Nach 39 Jahren schließt Apotheker Wolfgang Stingl aus Bobingen im Landkreis Augsburg seine Wertach-Apotheke. Nachfolger fand er keinen, am Ende hätte er sie sogar verschenkt. Jetzt hat er auch noch Ärger mit der Stadt.
„Viele kleine Apotheken können einfach nicht mehr“, sagt er. Und er ist auch angeschlagen. „Wenn man sich lange Zeit um die Gesundheit der Menschen kümmert, muss man sich auch mal um die eigene sorgen“, sagt er. Dafür hatte der 68-Jährige in den vergangenen Jahren zu wenig Zeit. Gemeinsam mit einer Apothekerin im selben Alter und einer PTA hat er die Wertach-Apotheke jahrelang in Schwung gehalten.
Angesichts des Fachkräftemangels war er nach der dritten Schwangerschaft einer seiner Mitarbeiterinnen allerdings ein wenig entmutigt. Grundsätzlich ist eine Schwangerschaft eine gute Nachricht, bei ihm als Arbeitgeber blinkte allerdings parallel ein Warnblinker: Woher bekommt man jetzt eine Fachkraft her, die auch noch einen zeitlich begrenzten Arbeitsplatz sucht? „Drei Schwangerschaften sind für einen Betrieb mit drei Mitarbeitern sehr problematisch“, sagt er, „jemanden zu finden, ist sehr schwierig, da hat man so gut wie keine Chance. Wir machen die Apotheke jetzt praktisch zu zweit.“
Neben den üblichen bürokratischen Querelen war‘s dem Apotheker eines Tages dann zu viel. Erst hörte der praktische Arzt auf, danach schloss die Bankfiliale. „Ich habe große Agenturen für die Nachfolgersuche eingesetzt, es gab auch Interessenten, aber am Ende hat es nicht geklappt. Das ist hier eine kleine Vorort-Apotheke, sie erfordert ein hohes Maß an Präsenz und Stammkundenpflege. Der Kostenfaktor ist dabei derselbe wie bei großen Apotheken.“ Bobingen ist eine kleine Stadt mit rund 17.000 Einwohnern, zwölf Kilometer südlich von Augsburg gelegen. Der Stadtteil, in dem sich die Wertach-Apotheke befindet, hat rund 1700 Einwohner.
„Die Schließung zum Jahresende ist jetzt beschlossen“, sagt er. Der Mietvertrag läuft noch für das ganze Jahr 2019. Lieber will er die Miete weiter bezahlen als weiterhin seine Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Und falls sich doch noch ein Nachfolger findet, könnte dieser unverzüglich starten. „Perspektiven sind vorhanden, aber es müsste jemand sein, der engagiert ist und arbeiten will.“
Bei einem Arbeitspensum von 60 Wochenstunden und 30 Nachtdiensten im Jahr hätten einige Bewerber die Stirn gerunzelt. „Die Begeisterung war dann doch gedämpfter.“ Seit Ende Oktober informiert Stingl seine Kunden über seine Schließungspläne. Die meisten sind traurig, können ihn aber verstehen. Auch wenn sie künftig weitere Wege zur nächsten Apotheke in Kauf nehmen müssen. Rund zwei Kilometer sind es bis zum Zentrum von Bobingen, wo es weitere Apotheken gibt. „Es sind viele ältere Menschen betroffen, mir blutet das Herz, wenn ich daran denke“, sagt Stingl. „Die meisten meiner Kunden kenne ich seit vielen Jahren, sie bedanken sich bei mir, das tut gut“, sagt Stingl. Es ist Trost auf seinen Wunden, denn auch mit der Stadt Bobingen gab es auf den letzten Metern noch Ärger.
„Ich habe natürlich nicht erwartet, dass die Stadt für mich einen Nachfolger findet“, sagt er. Aber eine Reaktion auf seine Information bezüglich seiner Pläne, die er den Verantwortlichen zukommen ließ, wäre schön gewesen. Nachdem eine Lokalzeitung berichtet hatte, dass er sich von Seiten der Politik mehr Unterstützung gewünscht hätte, antwortete die Stadt mit einer öffentlichen Stellungnahme.
Aus ihrer Sicht nämlich gab es durchaus Bemühungen, den Apotheken- und Arztstandort zu erhalten. „Selbstredend war und ist das Interesse der Stadt an einer intakten medizinischen Infrastruktur in der Siedlung im Fokus von Bürgermeister und den verantwortlichen Mitarbeitern der Stadtverwaltung“, steht da zu lesen. Die Stadt würde sich darum bemühen, dass sich ein neuer Hausarzt ansiedle. Die Suche läuft derzeit von Seiten der Wirtschaftsförderung via Internetseite des Hausärzteverbandes.
Stingl freut sich auf den neuen Lebensabschnitt. „Bislang habe ich um acht Uhr in der Apotheke gestanden, bin dann mittags schnell eine halbe Stunde heim zum Essen gegangen. Um 19 Uhr nach Dienstschluss dann eine Brotzeit und ein Weißbier. Und dann bin ich oft vor Erschöpfung nur noch umgefallen. Es gibt noch so viel, das ich machen will.“
Viele Seiten des Lebens seien in den vergangenen Jahren einfach zu kurz gekommen: „Ich möchte künftig mehr Sport machen.“ Und dann hat er noch ein besonderes Hobby: „Ich mache Holzarbeiten in allen Größen. Ich nehme einen Baumstamm, beginne ihn zu bearbeiten und sehe, was an Maserung herauskommt.“ Nach 39 Jahren Apotheke ist das eine wohltuend entspannende Tätigkeit, ganz ohne Bürokratie und 60-Stunden-Woche.
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