HIV-Versorgung ist keine Goldgrube Julia Pradel, 01.12.2015 15:29 Uhr
Dank vieler hochpreisiger Präparate galt die Arzneimittelversorgung von HIV-Patienten bis 2004 als lukratives Geschäft. Seit der Honorarumstellung engagieren sich in diesem Bereich vor allem Überzeugungstäter. Denn niedrigen Margen stehen viel Arbeit und ein hohes Risiko gegenüber. Und obwohl es inzwischen moderne Wirkstoffe gibt, ist die Versorgung nicht unbedingt einfacher geworden. Die Apotheker müssen sich mit Lieferengpässen und Arzneimittelfälschungen herumschlagen.
Apotheker Ingo Beer aus München beschäftigt sich schon seit mehr als 15 Jahren mit der HIV-Versorgung. Pharmazeutisch hat sich aus seiner Sicht viel getan: „Anfang der 90er Jahre musste man 15 oder 16 Tabletten nehmen, es gab zahlreiche Nebenwirkungen und Koinfektionen konnten kaum behandelt werden“, sagt Beer. „Inzwischen hat man die Krankheit mit einer Tablette pro Tag gut im Griff. Die Kosten für die Arzneimittel sind zwar hoch, aber die Wirkstoffe sind sogar kompatibel mit Präparaten gegen Hepatitis C.“ Das führe aber auch dazu, dass die Krankheit verharmlost werde und die Zahl der Neuinfektionen wieder ansteige.
Apotheker Erik Tenberken ist bereits seit 1993 im Geschäft. Einfacher oder gar problemlos ist die Versorgung seiner Meinung nach nicht geworden. „Früher gab es keine passenden Arzneimittel. Jetzt gibt es die nötigen Präparate zwar, aber sie sind immer häufiger schwierig zu bekommen“, kritisiert der Inhaber der Birken-Apotheke in Köln. Fälschungen und Lieferengpässe erschwerten die Arbeit der HIV-Apotheker.
Tenberken kam zur HIV-Versorgung, weil Freunde von ihm an Aids erkrankten und starben. „Ich wollte mich damals in der Aidshilfe engagieren. Da wurde mir gesagt, du bist doch Apotheker – hilf lieber da“, erzählt er. Als er anfing, HIV-Patienten zu versorgen, musste er sich selbst mit Vorurteilen auseinandersetzen: „Da hieß es: Wenn der sich mit dem Dreck abgibt, dann muss er selber infiziert sein“, berichtet Tenberken. Inzwischen habe sich das allerdings gelegt.
Beer leitet die Marien-Apotheke in München, die inzwischen dem Präsidenten der Bayerischen Landesapothekerkammer (BLAK), Thomas Benkert, gehört. Er hat schon in der Apotheke gelernt. „Früher konnte man viel Geld mit HIV-Arzneimitteln verdienen“, erinnert er sich. Im Fall der Marien-Apotheke führte aber nicht nur das gute Geschäft, sondern auch ihre Lage direkt am Universitätsklinikum dazu, dass sich der damalige Inhaber auf die Infektiologie spezialisierte.
Allerdings haben sich die Rahmenbedingungen seitdem durch verschiedene Arzneimittelreformen grundsätzlich verändert. „Das Geschäft hat sich nicht mehr rentiert und viele Apotheken haben sich aus dem Bereich verabschiedet“, so Beer. Die Marien-Apotheke ging den entgegengesetzten Weg. Man habe das Engagement hochgeschraubt und sich so ein Alleinstellungsmerkmal unter den zahlreichen Apotheken in der Umgebung geschaffen.
Wirtschaftlich hält Beer den Bereich für nicht mehr attraktiv: „Man muss viel Geld reinstecken, aber der Ertrag ist nicht sonderlich gut und das Risiko hoch“, fasst Beer zusammen. Um die Versorgung überhaupt sicherstellen zu können, musste die Marien-Apotheke unter anderem ihr Bestellverhalten ändern. Bei der Direktbestellung arbeitet Beer mit der Deutschen Arbeitsgemeinschaft HIV- und Hepatitis-kompetenter Apotheken (DAH²KA) zusammen. Und mit dem Großhandel hat er besondere Zahlungsmodalitäten vereinbart, „um nicht in die Miesen zu kommen“.
Beer befürchtet, dass die Zahl der spezialisierten Apotheken in Zukunft weiter zurückgeht: „Wenn Apotheken einmal erleben, was für einen Stress die Krankenkassen bereiten können, haben viele keine Lust mehr.“ In besonderer Erinnerung ist dem Münchener Apotheker eine Rechnungskürzung um 4500 Euro, weil in der Apotheke die Dosierung für einen Stammpatienten ergänzt wurde. Er hat das Geld zwar zurückbekommen – „aber das ist schon mit einem gewissen Herzschlag verbunden“.
Tenberken ist überzeugt: „Wenn man die HIV-Versorgung als Goldgrube sieht, dann ist man eh falsch in diesem Bereich.“ Aus seiner Sicht muss man die Patienten versorgen wollen, um auf diesem Gebiet zu arbeiten. Denn als kühles Geschäft lasse sich das Tätigkeitsfeld nicht betrachten. „Und dafür sind inzwischen – Gott sei Dank – auch die Margen zu klein.“ So trennt sich die Spreu vom Weizen.
Die eigene Überzeugung ist nach Meinung von Tenberken auch deshalb eine wichtige Voraussetzung, weil man die Emotionalität nie vollkommen ausklammern kann. „Wenn ein 17-Jähriger kommt, der zum ersten Mal Sex hatte, sich infiziert hat und dessen Eltern nicht wissen, dass er schwul ist, dann stecke ich das nicht einfach weg, auch nach mehr als 20 Berufsjahren nicht“, sagt er. Besonders in solchen Momenten sei es wichtig, sich im Team zu besprechen und gemeinsam zu überlegen, was getan werden kann. „Das hilft auch dabei, selbst damit fertig zu werden. Keiner im Team bleibt damit allein“, betont Tenberken.
Wie beratungsintensiv die HIV-Versorgung ist, weiß auch Dr. Robin Ghosh, Inhaber der Roland-Apotheke in Krefeld. „Viele Kunden sind sehr gut informiert“, berichtet er. „Man selbst muss auch immer auf dem aktuellsten Stand sein und regelmäßig Fortbildungen besuchen.“ Genau das macht den Bereich für ihn spannend: „Für mich persönlich ist es eine befriedigendere Arbeit als in einer Center-Apotheke Schnelldreher abzugeben. Die pharmazeutische Tätigkeit steht im Vordergrund.“
Besonders wichtig und herausfordernd ist aus Sicht von Ghosh das Erstgespräch. Dabei begegnet er Patienten in unterschiedlichen Situationen: „Die einen haben gerade von der Infektion erfahren und ihr Immunsystem ist schon so geschwächt, dass sie sofort behandelt werden müssen. Ihnen muss man die Angst nehmen. Die anderen wissen schon länger Bescheid und haben jetzt die Laborwerte erreicht, bei denen mit der Therapie begonnen wird. In diesen Gesprächen geht es vor allem um die Therapietreue“, so Ghosh.
Der Apotheker sieht das Positive: „Das Schöne an der Arbeit ist, dass wir viele gute Nachrichten überbringen dürfen.“ Denn Aids sei kein sicheres Todesurteil, wie noch viele Menschen meinten. Mit guter Einstellung und Therapietreue sei die Lebenserwartung nahezu normal. „Gerade im Erstgespräch kann man viel Vertrauen aufbauen“, sagt Ghosh.
Im Lauf der weiteren Behandlung wird dann zunehmend die pharmazeutische Beratung wichtig. „Die Patienten werden immer älter und brauchen weitere Arzneimittel. Doch die HIV-Präparate sind stark interaktionsbehaftet“, erklärt Ghosh. Die Medikation müsse deshalb sorgfältig auf Wechselwirkungen hin untersucht und gegebenenfalls müssten Alternativen gefunden werden.
Aber auch jenseits pharmazeutischer Probleme ist die Beratung ein wichtiger Teil der HIV-Versorgung: „Natürlich laden die Patienten auch mal ihren Frust bei uns ab“, erzählt Tenberken. Der Apotheker hält es für seine Aufgabe, zuzuhören und Verständnis aufzubringen – schließlich stehe hinter dem Frust ein großer Leidensdruck. „Und wenn ich erreiche, dass sich der Patient verstanden fühlt, dann ist das gut.“
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Anonymität. „Nur wenige Patienten gehen ganz offen mit ihrer Erkrankung um“, weiß Ghosh. „Viele haben Schwierigkeiten, sich zu öffnen – und das müssen sie ja auch nicht.“ In die Apotheke von Beer kommen auch viele Patienten aus der Umgebung von München, „weil sie sich lieber in der Großstadt einen Arzt suchen“, erzählt der Apotheker. Aus seiner Sicht gibt es nach wie vor viele Vorurteile.