Amazon Pharmacy ist da – mit 80 Prozent Rx-Rabatt Tobias Lau, 17.11.2020 15:28 Uhr
Es ist so weit, zumindest in den USA: Amazon ist voll in den Rx-Versandhandel eingestiegen. Am Dienstag gab der Konzern bekannt, dass sich Prime-Kunden ab sofort rezeptpflichtige Arzneimittel kostenlos am Folgetag liefern lassen können – und verspricht nicht versicherten Kunden Rx-Rabatte bis zu 80 Prozent.
Amazon ist nun auch ganz offiziell eine Versandapotheke: Unter der Domain Pharmacy.amazon.com findet sich seit Dienstag ein neuer Shop, auf dem Kunden in 45 US-Staaten verschreibungspflichtige Arzneimittel bestellen können. Nachdem sie auf der Startseite ihren Bundesstaat ausgewählt haben (Hawaii, Illinois, Kentucky, Louisiana und Minnesota sind noch nicht verfügbar, sollen aber noch folgen), loggen sie sich mit ihrem Prime Account ein und können direkt loslegen. Amazon arbeitet dazu nach eigenen Angaben mit den meisten Krankenversicherern im Land zusammen – die Kunden können demnach oftmals aus verschiedenen Preismodellen inklusive verschiedener Zuzahlungsstufen wählen. Selbstzahlern winkt ein attraktives Bonus-Programm, wirbt der Versandriese: Sie können demnach bis zu 80 Prozent Rabatt auf Generika und bis zu 40 Prozent auf Originalpräparate erhalten, wenn sie ohne Versicherungsbeteiligung bestellen.
Die Rezepte können Patienten demnach künftig direkt vom Arzt zu Amazon schicken, von ihrer Krankenversicherung weiterleiten lassen oder von einem Drittanbieter wie Walmart oder CVS anfordern. Die Rx-Boni kann Amazon nach eigenen Angaben über eine Zusammenarbeit mit Inside Rx gewährleisten, einem sogenannten Pharma Benefit Manager (PBM). Diese Firmen verhandeln – ursprünglich im Auftrag von Versicherungen – direkt mit den Herstellern Nachlässe. Versendet wird fast alles außer Arzneimittel der Klasse 2 – Medikamente mit hohem Missbrauchspotential wie Opioide, Fentanyl, Methadon oder Ritalin. Der Versand erfolge in „diskreter Verpackung“, um die private Natur der Waren zu gewährleisten.
„Wir haben Amazon Pharmacy nach der Prämisse ‚Der Kunde zuerst‘ gestaltet, um Amazons Fixierung auf den Kunden in einen Wirtschaftszweig zu bringen, der unbequem und verwirrend sein kann“, sagt Pillpack-Gründer und Vice President Amazon Pharmacy, TJ Parker. Amazon hatte Parkers Start-up 2018 übernommen und seitdem stetig ausgebaut. Pillpack bleibt auch weiterhin als Untereinheit von Amazons Pharmacy aktiv – Parker hatte sich mit dem Unternehmen auf den Versand von verblisterten Arzneimitteln für Chroniker spezialisiert.
Der Launch des neuen Angebots dürfte sich nicht nur nach dessen Marktreife gerichtet haben, sondern vielmehr nach strategischen Erwägungen: In den USA schnellen die Infektionszahlen in der Covid-19-Pandemie erneut nach oben, von President-elect Joe Biden wird ein härteres Vorgehen gegen die Pandemie erwartet. „Mehr und mehr Menschen versuchen, ihre alltäglichen Besorgungen von zuhause aus erledigen. Pharmacy ist deshalb eine wichtige und notwendige Erweiterung des Online Stores von Amazon“, erklärt Doug Herrington, Senior Vice President of North American Consumer. „Pillpack hat die vergangenen sechs Jahre herausragende pharmazeutische Dienste für Menschen mit chronischen Erkrankungen geleistet. Jetzt erweitern wir unser pharmazeutisches Angebot auf Amazon.com und helfen damit mehr Verbrauchern, Geld und Zeit zu sparen, ihr Leben zu vereinfachen und sich gesünder zu fühlen.“
Dass es bei dem jetzt gestarteten Dienst bleibt, kann angesichts der bisher erkennbaren Strategie Amazons bezweifelt werden: Im Rahmen seines Programms Amazon Care arbeitet der Konzern seit über einem Jahr daran, ein ganzes Gesundheits-Ökosystem von der Krankenversicherung über die -versorgung bis hin zu Telemedizin und Arzneimittelversand aufzubauen. Dazu hatte Amazon vergangenes Jahr das IT-Unternehmen Health Navigator übernommen, dass sich auf Schnittstellen im Gesundheitswesen spezialisiert hat. Dass der Konzern dabei nicht nur auf den US-Markt schielt, legt schon die Einführung der besagten Marke Amazon Pharmacy nahe: Die hat sich das Unternehmen in mehreren, auch europäischen Ländern gesichert.
Die betroffenen Branchen versuchen sich bisher zu wehren und hatten dabei bereits vergangenes Jahr öffentlich werden lassen, wie Amazon versuchen will, die Arzneimittelpreise zu drücken. Für die großen Apothekenketten und die zahlreichen unabhängigen Offizinen in den USA beginnt deshalb heute der große Kampf: „Der Tag, für den sich die gesamte Präsenzapotheken-Branche gewappnet hat, ist gekommen“, schreibt das US-Apotheken-Portal Drug Store News am Dienstagnachmittag.