Nachtdienstgedanken

Advent, Advent, die Klappe brennt

, Uhr
Berlin -

Auch diesen Sonntag hat Sarah wieder das große Los gezogen: Sie hat Nachtdienst. Ihre Fantaschale Max freut sich schon die ganze Woche auf die Lieblingskollegin. Sollte es mal langweilig werden, hat er sich sogar schon ein paar lustige Spiele ausgedacht. Er plant ein überdimensionales Schach-Turnier auf den Apothekenfliesen mit Aufstellern und Schütten als Figuren. Trotz dieser vielversprechenden Pläne macht es sich Sarah erstmal im Mitarbeiterraum gemütlich. Ihr Energielevel ist auf dem Tiefpunkt.

Seit zwei Sekunden befinde ich mich in der perfekten Position. Die linke Seite meines Kopfes versinkt in weichen Daunen, die Decken (Plural!) sind sorgfältig drapiert, über mir und unter mir. So fühlt es sich schon fast nicht mehr an, als läge ich auf einer Couch. Für kurze Zeit segle ich aufs Land der Träume zu. Doch – so musste es ja kommen – kaum eingeschlafen, schrillt grell die Apothekenklingel. Sympathikus und Parasympathikus liefern sich in meinem Nervensystem einen Schlagabtausch.

Schlussendlich raffe ich mich auf und schlurfe widerwillig zur Klappe.

„Ja bitte?“
„Hallo, I bims.“
„Hallo.“
„Ich hätte gerne Hirschhornsalz.“
„Ihr Ernst?“
„Na logo.“

Ich rolle nicht nur mit den Augen, ich kreisele!

Da ich für eine Rebellion oder anderweitige Gefühlsausbrüche zu erschöpft bin, ergebe ich mich und tapse nach hinten. Die Taxe lässt mich nicht im Stich, wir haben sogar Hirschhornsalz vorrätig. Da kann man schonmal ein bisschen stolz auf das eigene Warenlager sein, finde ich. Ich klopfe mir auf die Schulter.

Selbstbewusst präsentiere ich dem Hipster an der Klappe meine Beute. Beim Preis entgleisen ihm kurz die Gesichtszüge, er bewerkstelligt es aber, sich wieder zu fangen. Geld wird ausgetauscht und ich sehe mich gedanklich schon wieder als Decken-Kissen-Sandwich auf dem Sofa.

„Ja und wie dosiere ich das jetzt genau?“ Nachdem eine kleine Aufwärmzeit für meine Gehirnwindungen verstrichen ist, schaffe ich es, zu antworten: „Haben Sie denn kein Rezept?“

„Vom Arzt?“
„Nein. Sie wollen es doch hoffentlich nicht einnehmen, oder?“
„Wieso, ist das giftig?“
„Ja wenn sie jetzt einfach einen Löffel davon in den Mund stecken, schon!“
„Ach herrje, ich wollte es wirklich essen. Ich glaube, jetzt haben Sie mir das Leben gerettet!“

Ich bleibe unbeeindruckt, das ist schließlich mein tägliches Business.

„Naja. Wenn sie es pur essen oder in einen normalen Kuchen packen, wäre das nicht so gut. In Lebkuchen und Plätzchen kann man es aber bedenkenlos essen.“
„Plätzchen? Ich wollte damit mein Wildgulasch würzen. Ist das nicht Hirschhornsalz?“
„Doch, aber das benutzt man doch zum Backen. Damit die Lebkuchen fluffig werden.“
„Und warum heißt es dann bitte Hirschhornsalz?“

Ich komme mir vor wie in der Sesamstraße.

„Weil das früher aus Hirschgeweihen hergestellt wurde.“
„Ach so. Na dann brauche ich ja auch keins zu kaufen. Geweihe hab ich noch genug in meinem Keller liegen.“

Ich schaue schief, habe mir aber abgewöhnt, mich zu wundern.

Unbeirrt fahre ich fort: „Einfach in den Lebkuchenteig geben, dann ein Weilchen stehen lassen und nach dem Backen sind sie super luftig.“
„Sie sind ja eine richtige Bäckerin.“

Ein Kompliment hatte ich heute noch nicht bekommen, daher freue ich mich ein wenig zähneknirschend.

„Wäre ich das mal geworden. Dann hätte ich nicht Pharmazie studieren müssen.“
„Man muss studieren, um hier zu arbeiten?“

Darauf antworte ich jetzt erstmal gar nichts und wünsche freundlich einen schönen Abend.

„Ach so, Moment! Haben Sie zufällig auch noch gemahlene Nüsse?“

Und die Klappe geht zu.

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