Das Thema Nullretaxationen hat es inzwischen bis zum Deutschlandfunk geschafft: Apotheker Alexander von Waldenfels, Inhaber der Kurapotheke im oberbayerischen Schliersee, ist mit einer Retaxation über 5000 Euro der Aufhänger für einen fast 20-minütigen Beitrag über den Wettbewerb unter den Krankenkassen. Verständnis hat der Apotheker aber nicht zu erwarten. Im Gegenteil: Professor Dr. Herbert Rebscher, Chef der DAK Gesundheit, sieht die Schuld bei der Apotheke.
Von Waldenfels schildert in dem Bericht, wie eine Kundin ein Rezept über ein teures Medikament vorbestellte. Als sie zum Abholen gekommen sei, sei das Gültigkeitsdatum des Rezepts aber schon abgelaufen gewesen. Eine Mitarbeiterin habe sich gedacht, das Problem lösen zu können, indem sie das ursprüngliche Datum mit Korrekturfarbe überdeckt und ein neues Datum aufdruckt.
Die DAK kratzte das Korrekturband ab, entdeckte das richtige Datum und retaxierte. Formal sei die Kasse im Recht gewesen, räumt von Waldenfels ein. Bei anderen Kassen herrsche aber mehr Kulanz. Warum die DAK besonders aufs Geld achtet, liegt für von Waldenfels auf der Hand: Die Kasse stecke seit geraumer Zeit in Finanzproblemen. Immerhin hat die DAK ihren Beitragssatz zum Jahreswechsel deutlich erhöhen müssen und ist damit zu einer der teuersten bundesweiten Großkassen geworden. „Doch wer teuer ist, verliert Mitglieder“, weiß man beim Deutschlandfunk.
„Rebscher weiß, dass seine Kasse bei etlichen Apothekern, aber auch bei manchen Reha-Kliniken oder Pflegediensten kein sonderlich großzügiges Image hat“, wird der Kassenchef eingeführt. Er betont, dass es nicht darum gehe, berechtigte Ansprüche zu verweigern. Man schaue inzwischen einfach genauer nach, wohin das Geld fließt.
Wenn ein Apotheker sich beschwere, dass er ein falsch bearbeitetes Rezept nicht erstattet bekomme, ist in den Augen des Kassen-Chefs klar, wo das eigentliche Problem liegt: „Dann wird immer so unterschwellig gesagt, Schuld sind die, die nicht zahlen. Nein. Schuld sind die, die etwas falsch machen“, sagte er dem Deutschlandfunk. „Ich kann nach der Schilderung nicht beurteilen, ob da betrügerische Absicht dahinter steckt.“
Rund 20 Milliarden Euro bewege eine Groß-Kasse wie die DAK im Jahr. Eine wichtige Aufgabe sei es, darauf zu achten, dass das Geld an die richtige Stelle fließt, betont Rebscher. Dazu gehöre es, Regeln aufzustellen – und auf die Einhaltung der Regeln zu pochen.
Und Rebscher findet laut Deutschlandfunk, dass der Apotheker, dessen Mitarbeiterin ein 5000-Euro-Rezept mit einem neuen Datum versehen hat, fast noch glimpflich davon gekommen ist: „Versuchen Sie das mal beim Finanzamt. Da haben Sie sofort eine Klage wegen Urkundenfälschung an der Backe. Versuchen Sie das mal mit einer Rechnung, die Sie einreichen, wo Sie irgendwas dran gefummelt haben, da haben Sie eine persönliche Klage am Hals.“
Rebscher kennt zwar die Beschwerden, dass seine Kasse knausrig und wenig kulant sei. Aber dem Deutschlandfunk präsentiert er Zahlen, die zeigen, dass die DAK bei Arzneimitteln oder Reha-Maßnahmen deutlich mehr ausgibt als andere Kassen. „Wir sind die Kasse mit den höchsten Leistungsausgaben pro Kopf von den relevanten vergleichbaren Kassen, gerade in diesen Bereichen, wo es um Verordnungen geht, wo es um Antragsverfahren geht, also wo eine Kasse auch steuert“, so Rebscher.
Als die Krankenkassen in den 90er Jahren in den Wettbewerb geschickt wurden, hatten sie dem Deutschlandfunk zufolge unterschiedliche Voraussetzungen: Es habe Kassen mit überdurchschnittlich vielen älteren und kranken Versicherten gegeben – dazu zählten viele AOKen oder auch die DAK, die lange Zeit als Verkäuferinnen- und Sekretärinnen-Kasse gegolten habe. Daneben habe es auch Anbieter wie die Techniker Krankenkasse (TK) gegeben, die viele vergleichsweise junge und gesunde Versicherte gehabt habe.
Auch die hkk mit Sitz in Bremen stehe gut da: „Unser Versichertenklientel ist um 18 Prozent jünger und gesünder als der Durchschnitt der gesetzlichen Krankenkassen. Und das Klientel der DAK beispielsweise ist etwa acht Prozent älter und kränker als der Durchschnitt der gesetzlichen Krankenkassen“, erklärt hkk-Vorstand Michael Lempe. Er sieht darin kein Problem und verweist auf den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich.
Aus Sicht von Rebscher funktioniert der Morbi-RSA hingegen nicht richtig: Er nennt das Beispiel einer Patientin, die an einer sehr seltenen Krankheit leidet, die im Finanzausgleich nicht berücksichtigt wird. „Diese Behandlung hat im letzten Herbst eine Million Euro gekostet“, sagt er. Doch im Risikostrukturausgleich gelte die Frau als kerngesund.
Auch Professor Dr. Jürgen Wasem räumt ein, dass es trotz Morbi-RSA ein Problem für Krankenkassen ist, viele kranke Versicherte zu haben. „Die Faktoren, die von außen kommen, für die die Krankenkasse nichts kann, wie etwa die regionale Zusammensetzung ihrer Versicherten wie auch die Zusammensetzung der Versicherten mit bestimmten Erkrankungen, die haben sicherlich in der Summe ein stärkeres Gewicht als die Faktoren, die eine Krankenkasse selbst beeinflussen kann.“
Und das Problem werde sich verschärfen. Denn Kassen, die überdurchschnittlich teuer seien, liefen Gefahr, dass ihnen die verbliebenen Gesunden kündigten. Meistens seien es junge Versicherte, die sich auf Internet-Portalen umsähen, um durch einen Kassenwechsel Geld zu sparen. Doch genau diese „guten Risiken“ brauche eine Kasse, wenn sie Kranke mitversorgen wolle.
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