Im Zweifel für den Rezept-Zuweiser Alexander Müller, 19.05.2016 15:13 Uhr
Ärzte dürfen ihre Patienten nicht an bestimmte Apotheken verweisen oder gar Rezepte ungefragt verschicken. Nur in Ausnahmefällen darf einem Patienten eine Apotheke empfohlen werden. In einer Praxis im sachsen-anhaltinischen Bad Schmiedeberg scheint die Ausnahme auf den ersten Blick zur Regel geworden zu sein. Doch die Wettbewerbszentrale scheiterte mit ihrer Klage gegen den Arzt auch in zweiter Instanz vor dem Oberlandesgericht Naumburg (OLG) – weil sie keine Beweise vorlegen konnte.
Der Allgmeinmediziner nutzt das Portal Health Network (HNW) und ist darüber mit zwei Apotheken in Nachbarorten vernetzt. Auf Wunsch der Patienten werden die Rezepte direkt digital an eine dieser Apotheken übermittelt, die die Arzneimittel dann gegebenenfalls auch ausliefert. Das Papierrezept wird nachgereicht. Der Apotheker zahlt für die Mitgliedschaft bei HNW und möglicherweise sogar für die technische Ausstattung des Arztes für die Rezeptübermittlung.
Die Wettbewerbszentrale hatte in dem Verhalten des Arztes eine Zuweisung und damit einen Verstoß gegen die Berufsordnung gesehen und den Mediziner verklagt. Denn Ärzte dürfen Apotheke nicht ohne „hinreichenden Grund“ empfehlen. Nach einer früheren Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zählt die Vermeidung von weiten Wegen für gehbehinderte Patienten als hinreichender Grund, ebenso schlechte Erfahrungen, die Patienten mit anderen Leistungserbringern gemacht haben. Die Bequemlichkeit des Patienten ist dagegen keine ausreichende Begründung.
Im konkreten Fall wurden bei 26 von 76 Patienten die Rezepte direkt an Apotheken weitergeleitet. Die Wettbewerbszentrale bezweifelt, dass es in jedem Fall eine medizinische Notwendigkeit dafür gab. Dass 60 Prozent der Patienten Rentner seien, wie der Arzt behauptete, sei jedenfalls kein hinreichender Grund. Pauschale Behauptungen seien nicht geeignet, den Verdacht auszulöschen. Der Arzt hätte aus Sicht der Wettbewerbszentrale darlegen müssen, warum so viele Patienten direkt an eine Apotheke vermittelt wurden.
Das sah das OLG anders: Die Beweislast liege bei der Wettbewerbszentrale. Der Arzt sei nicht verpflichtet, dem Gegner die für den Prozesssieg benötigten Informationen zu verschaffen. Konkrete Verstöße gegen die Berufsordnung habe die Wettbewerbszentrale nicht belegen können. Entsprechend reichte es laut Urteil aus, dass der Arzt die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestritt.
Zweifelhafte Aussagen auf einem Flyer des HNW sind dem Arzt aus Sicht der Richter nicht zuzurechnen. Weder verantworte er die Inhalte, noch habe er die Flyer selbst verteilt. Zwar könnten die Aussagen in dem Flyer laut OLG „einen gewissen Verdacht auf mögliche Verstöße wecken“. Dies zwinge den Arzt aber nur dazu, die konkreten Abläufe in seiner Praxis darzulegen.
Dieser Verpflichtung sei er nachgekommen. Demnach kommt eine Weiterleitung der Rezepte nur zustande, wenn ein immobiler Patient von sich aus nach einer Apotheke fragt. Die Möglichkeit der Rezeptübermittlung werde erst angeboten, nachdem der Patient nach einer Wunschapotheke gefragt worden sei.
Die verhältnismäßig hohe Zahl der weitergeleiteten Rezepte möge zwar einen Verdacht erwecken, so das OLG, konkrete Verstöße seien damit aber nicht bewiesen. Die Indizien alleine überzeugten die Richter nicht. Das gilt auch für die Einwilligungserklärung, auf der die beiden HNW-Apotheken bereits eingetragen waren. Dass der Patient auch eine andere Apotheke wählen konnte und die Zettel laut Praxis erst auf Nachfrage zum Einsatz kamen, reichte den Richtern aus.
Die Wettbewerbszentrale hatte zwischenzeitlich noch einen Sponsoringvertrag besorgt, wie er zwischen HNW und Apotheken geschlossen worden sein soll. Demnach verpflichte sich die Apotheke unter anderem, die Kosten für die Registrierung beim HNW-Portal, die Zertifikate, die Kartenlesegeräte sowie die monatlichen Mietkosten zur Kommunikation im internen Bereich für ein Jahr für jeweils zehn Arztpraxen zu übernehmen.
Die Gesamtkosten bezifferte die Wettbewerbszentrale auf knapp 10.000 Euro. Einen solchen Betrag würde eine Apotheke sicher nicht investieren, wenn sie nicht damit rechnen könnte, systembedingt Rezepte zugeleitet zu bekommen, so der Vorwurf.
Der Arzt bestritt, einen Sponsoringvertrag wie im Verfahren vorgelegt abgeschlossen zu haben. Laut OLG wäre es damit wieder Sache der Wettbewerbszentrale gewesen, den Vertragsabschluss zu beweisen. Aber selbst dann wäre den Richtern zufolge nur das wirtschaftliche Interesse der Beteiligten bewiesen gewesen – konkrete Verstöße leiteten sich daraus aber nicht zwingend ab.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau wurde zurückgewiesen – auch die Vorinstanz hatte in der Weiterleitung der Rezepte allein keinen Verstoß gesehen. Das OLG hat keine Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen. Die Wettbewerbszentrale kann dagegen noch Nichtzulassungsbeschwerde einlegen.
In Bad Homburg denkt man bereits über diesen Schritt nach, da die Frage der Zuweisung eine grundsätzliche sei. Was die Beweislast betrifft, sieht die Wettbewerbszentrale ein Dilemma. Ein Testkäufer in der Praxis, der eine Erkrankung vortäusche, um sich ein Rezept zu ergattern, mache sich nämlich des Betruges strafbar. Aus Sicht der Wettbewerbszentrale lag die Zuweisung mit den vorgelegten Beweisen dagegen klar auf der Hand.