadler nach einem Gespräch mit der Kasse. Weil die AOK ihn immer wieder wegen Verwürfen retaxiert, streiten die Parteien seit Jahren vor Gericht. Die Kasse will sich einerseits aus solchen Verfahren freikaufen, strebt laut Stadler aber jetzt trotzdem die Beweislastumkehr an. Gegenüber der Öffentlichkeit verweigert die Kasse jede Auskunft.
Ende November fand eine Videokonferenz Stadler und sechs Mitarbeitern der AOK Bayern statt. „Der AOK ging es hauptsächlich ums Geld, mir um die Arzneimittelsicherheit“, fasst Stadler das Gespräch zusammen. Streitthema zwischen der Kasse und dem Apotheker sind seit Jahren die Verwürfe bei der Herstellung von Sterilrezepturen. Während sich Stadler an den offiziellen Angaben in der Fachinformationen hält, erkennt die AOK diese Verwürfe regelmäßig nicht als unvermeidbar an. Die Kasse retaxiert mit Verweis auf anderen Studien, die eine längere Haltbarkeit der Produkte nahelegen.
Im Gespräch hat der Leiter des zuständigen Dienstleistungszentrums, nach Stadlers Darstellung so argumentiert: Die Haltbarkeitsangaben der Hersteller in den Fachinformationen seien nur ein Marketinginstrument, dem keinerlei Bedeutung zukomme und die sich je nach Konkurrenzlage ändern würden. Der Apotheker bezweifelt gar nicht grundsätzlich, dass sich eine längere Haltbarkeit in Studien nachweisen lasse. Aber dann müsse die Kasse eben auf die Hersteller einwirken, dass die Fachinformationen entsprechend angepasst wird.
Eine direkte Auseinandersetzung mit den Herstellern komme aus Sicht der AOK aber nicht Frage, gibt Stadler wieder. Denn es gebe keine direkte Geschäftsbeziehung mit der Industrie, sehr wohl aber mit den abrechnenden Apotheken. Deshalb werde die AOK konsequenterweise Apotheken retaxieren, die unvermeidliche Verwürfe abrechnen. Und: Der Leiter der AOK-Stelle soll sich so geäußert haben, dass man eine Grundsatzentscheidung vor dem Bundessozialgericht herbeiführen werden. Ziel dabei sei es, die Beweislast umzukehren: Apotheken dürften danach nur noch Verwürfe abrechnen, wenn sie nachweisen könnten, dass das Medikament tatsächlich seine Wirkung verloren hätte.
Stadler berichtet dagegen von einem Deal, dem ihm – sowie mindestens einem weiteren betroffenen Kollegen – angeboten habe. Die AOK würde demnach den größten Teil der retaxierten Summe auszahlen, wenn die Apotheker ihre Klage gegen die Vollabsetzungen zurückzögen. In erster Instanz hatte die Kasse jeweils verloren. Stadler will aber keinen Deal, er will die Frage grundsätzlich klären, auch wenn es ihn am Ende mehr Geld kostet.
Verantwortlich für Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels sei immer der Hersteller, so Stadler. Verbindliche Angaben seien dem Beipackzettel und der Fachinformation zu entnehmen. „Für diese haftet der pharmazeutische Unternehmer. Für die korrekte Zubereitung der Infusion haftet hingegen der Apotheker.“ Missachte die Apotheke jedoch die Angaben der Fachinformation, geht die Haftung auf sie über. Wirksamkeit und Unbedenklichkeit selbst zu prüfen, sei für die Apotheke weder möglich noch ihre Aufgabe. Also müsste der Patient in diesen Fällen über sein erhöhtes Behandlungsrisiko aufgeklärt werden.
Die Abrechnung unvermeidlicher Verwürfe ist aus Sicht des Apothekers in Anlage 3 der Hilfstaxe klar geregelt- verbindlich vereinbart zwischen Deutschem Apothekerverband (DAV) und GKV-Spitzenverband. „Alle übrigen deutschen Krankenkassen halten sich auch daran“, so Stadler. Dem Ausscheren der AOK Bayern hat der Apotheker in seinem Buch „Medikamenten Monopoly“ ein eigenes Kapitel gewidmet.
Stadler befürchtet dramatische Folgen für die Versorgung, sollte sich die AOK Bayern mit ihrer Position durchsetzen: „Niemand würde mehr Verwurf abrechnen, aber wahrscheinlich würde auch niemand mehr etwas wegwerfen. Manche Patienten würden Infusionen verabreicht bekommen, die im besten Fall weniger wirksam wären, manchmal aber auch mehr Nebenwirkungen hervorrufen könnten. Keine Aufsichtsbehörde, kein Patient, kein Arzt würde auf den ersten Blick auf die tatsächliche Ursache der zu beobachtenden Phänomene kommen – auf der Infusion wären immer passende Haltbarkeitsangaben vermerkt. Die Gammelfleischskandale lassen grüßen.“
Die AOK Bayern hat auf Anfrage erklärt, dass man sich zu laufenden Verfahren nicht äußere. Auf die konkrete Nachfrage, wie es die Kasse mit der Beweislastumkehr hält, hat sich die AOK dann gar nicht mehr gemeldet.
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