Trink- vs. Sondennahrung

AOK Plus: Retax für verstorbenes Kind

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Berlin -

Apotheker Dr. Mohammed Radman aus der Humanitas Apotheke in Leipzig ist fassungslos. Zwar gehören Retaxationen zum Apothekenalltag, aber eine aktuelle Absetzung von der AOK Plus ist an Geschmacklosigkeit kaum zu übertreffen. Die Kasse hat mehrere Verordnungen Neocate Syneo und Infant (Nutricia) aus dem vergangenen Jahr retaxiert. Nicht nur, dass die Begründung an den Haaren herbeigezogen ist. Die kleine Patientin ist inzwischen verstorben.

„Was soll ich tun“, fragt sich Radman, „die Eltern anrufen und sagen, dass ich noch Geld von ihnen bekomme. Die Retax ist an Dreistigkeit und Unanständigkeit nicht zu überbieten“, ärgert sich der Apotheker. Zwar geht es mit 1155 Euro nicht um einen kleinen Betrag, doch der monetäre Verlust schmerzt den Apotheker weniger als die Tatsache, dass die AOK Plus eine Retaxation für ein in der Zwischenzeit verstorbenes Kind ausspricht. Und das, obwohl die AOK Plus laut Radman eigentlich für ihre Kulanz bekannt ist.

Was war passiert? Radman versorgte ein im Januar 2023 geborenes Kind mit Neocate Infant und Neocate Syneo. Beide Produkte sind Spezialnahrungen auf Basis von non-allergenen Aminosäuren, die als voll bilanzierte Diät bei folgenden Indikationen eingesetzt werden können und nach Arzneimittelrichtlinie (AMRL) erstattungsfähig sind bei:

  • Kuhmilcheiweiß-Allergie
  • Multiple Nahrungsmittelallergien
  • Indikationen, bei denen eine Nahrung auf Aminosäurebasis notwendig ist (Elementardiät).

Für den Einsatz bei Nahrungsmittelallergien wird Neocate Syneo empfohlen. Dem Produkt wird ein Komplex aus Prä- und Probiotika zugesetzt, der in Studien gezeigt hat, dass neben der sicheren Allergenelimination die Kinder weniger Infektionen und Medikamentengebrauch aufzeigen. Die Spezialnahrung wurde eingesetzt, da das Mädchen aufgrund eines Herzfehlers nicht zusätzlich belastet werden sollte.

Flüssig- vs. Sondennahrung

Alle Neocate-Varianten können laut Hersteller sowohl oral als auch unter hygienischen Bedingungen als Sondennahrung eingesetzt werden. Wenn immer möglich werde jedoch eine orale Zufuhr angestrebt; diese ist aber aufgrund von bestimmten Erkrankungen wie beispielsweise Herzfehlern oder Schluckstörungen manchmal nicht möglich, sodass Neocate dann als Sondennahrung verabreicht wird.

Hier liegt auch der Grund für die Retaxation. Auch wenn es sich bei den Produkten primär um Trinknahrung handelt, „kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Produkte auch über die Sonde appliziert werden könnten“, so die Kasse. „Der Verwendungszweck der Nahrung sollte aus der Verordnung eindeutig hervorgehen, sodass aus Sicht der AOK Plus eine Zuordnung und damit Abrechnung möglich ist.“

Weil Radman als Mitglied im Sächsischen Apothekerverband (SAV) automatisch für den Versorgungsbereich der Trinknahrung lieferberechtigt ist und die Produkte auch als Trinknahrung zum Einsatz kommen sollen, überrascht ihn die Retaxation. Die Kasse begründet die Absetzung wie folgt: „Im Versorgungsbereich der Sondennahrung bzw. enteralen Ernährung ist ein Beitritt zum Vertrag gemäß § 127 Abs.2 SGB V über die Versorgung zur enteralen Ernährung erforderlich. Hier sind verschiedene Vertragsbedingungen für eine Lieferberechtigung zu erfüllen.“

Weiter heißt es: „In der Versorgung mit Diätetika gemäß § 31 SGB V existieren Produkte (wie bspw. Neocate Syneo, Neocate Infant), welche sowohl als Trink- als auch als Sondennahrung eingesetzt werden können. Bei der Verordnung dieser Produkte muss für die AOK Plus erkennbar sein, über welchen Applikationsweg das verordnete Produkt verabreicht werden soll. Je nach Applikationsweg gelten, wie oben bereits ausgeführt, unterschiedliche vertragliche Grundlagen.“

Doppelvergütung ausschließen

Ist auf der Verordnung der Verwendungszweck des Produktes nicht erkennbar, werde in der nachgelagerten Abrechnungsprüfung routinemäßig eine Absetzung der Verordnungen durchgeführt, um eine Doppelvergütung auszuschließen, teilt die AOK Plus auf Nachfrage mit. Was genau mit einer Doppelabrechnung gemeint ist, lässt die Kasse unbeantwortet.

Um die Retaxation abzuwenden, kann Radmann jetzt noch im Rahmen eines Einspruchsverfahrens Belege oder ärztliche Nachweise einreichen, aus denen der eindeutige Verwendungszweck hervorgeht. Die hat der Apotheker schon. Denn der Arzt hat bestätigt, dass es sich um eine Verordnung als Trinknahrung handelt.

Was bleibt ist der Beigeschmack, dass die Kasse Retaxationen für ein verstorbenes Kind ausspricht. Doch das lässt die AOK Plus kalt. „Die Abrechnungsprüfung findet nachgelagert statt, also zeitverzögert aus Sicht des Leistungserbringers, und kann bis zu neun Monate in Anspruch nehmen. Entscheidend ist dabei das Datum, an dem die Leistung erbracht wurde.“

„Vielen Dank für Ihre Menschlichkeit“

Radman hat noch eine Botschaft an die AOK Plus: „Ich nehme an, dass Sie, bevor Sie Mitarbeiter einer Krankenkasse geworden sind, noch Menschen waren. Wenn ich gewusst hätte, dass ich Trink- oder Sondennahrung für einen Säugling erst beliefern darf, wenn ich ein Häkchen in Ihrem digitalen Vertrag gesetzt habe, hätte ich es natürlich gemacht. Aber was macht ein Häkchen für einen Unterschied? Fakt ist, dass das Kind die Nahrung dringend gebraucht hatte und deswegen versorgt wurde. Für diese Versorgung wollen Sie nun die Zeche prellen. Vielen Dank für Ihre Menschlichkeit.“

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