125 Prozent mehr „dringende Fälle“ Alexandra Negt, 27.04.2021 16:28 Uhr
Die Sars-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung (Sars-CoV-2-AMVersVO) hat den Apotheken während der Pandemie mehr Freiräume bei der Belieferung von Rezepten eingeräumt. Die Lockerungen sollten vor allem zusätzliche Apotheken- oder Arztbesuche minimieren. Eine Auswertung des Deutschen Arzneiprüfungsinstitut (DAPI) zeigt, dass Apotheker:innen und PTA insbesondere vom Status „dringender Fall“ Gebrauch gemacht haben. Die Anzahl ist im Juli 2020 im Vergleich zum Vorjahresmonat um 125 Prozent gestiegen.
Weniger unnötige Patienten-Arzt- und Patienten-Apotheken-Kontakte, das war eines der Ziele der Corona-Sonderregelungen für Apotheken. Um diese Kontakte einzuschränken, wurden Apotheker:innen und PTA mehr Freiräume bei der Belieferung von Rezepten gewährt: Entlassrezepte dürfen länger beliefert werden, Apotheken dürfen sich untereinander mit BtM-Präparaten aushelfen, die Darreichungsform und Dosierung – unter Umständen sogar der Wirkstoff – dürfen vom Pharmazeuten ohne Rezeptneuausstellung geändert werden.
Die abweichenden Abgaberegel gemäß Rahmenvertrag sind mit der Sonder-PZN „Abweichende Abgabe“ 02567024 und dem Faktor 5 oder 6 („Dringender Fall“) zu kennzeichnen. Die Ziffernfolge kennzeichnet neben dem dringenden Fall auch die Nichtverfügbarkeit, pharmazeutische Bedenken und das sogenannte Wunscharzneimittel. Je nach Fall muss der zugehörige Faktor aufgedrfuckt werden. Seit der Pandemie war der „dringende Fall“ nicht mehr ausschließlich auf dringende Fälle aus pharmazeutischer Sicht ausgerichtet. Ein häufiges Beispiel zur Anwendung der Sonder-PZN ist die Verordnung eines Antibiotika-Saftes für ein Kind am Freitagabend – hier kommt es häufig zum Gebrauch des Sonderkennzeichens, sodass das Kind schnellstmöglich mit der Einnahme starten kann.
Verlagerung der Anwendung der Sonder-PZN
Durch die Sars-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung (Sars-CoV-2-AMVersVO) und die größeren Spielräume kann die Sonder-PZN 02567024 mit Faktor 5 oder 6 nun teilweise auch bei Nichtlieferbarkeit einer gleichen Packungsgröße, Wirkstärke oder Darreichungsform angewendet werden. Die Arzniemittelkommission (AMK) hatte im Zuge der Verordnung sogar die Entwicklung von Äquivalenzdosentabellen angeregt: Falls ein Wirkstoff nicht verfügbar ist, kann eine Wirkstoffgruppen-gleiche Alternative ausgewählt werden. Diese Tabellen wurden von der AMK stets um neue Wirkstoffgruppen und Indikationen erweitert.
Das DAPI hat eine Auswertung zum Gebrauch der Sonder-PZN durchgeführt. Dabei wurden die Hintergründe 2 und 4 zusammen als „Nichtverfügbarkeit“ und die Hintergründe 5 und 6 als „dringende Fälle“ ausgewertet. Im Ergebnis zeigt sich, dass die Sonder-PZN „abweichende Abgabe“ und dem Hintergrund „Nichtverfügbarkeit“ im vergangenen Jahr – vor Einführung der Corona-Sonderverordnung – von 1,77 auf 2,96 Millionen Packungen pro Monat gestiegen ist. Das entspricht einem Plus von 67 Prozent. Nach der Einführung der Sars-CoV-2-AMVersVO nahm die Nichtverfügbarkeit wiederum stark ab: Im Dezember 2020 sank die Anzahl der Packungen auf 0,69 Millionen Stück. Das entspricht einem Minus von 77 Prozent im Vergleich zum März 2020.
125 Prozent mehr „Dringende Fälle“
Wurden im Juli 2019 noch 0,76 Millionen Packungen mittels Sonder-PZN „dringender-Fall“ abgegeben, waren es im Juli 2020 rund 1,7 Millionen Packungen. „In den Apotheken wurde reger Gebrauch von den durch die SARS-CoV-2-AMVersVO geschaffenen Möglichkeiten gemacht, von den Abgaberegeln nach Rahmenvertrag abzuweichen“, schreibt das DAPI in der Auswertung. Das Abda-eigene Institut sieht aber auch ein Problem in der Entwicklung: „Wie sich die Nichtverfügbarkeiten von Arzneimitteln im Apothekenalltag oder gar die Lieferengpassproblematik entwickelt hat, lässt sich anhand der Zahlen allerdings nicht abschätzen.“
Durch die anhaltende pandemische Lage wurden viele der Corona-Sonderregelungen verlängert. Neben mehr Freiheiten bei der Rezeptbelieferung gilt auch weiterhin der erhöhte Betrag für die Pflegehilfsmittelpauschale. Auch die Verwendung von Pseudoarztnummern ist bei BtM- und T-Rezepten weiterhin erlaubt. Hier wurde die Verwendung von Pseudoarztnummern im Rahmen des Entlassmanagements bis zum 31. Dezember 2021 verlängert. Apotheken dürfen jedoch nach ärztlicher Rücksprache Arztnummern eigenständig ergänzen. Bei fehlenden Dosierungsangaben gilt vorerst weiterhin die Friedenspflicht.