114.000 Euro für Medizinstudierende Carolin Ciulli, 15.09.2022 15:09 Uhr
Osterburg kämpft mit dem demografischen Wandel – und auch die gesundheitliche Versorgung verändert sich. Um mehr Landärzt:innen anzuziehen, investiert die Stadt 114.000 Euro in Stipendien für Medizinstudierende. Robert Gensel öffnete 2019 in der Stadt in Sachsen-Anhalt eine Apotheke und begrüßt die Initiative. Allerdings sei sie nur „ein Tropfen auf dem heißen Stein“. Seiner eigenen beruflichen Zukunft sieht er mit gemischten Gefühlen entgegen.
Beim Osterburger Bürgermeister Nico Schulz landete das Thema Ärztemangel 2016 auf dem Tisch. Mehrere Ärzte aus seiner Stadt kamen zu ihm, wiesen auf den hohen Altersschnitt hin und wann welcher Kollege seine Praxis verlasse, erinnert sich der 49-Jährige. Für ihn sei klar gewesen: Wenn die ärztliche Versorgung auch keine kommunale Aufgabe ist, auf die Kassenärztliche Vereinigung wollte er sich nicht verlassen. Der Stadtrat beschloss 2017 ein ganzes Paket. Ärzte sollen bei der Suche nach Grundstücken und Wohnungen unterstützt werden, angehende Mediziner kostenfreien Wohnraum erhalten und es sollten Stipendien vergeben werden. „Wir waren damit Vorreiter, da sind wir schon stolz drauf“, sagt Bürgermeister Schulz.
Derzeit gibt es sieben Allgemeinmediziner in der Stadt, fünf Fachärzte und neun Zahnärzte, zählt Schulz auf. Eigentlich stehe die Stadt, die aber auch Versorgungszentrum für 20.000 bis 25.000 Menschen im Umland sei, gar nicht schlecht da. Die Demografie galoppiert aber davon: 26 Geburten standen im ersten Halbjahr 81 Sterbefällen gegenüber. Und auch die Ärzte werden älter, absehbar gehen weitere in den Ruhestand.
„Enormer Ärztemangel“
Gerade habe die Kinderärztin der Stadt geschlossen, sagt Apotheker Gensel. Die Versorgungslage für Kinder sehe „grauenvoll“ aus – denn auch die umliegenden Praxen seien an ihren Kapazitätsgrenzen. „Wir haben hier einen enormen Ärztemangel.“ Er selbst kam vor mehr als drei Jahren zurück in die Stadt seiner Kindheit. Die Nachfrage durch die Ärzteschaft nach einer weiteren Apotheke sei vorhanden gewesen, sagt er. „Für mich persönlich war es der richtige Schritt. Finanziell kann ich es noch nicht sagen.“
Gensel ist noch dabei, seine Kredite abzubezahlen. „Es sind andere Zeiten im Vergleich dazu als meine Mutter ihre Apotheke gründete.“ Er beschreibt sich nicht als ängstlich, was die Zukunft als selbstständiger Apotheker angeht. „Ich scheue mich nicht vor langfristigen Verträgen, habe aber gemischte Gefühle was meine Zukunft angeht.“ Das Förderprojekt für Medizinstudent:innen findet er gut. „Ohne Ärzte wird es weniger Apotheken geben, da dürfen wir uns keine Illusion machen.“
700 Euro/Monat für Medizinstudierende
Derzeit fördert die Stadt drei junge Medizinstudentinnen. Sie erhalten jeweils 700 Euro pro Monat. Die Kosten teilt sich Osterburg mit der Kassenärztlichen Vereinigung. Lena Grünthal war vor fünf Jahren die erste Stipendiatin, die einen Vertrag für solch eine kommunale Unterstützung unterzeichnete. Sie habe ohnehin zurück in ihre Heimatstadt gewollt, sagt die 24-Jährige. „Osterburg ist mein Safe Space.“ Hier lebe der allergrößte Teil ihrer Familie. Am Flüsschen Biese fühle sie sich besonders wohl. „Ich bin einfach kein Großstadtmensch.“
Sie habe sich auch für das Stipendium beworben, weil sie sich zwar auf den Ort, aber nicht auf eine Fachrichtung festlegen musste. Stand jetzt werde sie Hausärztin. Ab November wird Lena Grünthal bei ihrem langjährigen Hausarzt einen Teil ihres praktischen Jahres absolvieren. Die Facharztausbildung wird noch mal etwa fünf Jahre dauern, einen Teil würde sie gern schon in Osterburg absolvieren, sagt die 24-Jährige.
Der Apotheker, dessen Frau selbst Ärztin ist, hält das Projekt für einen Ansatz. „Ob es der richtige Weg ist, weiß ich nicht. Das Programm ist gut, aber bisher hat es uns noch keinen Arzt gebracht.“ Insgesamt sei das Verhältnis zu den Praxen vor Ort gut. Doch auch dort steige der bürokratische Aufwand und die Zahl der Regresse. Zudem wollten auch die jungen Mediziner:innen mehr Work-Life-Balance und lieber 30 Stunden als 60 Stunden pro Woche arbeiten. Gensel plädiert dafür, dass es mehr Medizinische Versorgungszentren der Kommunen und Städte geben müsste, um bessere Voraussetzungen für die Selbstständigkeit zu schaffen.