Seit über einer Woche ist er raus, der Entwurf zum Apotheken-Reformgesetz (ApoRG). In den Apotheken mehren sich die Sorgen. Und das nicht nur bei den Inhaber:innen, sondern auch bei angestellten Approbierten, Pharmazieingenieuren, PTA und PKA. Die Abda sieht sich gezwungen, etwas zu unternehmen. Die Politik unter Druck zu setzen, will man vermeiden. Oft hilft es ja schon, miteinander zu reden. Damit alle das Gefühl bekommen gehört zu werden und nicht auf dumme Ideen kommen, schaltet die Standesorganisation nun ein Sorgentelefon.
„Wir haben heute eine Sondersendung unseres Abda-Talks“, meldet sich die Apothekerin mit der warmen Stimme zu Beginn des Lives, das auf Facebook übertragen wird. Diesmal hat man sich extra gegen die Präsidentin entschieden, um einer beruhigender wirkenden Person das Feld zu überlassen. Die Apothekerin hat zudem ein paar Semester Psychologie studiert. Sie fühlt sich gewappnet für das, was da kommen könnte.
„Wir haben hier in Berlin einen gewissen Frust bei Ihnen wahrgenommen und möchten Ihnen nun Gelegenheit geben, sich uns anzuvertrauen. Erzählen Sie uns, was Sie bedrückt. Welche Vorschläge haben Sie, wie wir die Apothekenwelt gemeinsam besser machen können? Welche Auswirkungen befürchten Sie für Ihre Apotheke, sich selbst, für Ihre Angestellten, für Ihre Chefin oder Ihren Chef? Rufen Sie uns einfach an, wir hören zu.“
„Wir fangen an mit Anna. Anna ist 45 Jahre alt und ist Inhaberin – stimmt das, Anna?“
„Ja, das stimmt.“
„Was bewegt dich, Anna?“
„Dass, ich nicht weiß, wie es weitergeht.“
„Mmh, ja. Was bedeutet das konkret?“
„Na, jetzt haben wir den Entwurf und alles droht sich zu verändern, ohne dass wir am Ende auch nur einen Cent mehr dafür bekommen.“
Ja, das verstehe ich. Und wie fühlst du dich dabei?
„Na wie soll ich mich da fühlen?! Ich bin sauer! Stinksauer! Wütend und traurig. Manchmal überlege ich schon, ob ich überhaupt noch eine eigene Apotheke haben möchte.“
„Das muss dir überhaupt nicht peinlich sein, dass du solche Gedanken hast, Anna. Das ist komplett nachvollziehbar.“
„Ja, und dann schaue ich mir meine Zahlen an. Sitze hier nachts noch in der Apotheke und versuche, Stellschrauben zu finden, an denen ich noch drehen könnte. Aber ich finde keine. Wo soll das noch hinführen?“
„Unter uns zwei Gebetsschwestern, Anna: Da werden wir nicht viel machen können. Das Gesetz wird kommen, sofern uns nicht die Abgeordneten retten.“
„Und wie soll das gehen?!“
„Noch mit den Politikerinnen und Politikern sprechen, die wir erwischen. Allen darlegen, warum Lauterbach nicht mit dem Gesetz durchkommen darf.“
„Und wenn das nicht hilft?“
„Ansonsten können wir nicht ändern, was nicht zu ändern ist. Aber wir müssen alle lernen, wie wir das Beste aus der Situation machen. Sie sind eine starke und erfolgreiche Frau. Ich bin mir sicher, dass Sie für Ihre Apotheke kämpfen werden und die Patientinnen und Patienten nicht im Stich lassen.“
Schweigen am anderen Ende, dann schniefen. Schlauer ist Inhaberin Anna nun nicht. Aber immerhin etwas erleichtert, dass sich jemand aus der Standesvertretung ihre Sorgen wenigstens einmal angehört hat.
Es folgen noch einige weitere Anruferinnen und Anrufer. Apothekerinnen, Inhaber, Angestellte, PTA wie PKA – alle teilen ihre Sorgen mit den anderen Zuschauer:innen, mal leiser wie bei Anna, mal lauter. Dann neigt sich die zweistündige Sondersendung dem Ende. „Wir haben nun leider keine Zeit mehr für die weiteren Anruferinnen und Anrufer in den Leitungen“, schließt die Seelsorge-Apothekerin deutlich mitgenommen und müde. „Aufgrund Ihres Feedbacks hat sie die Leitung gerade dazu entschieden, dass wir mit dem Format in die Verlängerung gehen werden. Wir sehen und hören uns also in der kommenden Woche gleich wieder.“
Wie so ein Sorgen-Telefon wohl wirklich laufen würde? Kann man sich gerade ein bisschen auf dem Karriereportal Linkedin anschauen. Dort hatte der SPD-Politiker Matthias Mieves um Vorschläge von Apothekerinnen und Apothekern gebeten. Und dort wird seit ein paar Tagen fleißig diskutiert, wobei Mieves schon mehrfach klar machen musste, dass er das mit „mehr Geld“ mittlerweile verstanden hat. Auch die Abda-Präsidentin hatte sich kurz eingeschaltet und für die gewünschten Vorschläge auf das „Perspektivpapier 2030“ verwiesen. Was im Grunde alles über die inhaltliche Leere und die fehlende strategische Planung aussagt.
Wer jedenfalls nichts mehr ruhig bleiben möchte, ist der Hessische Apothekerverband (HAV). Kommende Woche bleiben die Apotheken daher zwei Tage lange geschlossen, um noch mal ein deutliches Zeichen zu setzen. Hier müssten möglichst viele mitziehen, um einen größtmöglichen Effekt zu erzielen.
Die Kooperation Linda will rechtlich gegen die Reform vorgehen, auch die Freie Apothekerschaft lässt ein Gutachten erstellen. Mehrerer Inhaberinnen und Inhaber schalten eine Zeitungsanzeige, kommende Woche erneut Protest und Großkundgebung auf dem Opernplatz in Frankfurt am Main – all das zeugt davon, dass nicht alle in der Branche mit dem defensiven Weg der Abda einverstanden sind. Dabei ist doch alles gar nicht so schlimm, findet BMG-Staatssekretär Edgar Franke (SPD): Er bekomme auch Zuspruch von Apotheken zum Reformvorhaben – sagte er ausgerechnet auf beim Versender-Kongress.
Dass sich angesichts der Reformpläne der Gedanke aufdrängt, Lauterbach könnte die Apotheken abschaffen wollen, verwundert zumindest nicht. Obwohl abschaffen vielleicht nicht, schließlich sollen noch neue pDL übernommen werden. Aber umverteilen. Resultat: PTA, die bald Notdienste übernehmen? Besondere pharmazeutische Leistungen nur noch in besonders guten Standorten? Wie das alles mal in ein paar Jahren werden soll, mag man sich gar nicht ausmalen. Oder hätten Sie auch Lust, noch mit mehr als 80 Jahren in der Offizin zu stehen, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen?
Unser imaginäres Sorgentelefon-Format lief übrigens noch etwa ein Jahr lang weiter, nahezu jede Woche. Zuletzt verschob sich das aber zu sehr in Richtung Beratung von Insolvenzen und Schließungen, dass das Format aus der Öffentlichkeit gezogen wurde. Die Nummer ist aber noch aktiv. Wer also Hilfe bei der Schließung seiner Apotheke benötigt, darf sich noch immer vertrauensvoll an die Standesvertretung wenden.
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