Der Wegfall der gelockerten pandemiebedingten Abgaberegeln zu den Osterfeiertagen wird großes Chaos auslösen, ist sich Daniela Hänel, Inhaberin der Linda Apotheke in der Nordvorstadt in Zwickau sicher. Ab 8. April müssen Apotheken nebst massiven Lieferengpässen auch noch Preisanker, Rabattvertrag & Co. jonglieren. Mit einem Kinoplakat will die 1. Vorsitzende der freien Apothekerschaft die Patient:innen schon im Vorfeld sensibilisieren und durch die Präsentation im Schaufenster aufmerksam machen auf die sich wieder verschärfenden Abgaberegeln.
„Wir haben wieder was vorbereitet, um die Kund:innen der Apotheke für die große Premiere am 8. April zu sensibilisieren“, so Hänel zum Entwurf eines Kinoplakates mit Karl Lauterbach (SPD) in der Rolle des Terminators. Für den Großteil der Patient:innen wird es im April heißen: zurück zur Praxis, um ein neues Rezept ausstellen zu lassen. „Im Moment muss ich bei der Rezeptkontrolle von drei Rezepten meistens zwei korrigieren und ergänzen, um keine Retax zu riskieren.“
Ausgerechnet zum Start der sich wieder verschärfenden Abgaberegeln hat Hänel einen 24-Stunden-Tag inklusive Notdienst. „Ich lade jeden der 736 Bundestagsabgeordneten ein, um mich in der Apotheke zu besuchen. Freiwillige vor!“ Um mit Patient:innen ins Gespräch zu kommen und die Kundschaft für die schlechte Versorgungslage zu sensibilisieren, habe die Apothekerin zusammen mit ihren Kolleg:innen der freien Apothekerschaft ein Kinoplakat entwickelt, welches ab sofort in die Schaufenster gehängt wird. „Der Kunde kann ja im ersten Moment gar nichts damit anfangen. Wenn er dann aber am HV-Tisch danach fragt, können wir ihn aufklären und vorab schon darauf aufmerksam machen, dass sich die Situation bezüglich der Medikamentenabgabe im April abermals verschärfen wird“, so Hänel.
Da es momentan an allen „Ecken und Enden“ schon an Arzneimitteln fehle, erwarte Hänel das große Chaos zu Ostern. „In der Woche vor Ostern werden schon einige Arztpraxen in den Urlaub gehen, und in den nachfolgenden Ferien werden weitere Praxen schließen. Hinzu kommt, dass das am Samstag keine Belieferung durch den Großhandel ab 13 Uhr mehr möglich ist.“ Zudem haben weitere Apotheken im Dienstumfeld von 29 km laut Hänel ab 13 Uhr geschlossen. Der Ärzteschaft sei es auch noch nicht richtig bewusst, dass ab 8. April voraussichtlich jeder zweite Patient zurück in die Praxis muss, weil das verordnete Medikament nicht lieferbar oder schlicht zu teuer ist.
Erst am Dienstag sorgte der Gesundheitsminister Lauterbach mit seiner Äußerung „die Lage habe sich entspannt“ für harsche Kritik in der Apothekerschaft, denn in den Apotheken vor Ort sieht es ganz anders aus: Laut Heiko Meyer, Inhaber der Ruhrland-Apotheke in Bochum-Stiepel, ist die Versorgung alles andere als gesichert: „Im Bereich antibiotische Kindersäfte ist einfach nichts zu bekommen. Alle Säfte, die überhaupt gelistet sind, können nicht bestellt werden.“ Seine Apothekenmitarbeiter:innen würden täglich beim Großhandel nachfragen, was überhaupt noch lieferbar sei.
Wie Lauterbach zu der Behauptung kommt, die Versorgungslage habe sich entspannt, versteht Meyer nicht. In einem offenen Brief an den Gesundheitsminister stellt der Inhaber ernsthaft die Frage nach der Eignung als Gesundheitsminister für die Bundesrepublik Deutschland tätig zu sein. Er sei sich sicher, dass Lauterbach „vollkommen die Realität vor Ort aus den Augen verloren“ habe.
Immerhin sieht Lauterbach ein, dass es mühselig ist, Ersatz für fehlende Arzneien zu suchen. Sein Vorschlag, dass die Apotheken einen Aufschlag von 50 Cent für die Präparate bekommen, die auf der Engpassliste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte stehen, hält selbst Abda-Chefin Gabriele Overwiening für eine Frechheit: „Mit diesem schamlosen Betrag vergüten Sie 24 Stunden Arbeitszeit“, teilt sie dem Minister mit: „Wie soll das reichen, den zeitlichen und personellen Aufwand für das gesamte Management der Lieferengpässe abzufedern?“ Für eben dieses Management bräuchten die 18.000 Apotheken mehr als 5,5 Millionen Stunden Arbeit im Jahr. Realistischer wäre ein Zuschlag von 21 Euro – also 42-mal höher.
„Es müsste eine Verstetigung der jetzigen Regeln geben“, fordert auch Apotheker Felix Maertin, Inhaber der Rhein Apotheke in Karlsruhe. „Abgaberegeln sollten so unkompliziert wie möglich sein.“ Er warnt vor Chaos bei der Versorgung, einem nicht darstellbaren Mehraufwand sowie weiteren finanziellen Einbußen.
Der Bundesgesundheitsminister will die Freiräume aus der Coronazeit jedoch nicht fortsetzen. Demnach gelten dann wieder die Bestimmungen aus der Zeit vor Corona: Kein Austausch eines nicht lieferbaren Medikaments ohne Rücksprache mit dem verordnenden Arzt. Halten aber die Engpässe an und fallen zugleich die Corona-Ausnahmeregeln weg, entsteht für Apotheken, Ärzte und Patient:innen ein riesiger Aufwand. Dabei sprechen die Angaben der Abda Klartext: Jährlich habe es etwa 20 Millionen Fälle von „Nichtverfügbarkeit“ gegeben.
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