Ärzte und Apotheker wollen sich entlasten Benjamin Rohrer, 14.04.2011 11:53 Uhr
Ideen, wie die Arzneimittelversorgung aussehen könnte, gibt es viele. Meist sind es Sparinstrumente, und die verursachen viel Erklärungsbedarf in der Apotheke. Ärzte und Apotheker haben ein gemeinsames Konzept entwickelt, von dem ihrer Meinung nach Patienten, Kassen und Heilberufler gleichermaßen profitieren.
„Neu ist, dass Ärzte und Apotheker, also die zwei wesentlichen Heilberufe für die Arzneimitteltherapie, strategisch und patientenorientiert zusammenarbeiten“, sagte Professor Dr. Martin Schulz, Geschäftsführer Pharmazie bei der ABDA. „Diese institutionalisierte Kooperation zwischen Arzt und Apotheker ist der innovative Aspekt.“
Nach der stufenweisen Einführung sollen die Kassen ab 2014 bis zu 2,1 Milliarden Euro pro Jahr einsparen. Geplant ist ein Medikationsmanagement für multimorbide Patienten; außerdem soll es einen Wirkstoffkatalog geben, an dem sich die Ärzte bei der Verordnung orientieren sollen.
„Der Vorteil für die Ärzte ist, dass das Verordnungsmanagement in der Praxis wieder geregelt abläuft“, sagt Dr. Carl-Heinz Müller, Vorstand der Kassenärtzlichen Bundesvereinigung (KBV). „Kassenübergreifend gelten die gleichen Regeln. Man kann die Rabattverträge wieder besser verwalten, weil man mit der Verordnung der Wirkstoffe genau weiß, welche Inhaltsstoffe der Patient bekommt.“
Der Medikationskatalog ist laut Müller breit genug gefächert: „Er beinhaltet alle gängigen Mittel, die zur Therapie einer Erkrankung zur Verfügung stehen. Er lässt Ausnahmen zu, er lässt Reservemittel zu. Insofern ist er auch keine Positivliste im eigentlichen Sinne.“
Gemeinsam sollen die Arzneimittelkommissionen von Ärzten und Apothekern den Katalog anhand von Leitlinien erarbeiten. Anders als bei der Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss sollen aber keine Arzneimittel von der Erstattung ausgeschlossen werden.
„Unser Modell ist wesentlich schneller und wesentlich breiter angelegt“, sagt Müller. „Es schafft Reservemittel, schließt aber zunächst keine Wirkstoffe aus. Der Arzt behält die Therapiehoheit. Es gibt eine fortlaufende Entwicklung des Kataloges, der in der Ärzteschaft die Akzeptanz hat. Damit sollte er auch beim Versicherten nicht zu Diskussionen führen, dass ihm Mittel vorenthalten werden oder er über Nacht Umstellungen hat.“
Doch nicht nur für Kassen und Patienten, sondern auch für Apotheker und Ärzte sollen die Vorschläge Vorteile bringen. So soll die Richtgrößenprüfung für die Ärzte wegfallen, außerdem soll der Alltag in Praxis und Offizin einfacher werden.
„Die Arbeit sollte schon durch den Medikationskatalog leichter werden“, sagt Schulz. „Wir haben eine leitlinienbasierte, evidenzbasierte Primärversorgung. Diskussionen wie zum Beispiel: 'Gibt es nicht noch andere Arzneistoffe?' und 'Ist dieser Arzneistoff - zum Beispiel das 23. Sartan - besser als das erste?' sollten reduziert werden.“
Dass es auch Widerstände gegen das Konzept geben wird, ist den Beteiligten klar. Neben den Kassen äußern sich auch die Pharmaverbände skeptisch.
„Wir rechnen natürlich damit, dass die Pharmaindustrie zu diesen Dingen etwas sagen wird“, so Schulz. „Aber wenn wir die Arzneimittelversorgung verbessern wollen, dann gehen wir fest davon aus, dass das auch im Sinne der pharmazeutischen Industrie ist.“
Laut Schulz könnte die Wirkstoffverordnung Anlass zu Diskussionen geben. „Damit müssen wir uns auseinander setzen, das müssen wir diskutieren. Die Frage um eine leitliniengerechte und evidenzbasierte Medizin für die Patienten muss aber auch im Sinne der pharmazeutischen Industrie sein.“
Nun müssen Ärzte und Apotheker Politik und Kassen begeistern. Die Zeit drängt: KBV und ABDA wollen ihr gemeinsames Modell noch im Versorgungsgesetz unterbringen.