Apothekenschließung

Adieu, altes Einhorn!

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Berlin -

Haben Sie 350.000 Euro übrig? Wir hätten da was. Ein Immobilien-Schmuckstück. Baujahr 1676, 300 Quadratmeter Grundfläche, denkmalgeschützt, Inneneinrichtung mit neugotischen Holzschnitzereien aus Rosenholz. Eine Apotheke ist auch gleich mit dabei. Hier erzählt Apotheker und Neu-Rentner Merten Thurmann seine Geschichte. Mit der Schließung der Einhorn-Apotheke endet nach 304 Jahren ein Stück Historie in Lippstadt.

„Ich bin im Rentenalter und habe einfach keine Lust mehr auf den Kampf mit den Krankenkassen und auf eine Politik, die uns im Stich lässt“, sagt der 65-Jährige. Die Politik hat das auch schriftlich. Sie schweigt. Anlässlich der Schließung seines Unternehmens setzte Thurmann eine schlichte Traueranzeige in die Lippstädter Lokalzeitung „Der Patriot“.

Dort hieß es: „Hiermit teile ich mit, dass die Einhorn-Apotheke nach über 304 Jahren geschlossen ist! Dank sagen möchte ich allen Kunden, insbesondere den langjährigen Stammkunden. Der Entschluss, die Apotheke aufzugeben, ist mir sehr schwer gefallen, aber die Situationen mit den Krankenkassen, der Politik und den Standesorganisationen haben mich in meiner Entscheidung bestärkt. Immer wieder neue Verträge, Verordnungen und Gesetze verhindern, dass man sich um das Wichtigste, und zwar den Patienten, kümmern kann.“ Eine Reaktion von Politik, Krankenkassen oder Standesvertretung erwartet er nicht: „Da wird nichts kommen. Die werden das ignorieren.“ Dabei wünscht er sich nur eines: „Dass die Menschen nachdenken.“

Einen Nachfolger hat der Apotheker erst gar nicht gesucht. Er hielt es für aussichtslos. „Es lohnt sich an diesem Standort nicht mehr, eine Apotheke zu betreiben. In den vergangenen zehn, 15 Jahren sind viele Ärzte in der näheren Umgebung weggezogen, sie haben Gemeinschaftspraxen eröffnet oder sind in Krankenhäuser gegangen. Das kann eine Apotheke auf Dauer nicht auffangen. Unser Umsatzrückgang lag am Ende bei 30 Prozent.“ Lippstadt hat rund 67.200 Einwohner und 23 Apotheken, es ist kein Versorgungsmangel zu befürchten. Und trotzdem ist die Schließung der Einhorn-Apotheke eine traurige Nachricht.

Das schöne alte Haus hat viel gesehen: Es ist das älteste Einzelhandelsfachgeschäft in Lippstadt und Umgebung, älter sogar als das Rathaus. Zum 300. Jubiläum seiner Apotheke im Jahr 2012 hat Thurmann eine liebevoll und akribisch zusammengestellte „Festschrift“ verfasst.

„Im Jahr 1932 hat mein Großvater die Apotheke übernommen und ich bin gern in seine Fußstapfen getreten“, erzählt er. Wenn er von seiner schönen Apotheke berichtet, gerät er ins Schwärmen: „Die Ausstattung ist 180 Jahre alt, das ist ein Highlight in Lippstadt! Wir haben neugotische Schnitzereien aus Rosenholz, es gibt in ganz Deutschland keine gleichwertigen Schnitzereien.

Die Lippstädter Apothekenszene hat einiges an Geschichtchen zu bieten. So gab es zur Zeit der Gründung der Einhorn-Apotheke bereits zwei Konkurrenten, die Engel- und die Adler-Apotheke. Die Engel-Apotheke wurde im Jahr 1625 eröffnet und 1993 geschlossen, die Adler-Apotheke bestand von 1681 bis 1806. In jenem Jahr erhielt die Gattin von Apotheker Jordan einen Brief aus Amsterdam, darin stand, dass ihr Mann sie vor einigen Wochen heimlich verlassen habe und dass er nie zurückkehren werde. Damit war auch die Apotheke perdu. Was aus der Verlassenen wurde, ist nicht bekannt.

Mehr Glück hatte da die Apothekerwitwe Lisette. Nachdem ihr Gatte Ludwig Gottfried Präbsting am 17. April 1848 starb, wurde das Unternehmen nacheinander von drei männlichen Apothekern verwaltet.

Zu seinen Lebzeiten beschied ihm die Landesregierung nach einer „Visitation“ (Prüfung der Apothekenzustände): „Dem Apotheker Pröbsting haben dieselben Commissarien nicht minder das Zeugnis eines fleißigen, aufmerksamen und wissenschaftlich gebildeten Mannes erteilt, von welchem sich erwarten lässt, dass er seine Apotheke fortwährend in besten Zustand erhalten werde. Sie haben auch in der Pröbsting‘schen Apotheke sämmtliche Arzneymittel bey der strengsten Prüfung ohne Tadel befunden.“

In seiner Festschrift macht Thurmann einen interessanten Ausflug in die Geschichte der Apotheken. „Durch das Medizinaledikt des Stauffenkaisers Friedrich II. Im Jahr 1240 fand eine Trennung der Berufe Ärzte und Apotheker bezüglich der Abgabe von Arzneimitteln, Heilkräutern und anderer manchmal merkwürdig anmutender Mixturen und Heilmittel statt. So war es üblich, dass Apotheken im Mittelalter auch Zuckerwaren wie Marzipan und kandierte Früchte, Weine und Branntwein, Siegelwachs für die Städte, Farben, Ton, Gips, Fackeln etc. verkaufen durften.“ Eine spannende Idee: Fackeln im Handverkauf im 21. Jahrhundert!

Auf einer Wand der Apotheke steht in großen Buchstaben das Lessing-Zitat aus „Nathan der Weise“: „Es ist Arznei, nicht Gift, was ich Dir reiche!“ Eine bewährte, vertrauenserweckende Maßnahme. Auch schöne alte Gegenstände hat Thurmann liebevoll aufbewahrt, darunter eine alte Rezepturwaage aus den 1930er-Jahren, ein über hundert Jahre altes Pillenbrett, handbemalte, rund 200 Jahre alte Glasstandgefäße und eine gerahmte Sammlung von Pillendosen aus den Jahren 1860 bis 2012.

Derzeit ist er am Ausräumen des Hauses: „Wir wohnen über der Apotheke, wie es immer üblich war. Nun wollen wir verkaufen, es gibt schon einige Interessenten. Die Schnitzereien bleiben natürlich bestehen. Man könnte ein kleines Café aus den Verkaufsräumen machen. Oder einen Teeladen.“ Nur am letzten Tag stellte sich ein bisschen Wehmut ein: „Ich habe mich lange darauf vorbereitet.“

In diesen Tagen räumt er die Apotheke, danach geht er mit Familie und den drei Hunden wandern. Das Rentnerdasein hat durchaus seine Tücken: „Es ist eine Umstellung, der Tagesablauf ist ein anderer geworden.“ Seine Stammkunden werden ihm fehlen: „Die waren toll.“ Die gute Nachricht: Er muss sich nie wieder über ignorante Politiker, Krankenkassen und Interessenverbände ärgern.

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