Über vier Jahre sind seit der Einführung von medizinischem Cannabis vergangen. Mit gehöriger Verspätung ist es nun so weit: Erstmals werden deutsche Apotheken mit Cannabis aus hiesiger Produktion beliefert. Vorerst kommt die Ware nur von Aphria aus Neumünster. Aber es zeichnet sich bereits ab: Das deutsche Cannabis könnte aufgrund massiv niedrigerer Preise den hiesigen Markt durcheinanderwirbeln.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist am Mittwoch offiziell in den Cannabishandel eingestiegen: Apotheken können nun über das Internetportal der dem BfArM zugeordneten Cannabisagentur Ware bestellen. Die Cannabisagentur war 2017 mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften – dem sogenannten „Cannabis als Medizin“-Gesetz – als neues Fachgebiet in der Abteilung 4 des BfArM eingerichtet worden. Das medizinische Cannabis wird dann im Auftrag des BfArM von Aphria, Aurora und Demecan in Deutschland angebaut und vom BfArM über den Großhändler Cansativa vertrieben.
Cansativa hatte im Sommer vergangenen Jahres vom BfArM als einziges Unternehmen den Zuschlag in der Ausschreibung über die Logistik- und Vertriebsleistungen von 10,2 Tonnen Cannabis innerhalb von vier Jahren erhalten. Neben dem Vertrieb ist das Start-up aus dem Frankfurter Umland für Lagerung, Kommissionierung und Ausgangslogistik verantwortlich. „Nicht nur für uns als Distributor ist der Beginn des Vertriebs von in Deutschland angebautem Medizinalcannabis ein großer Erfolg – für die gesamte Branche, national und global, ist das ein positives Zeichen auf dem Weg zu einer stabilen Versorgungssicherheit“, erklärt Gründer und Geschäftsführer Benedikt Sons. „Durch den lange erwarteten Vertriebsstart deutscher Cannabisblüten wird die Versorgungssicherheit nun nochmals schlagartig verbessert.“
Bisher war Deutschland vollständig von Importen abhängig. Die vom BfArM auf Grundlöage von Bedarfsschätzungen angemeldet werden, wobei das BfArM in der Vergangenheit regelmäßig weit daneben lag. Zwar wird auch die heimische Produktion längst nicht ausreichen, um den wachsenden Bedarf hierzulande zu decken. Allerdings rechnen Branchenbeobachter damit, dass das Cannabis aus hiesiger Produktion die Preise drücken könnte: Denn das BfArM verkauft das medizinische Cannabis nach eigenen Angaben für 4,30 pro Gramm – und damit für rund die Hälfte des üblichen Marktpreises. „Dabei erzielt das BfArM keine Überschüsse. Bei diesem Preis werden lediglich die beim BfArM anfallenden Personal- und Sachkosten berücksichtigt“, so die Behörde.
„Wir gehen davon aus, dass der günstige Preis für das deutsche Medizinalcannabis einen gewissen Druck auf den Markt nach sich ziehen wird. Andere Lieferanten dürften reagieren und ihre Preise ebenfalls senken“, zitiert das Handelsblatt Dominik Ziegra von Insight Health. Demecan-Gründer Sons hält dem entgegen: „Cannabis aus Deutschland kommt als limitierte Menge in den Markt. Die Nachfrage nach Cannabisblüten ist weiterhin hoch, also gibt es für die anderen Marktteilnehmer erst einmal keine Notwenigkeit, ihre Preise zu senken.“ Für die Apotheken könnten sich aufgrund des günstigeren Angebots bald die Erstattungspreise ändern: Bisher konnten sie sich 9,52 Euro pro Gramm zuzüglich Aufschlägen erstatten lassen. Dieser Betrag soll nun angepasst werden.
Neben den Preisen werde der Beginn des deutschlandinternen Vertriebs aber trotz der geringen Mengen die Versorgungssicherheit verbessern, verspricht Cansativa. Insgesamt seien im Jahr 2020 für medizinische Zwecke 9.231 Kilogramm Cannabisblüten nach Deutschland eingeführt worden und damit 37 Prozent mehr als im Jahr davor. „Mit etwas mehr als 300.000 bewilligten Verordnungen konnte der Bedarf im Markt aber auch weiterhin nicht vollständig gedeckt werden“, so Co-Gründer und Co-Geschäftsführer Jakob Sons. „Mit den zusätzlichen 2,6 Tonnen Cannabis aus deutschem Anbau wird diese Lücke zunehmend geschlossen.“
Mit dem Einstieg des BfArM in den Cannabis-Vertrieb endet eine lange Geschichte von Pleiten und Pannen: Eigentlich hätte das deutsche Cannabis schon längst Teil der hiesigen Versorgung sein sollen. Denn bereits um die Ausschreibung für den Anbau gab es Rechtsstreitigkeiten. Wegen eines Fehlers in der Ausschreibung stoppte sie das Oberlandesgericht Düsseldorf. Die Ausschreibung musste wiederholt werden, der Anbaubeginn verzögerte sich um ein Jahr. Statt wie geplant 2019 sollte die erste Ernte erst 2020 eingefahren werden. Doch dann kam die Coronapandemie – notwendige GMP- und BtM-Zertifizierungen der Hersteller konnten nicht fristgerecht ausgestellt werden, die erste Ernte verzögerte sich erneut und fand nun Mitte 2021 statt – mit zwei Jahren Verzögerung.
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