Wer so krank ist, dass er nicht aus dem Bett kann, lässt sich den Arzt kommen. Dafür gibt es den ärztlichen Bereitschaftsdienst. Die Firma „Alpha-Ärzte“ hat den privatärztlichen Haus- und Notdienst als Geschäftsmodell entdeckt. Allerdings wirft die eigene Darstellung rechtliche Fragen auf – denn die Ärzte kümmern sich auch um die Arzneimittel. Zu den Investoren gehört der ehemalige Stada-Chef Harmut Retzlaff.
Der Behandlungsablauf wird so dargestellt: Am Telefon werden die Beschwerden aufgenommen, die „Leitstelle“ schickt dann schnellstmöglich einen Arzt. „Dank eigenem PKW sind unsere Ärzte hochmobil. Manchmal ist er bereits in weniger als einer halben Stunde, in den meisten Fällen spätestens nach einigen Stunden bei Ihnen“, werben die Alpha-Ärzte. Für die Diagnose sind die Ärzte sogar mit mobilen Ultraschallgeräten und EKG ausgestattet. Auch Blutproben oder Abstriche können genommen werden.
Zielgruppe sind mitnichten nur die Bettlägerigen: Die Ärzte kommen auf Wunsch „nach Hause, an den Arbeitsplatz oder ins Hotel“. Ein weiterer Service: „Unsere Ärzte haben Arzneimittel dabei, die erfahrungsgemäß am häufigsten benötigt werden.“ Die Versorgung finde meist vor Ort statt. „In der Regel können unsere Ärzte Ihnen so den Weg in die Apotheke oder Notapotheke ersparen. Sollte ein benötigtes Medikament nicht vorhanden sein, stellen wir Ihnen ein Rezept aus.“
Was genau die Ärzte dabei haben, geht aus den Angaben nicht hervor und war auch auf Nachfrage bislang nicht zu erfahren. In den FAQ klingt das so: „Gängige Medikamente, die häufig benötigt werden, haben unsere Ärzte immer für Sie dabei. So können Sie sich beim Hausbesuch direkt damit versorgen lassen. Unsere Apotheke schickt Ihnen anschließend eine Rechnung. Sollte sich ein Medikament einmal nicht im Arztkoffer befinden, bekommen Sie ein Rezept ausgestellt. Damit kann zum Beispiel ein Angehöriger die Apotheke oder Notapotheke aufsuchen.“
Je nachdem, wie sich das in der Praxis darstellt, ist damit § 43 Arzneimittelgesetz (AMG) berührt, der die Medikamentenabgabe Apotheken vorbehält. Auch für den Hausbesuch ist nicht vorgesehen, dass der Arzt ganze Packungen apotheken- oder rezeptpflichtiger Arzneimittel an den Patienten abgibt. Und da laut Auskunft „unsere Apotheke“ später eine Rechnung schickt, steht auch die Frage des Zuweisungsverbots im Raum.
Geschäftsführer Peter Resnitzek war bislang nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Eine Mitarbeiterin teilte mit, es gebe eine „Standard-Apotheke“, mit der die Ärzte zusammenarbeiten. Doch manche Mediziner besorgten sich die Medikamente auch in einer anderen Apotheke in der Nähe ihres Wohnortes.
Für Kassenpatienten dürfte das Angebot unattraktiv sein, allein der Hausbesuch kostet 180 Euro. Privatversicherungen erstatteten die Besuche in der Regel, wirbt die Firma. Bei den Alpha-Ärzten sind laut eigener Auskunft Fachärzte für Allgemeinmedizin, innere Medizin, Kinderheilkunde, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Urologie, Orthopädie, Anästhesiologie und Schmerztherapie tätig. Grundsätzlich würden Erkrankungen aller Art behandelt, von der Erkältung bis zu gravierenderen Gesundheitsproblemen. Bei lebensbedrohlichen Zuständen wird der Kontakt zum Rettungsdienst empfohlen.
Zum Angebot zählt auch das Überprüfen der Medikation. Das sei vor allem für Chroniker wichtig, werde aber leider oft vernachlässigt. „Die Alpha-Ärzte übernehmen diese wichtige ärztliche Leistung sehr gern für Sie“, heißt es. Weitere Angebote sind ein Basis-Check-up, ambulante Schmerztherapie, ärztliche Zweitmeinung, Palliativmedizin sowie eine Notfall-Schulung zu Hause.
Kassenärztliche Vereinigung (KV) und Ärztekammer in Hessen sind von der Geschäftsidee der Alpha-Ärzte nicht begeistert: Es gebe schließlich einen ärztlichen Bereitschaftsdienst. An den könnten sich Patienten wenden, wenn die Praxen geschlossen sind, also nachts und am Wochenende. Er ist bundesweit unter der Nummer 116117 erreichbar – und kostenlos. Die Firma habe keine Lücke im Gesundheitssystem entdeckt, sondern ein Geschäftsmodell, so ein KV-Sprecher.
Unter den niedergelassenen Medizinern sieht man das Modell auch deshalb mit Sorge, weil hier Ressourcen gebunden und falsche Erwartungen geweckt würden. Schließlich sei das Projekt aus finanzieller Sicht eher für Ballungszentren mit kurzen Fahrwegen interessant; auf dem Land werde sich wohl kaum ein Kollege finden, der nach Feierabend und neben den regulären Bereitschaftsdienst noch Zeit für private Hausbesuche habe. So etwas gebe es höchstens einmal an Weihnachten, heißt es.
Tatsächlich scheinen die Alpha-Ärzte vor allem auf Kollegen im Ruhestand zuzugehen, die sich etwas hinzuverdienen wollen. Der Website lässt sich nicht entnehmen, dass die Alpha-Ärzte beziehungsweise die für sie tätigen Freelancer niedergelassen sind. Nach § 17 der ärztlichen Berufsordnung müssen Ärzte, die Hausbesuche durchführen, aber niedergelassen sein. Die Ausübung ärztlicher Tätigkeit im Umherziehen ist berufswidrig und verstößt gegen § 3 Heilpraktikergesetz. Auch private Krankenversicherer zahlen nur, wenn der betreffende Arzt niedergelassen ist. Dies gilt ebenfalls für Freelancer, die für das Unternehmen tätig sind. Weitere Voraussetzung für die Übernahme der Kosten ist, dass es sich um eine medizinisch erforderliche Leistung handelt.
Hinter dem Projekt steht eine illustre Runde von Ärzten und Investoren: Etwas mehr als 50 Prozent gehören der Klinikkette S-thetic. Das Unternehmen wurde 2002 von dem bekannten Schönheitschirurgen Dr. Afschin Fatemi gegründet; als Partner sind Geschäftsführer Adam Peter Resnitzek und Marco Hepp, Chef des gleichnamigen Fertighausherstellers aus Bad-Soden, an Bord. Auf 16 Behandlungszentren für ästhetische Medizin hat es die Firma mittlerweile gebracht. Beteiligungen gibt es auch an anderen Kliniken, etwa Cambomed in Kempten.
Zweiter größter Anteilseigner bei Alpha ist mit etwas mehr als 25 Prozent eine Beteiligungsgesellschaft, hinter der mehrheitlich der ehemalige Stada-CEO Hartmut Retzlaff steht. Knapp 16 Prozent lassen sich ihm damit zurechnen; als Partner mit an Bord sind hier außerdem Jörg Altemann und Tilmann Ronneper von der Kanzlei ANR Rechtsanwälte sowie Professor Dr. Kai-Uwe Chow, Onkologe am ambulanten Krebszentrum Schaubstraße.
Mit Professor Dr. Thorsten Maier ist ein weiterer Mediziner bei den Alpha-Ärzten beteiligt – ihm gehören 10 Prozent, genauso wie dem Investor Patrick Israel.
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