Junger Apotheker berichtet

Abrechnungsbetrug: „Ihr Vorgänger hat das auch so gemacht”

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Berlin -

Jährlich werden rund 200 Milliarden Euro im deutschen Gesundheitswesen für Leistungen ausgegeben. In den allermeisten Fällen, aber nicht immer, geht es dabei mit rechten Dingen zu. Denn schwarze Schafe gibt es auch unter den Apothekern. Ein frisch gebackener Apothekeninhaber erzählt, wie dreist manche Kollegen versuchen, die Kunden an sich zu binden und warum er sich dagegen wehrt.

Urkundenfälschungen, Abrechnungsauffälligkeiten, Betrug: Dem Gesundheitssystem entgehen durch derartige Handlungen mehrere Millionen Euro. Oft fällt das Fehlverhalten erst im großen Rahmen auf. Die Kassen sind dabei häufig auf Hinweise Dritter angewiesen und haben gemäß Sozialgesetzbuch (SGB V) „Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen“ eingerichtet. Auch bei den meisten Privatversicherungen gibt es vergleichbare Strukturen.

Es gibt auch Apotheker, die in kleinem oder großem Rahmen betrügen. Nicht immer wollen ehrliche Apotheker solche Kollegen anschwärzen. Das trifft auch auf Björn Hartmann zu, der seinen richtigen Namen hier nicht lesen möchte, da er seine Kollegen nicht verraten und „nicht in ein Strafverfahren verwickeln möchte, bei dem möglicherweise noch Aussage gegen Aussage steht”.

Hartmann hat vor einigen Monaten eine Apotheke übernommen. Bislang sei er zufrieden, nur einige Kunden bereiteten ihm Kopfschmerzen: „Es kommen relativ häufig Kunden rein, die fragen, ob ich ihnen bei einem Original-Privatrezept mit beispielsweise vier Positionen nur zwei Arzneimittel abgeben, aber trotzdem die Verordnung so bedrucken kann, als hätte ich alle abgegeben.” Doch das widerspreche seinem Verständnis vom gesunden Wettbewerb. „Ich möchte ehrlich arbeiten und kann nicht die Kasse betrügen. Ich möchte noch lange Apotheker bleiben”, erklärt er. Bei Nachfragen würde er lediglich hören: „Ihr Vorgänger hat das auch so gemacht.”

Manchmal soll es sogar auch der Vor-Vorgänger gewesen sein. Von seiner Mitarbeiterin weiß er, die er im Zuge der Apothekenübernahme auch übernommen habe, dass das „gang und gäbe“ war. „Wir haben das so gemacht”, zitiert er sie. Doch handfeste Beweise hat er nicht. „Meine Vorgänger betrogen anscheinend die Kassen. Das finde ich nicht gut, jetzt muss ich mich um ,diese’ Kunden kümmern.”

Er erinnert sich außerdem an eine Privatpatientin: „Sie gab mir ein Rezept mit einem Wert von etwa 1000 Euro. Darauf war unter anderem Nexium (Esomeprazol) verordnet, das etwa 286 Euro kostet. Sie wollte von mir, dass ich das bedrucke, ihr aber Omeprazol von Aliud im Wert von etwa 20 Euro abgeben soll.” Als er ablehnte, soll sie gesagt haben: „Das ist mein Bonus. Dann komme ich nie wieder hierher!”

Hartmann: „Klar, aus Kundensicht ist das sehr lukrativ. Sie kam dann seit dem auch nicht mehr”, so der Pharmazeut. Er ist sich sicher, dass viele Kollegen „da draußen” den Kunden entgegenkommen und ihren Wunsch befriedigen würden. Dieses Verhalten beunruhige ihn: „Ich betrüge niemanden – und dann kommen Pappnasen und nehmen mir die Kunden weg.”

Solches Fehlverhalten ist im Gesundheitswesen bekannt: „Schätzungen variieren hinsichtlich der durch Betrug erzielten Bereicherungen von 1 bis 10 Prozent aller Leistungsausgaben – GKV wie PKV. Schaut man sich allerdings das Hellfeld an, das heißt die amtliche Kriminalstatistik, sind die zur Anzeige gebrachten Fälle sowohl im Bereich der Sozialversicherungen als auch der Privatassekuranz insgesamt seit jeher sehr niedrig”, erklärt eine Sprecherin des Verbands der Privaten Krankenversicherung.

Aus seinem Apothekenalltag berichtet Hartmann weiterhin, dass die Pflegehilfsmittel vom Betrug nicht verschont blieben. „Ich bekomme relativ häufig Anfragen von Kunden, die Waschlotionen oder Handcremes möchten statt der Handschuhe, die auf dieser Liste der Hilfsmittel stehen, die die Kasse in Höhe von 40 Euro monatlich übernimmt”. „Was soll ich denn mit einer weiteren Packung Handschuhen?”, zitiert er eine Kundin.

Auch diesen Betrug, wenn auch in kleinem Rahmen, könne er nicht nachvollziehen: „Es ist vorgeschrieben, was man abgeben darf und was nicht. Aber viele Kollegen richten sich auch hier wieder nach den Kunden.“ Seiner Meinung nach sollten bei diesen Arten von Betrug bessere Kontrollmechanismen seitens den Kassen etabliert werden. „Aber dann nimmt wieder die Bürokratie im Alltag zu”, so Hartmann.

„Ich erkläre meinen Kunden, warum ich das nicht mache und dass das gesetzeswidrig ist. Viele verstehen mich. Die Sache mit den Pflegehilfsmitteln ist auch blöd gemacht vom Gesetzgeber. Keiner kann richtig nachvollziehen, was wirklich abgegeben wurde”, ergänzt er. Insbesondere findet er auch: „Die Patienten brauchen viel mehr, als die Dinge, die auf der Liste stehen.” Warum letztendlich die geschilderten Betrügereien nicht ans Tageslicht kämen, erklärt er wie folgt: „Meiner Meinung nach sitzen viele im selben Boot und jeder hat was davon. Deshalb schwärzt auch kein Apotheker den anderen an.”

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