ApoRetro – Der satirische Wochenrückblick

Adventsaktion: Kassenbosse helfen in Apotheken

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Berlin -

Einfach mal Danke sagen, ja warum denn nicht! Das ganze Jahr haben die Apothekenteams schließlich die Versorgung der Versicherten am Laufen gehalten und das, man darf es gar nicht laut sagen, unter widrigsten Umständen. Nachdem das mit dem Applaus vom Balkon irgendwie aus der Mode geraten ist, haben sich die Kassenchefs etwas Besonderes einfallen lassen: Sie helfen einen Tag lang im Weihnachtsgeschäft in den Apotheken aus.

Vor Weihnachten ist in den Apotheken noch einmal die Hölle los, das hat sich auch bei den Kassen herumgesprochen. Also haben die Vorstände am Rande des Weihnachtsfests beim GKV-Spitzenverband beschlossen, einen Tag lang persönlich in einer Apotheke zu unterstützen. Mag sein, dass auch ein wenig Glühwein im Spiel war, aber versprochen ist versprochen.

Und so stehen am Nikolaustag im Morgengrauen zehn gut gekleidete Managerinnen und Manager unangekündigt vor der Tür einer Apotheke im Berliner Stadtteil Hellersdorf. Die Approbierte, die an diesem Morgen Dienst hat, weiß zunächst gar nicht, wie sie mit dem ungewöhnlichen Besuch umgehen soll. Doch Gottseidank ist schon die Chefin zur Stelle und lotst die Gäste erst einmal in den Pausenraum.

Nach einer kurzen Diskussion („Eigentlich kommt mir das jetzt weniger gelegen …“) wird man sich doch noch einig. Immerhin stehen die mitgebrachten Kamerateams vor der Tür und man will ja ein paar schöne Aufnahmen machen. Für ein paar Stunden dürfen die unverhofften Praktikanten also bleiben und dem Team über die Schulter schauen. Der Experimentierkasten vom letzten Schulkinderbesuch ist leider nicht mehr aufzufinden.

Zwischen Backoffice und Kinderecke

Und so werden die interessierten Damen und Herren aufgeteilt: Dr. Doris Pfeiffer vom GKV-Spitzenverband wird ins Backoffice beordert, als Volkswirtin wird sie im Wareneingang eingesetzt. TK-Chef Jens Baas darf gemeinsam mit einer versierten PTA verschiedene Rezepturen herstellen. Christoph Straub von der Barmer, immerhin Arzt und auch Professor, übernimmt das Blutdruckmessen.

Ausgestattet mit einem Staubfeudel, hilft Andreas Storm von der DAK beim Auffüllen des Generalalphabets sowie der Sicht- und Freiwahl. Dr. Carola Reimann (AOK) wird bei der Verkostungsaktion (Rabenhorst) eingesetzt, Franz Knieps (BKK) springt bei der Kinderbetreuung in der Spielecke ein. Ulrike Elsner (vdek) erledigt das Stützstrumpfanmessen. Und um Retaxationen vorzubeugen, übernehmen Stephanie Engelmann (KKH), Johannes Bauernfeind (AOK Baden-Württemberg) und Frank Hippler (IKK classic) gemeinsam die Rezeptkontrolle. Sechs Augen sehen bekanntlich mehr als zwei.

„Raus hier!“

Aber schon nach einer halben Stunde wird das Experiment abgebrochen. Denn so gut die Vorstände es auch gemeint haben: Zu gebrauchen sind sie nicht. Die Bestände stimmen schon nach dem ersten Verbuchen der Ware nicht mehr, in der Rezeptur sieht es aus, als ob eine Bombe eingeschlagen hätte. Mehrere Kinder haben weinend die Offizin verlassen, in einer Schütte sind plötzlich Morphin-Pflaster zu finden. „Raus! Alle!“ Der Schrei der Inhaberin ist noch bis ins Regierungsviertel zu hören.

Die Fakten: Kein Kassenboss hat je in der Apotheke ausgeholfen oder auch nur ein kurzes Praktikum gemacht. Wozu auch? Lässt sich doch vom Schreibtisch aus viel besser entscheiden. Aus der Vogelperspektive kann man die Einsparpotenziale am besten erkennen. Geht alles B-I-L-L-I-G-E-R! Leistungserbringer zermürben, bis sie klein bei oder am besten ganz aufgeben. Austauschartikel? Wundversorgung? Inkontinenz? Jeder Fehler wird maximal bestraft. SO werden Versichertengelder effektiv eingespart.

Blöd nur, wenn darunter am Ende die Versicherten selbst leiden. Ein Patient aus Baden-Württemberg griff im Kampf gegen den übermächtigen Verwaltungsapparat zu einem unkonventionellen Mittel: Nachdem sein Antrag auf einen höheren Pflegegrad abgelehnt wurde, verklagte er die AOK – und zwar auf Halbierung der Gehaltszahlung an ihre Vorstände: „Das ist hiermit eine Klage gegen die Pflegekasse, wo ich zu Recht verlange, dass die zwei höchsten Verwaltungspersonen in Stuttgart der AOK Baden-Württemberg nun von ihrem protzigen Unterhalt die Hälfte von den jedes Jahr gezahlten ½ Million Gesamtsumme gestrichen wird.“

Dass die Vorstände der 96 Krankenkassen jährlich rund 100 Millionen Euro kosteten, sei eine „spektakuläre Verschwendung von Volksgeldern“. Wie der Fall ausging, wollen wir an dieser Stelle aber nicht verraten. Ist ja bald Weihnachten, Zeit der Liebe, Fest der Hoffnung und so weiter.

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