Zusatzbeiträge: zu wenig Geld im Fonds 02.03.2010 12:52 Uhr
Experten hatten es schon vor Inkrafttreten des Gesundheitsfonds prophezeit: Jetzt müssen die ersten Krankenkassen Zusatzbeiträge erheben. Die DAK hat den Anfang gemacht, viele weitere werden folgen.
Die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland greift das Thema in der März-Ausgabe auf und erläutert anhand von Beispielen, warum der Gesundheitsfonds zur Finanzierung des Gesundheitswesens nicht ausreicht. Und dass Besserung ohne tiefgreifende Veränderungen nicht in Sicht ist.
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Das Chaos geht weiter
Warum die Kassenbeiträge steigen
Millionen Versicherte haben in den letzten Wochen Post erhalten - mit durchaus unerfreulichem Inhalt. Ihre Krankenkasse hat geschrieben. Sie will Geld von den Mitgliedern haben. Zusätzlich zu den Krankenkassenbeiträgen, unter denen schon viele Versicherte stöhnen. Die einen Kassen fordern 1 Prozent vom Einkommen bis zur gesetzlich festgelegten Höchstgrenze von 37,50 Euro pro Monat, die anderen sind (noch) mit 8 Euro pro Monat zufrieden. Die Frage ist nur, wie lange?
Vorreiter der großen Kassen ist die DAK. Nach der Fusion mit der Hamburg Münchener Krankenkasse kommt sie auf über 6,4 Millionen Versicherte bei 4,8 Millionen Mitgliedern. Denen bietet sie großzügig 3 Euro Rabatt oder eine Auslandsreise-Krankenversicherung an, wenn man den Jahresbeitrag in einer Summe abbuchen lässt. Und man kann an einer Verlosung von Wellness- und Gesundheitsreisen teilnehmen. Die sind gestiftet - von dem Reiseveranstalter, mit dem die DAK einen Kooperationsvertrag hat. Die übrigen Kassen sind nicht weniger erfindungsreich, was das Verhindern von Kündigungen erboster Mitglieder angeht: Rabatte sind Trumpf.
Andere große Kassen, wie die Barmer GEK mit ihren 8,6 Millionen oder die TK Techniker Krankenkasse mit 7,3 Millionen Versicherten, sind da vorsichtiger. Diese Kassen haben zu erkennen gegeben, dass sie für 2010 (zunächst) noch keine Erhebung von Zusatzbeiträgen planen. Man wartet ab, wie die Mitglieder der DAK reagieren. Werden sie zu Hunderttausenden die DAK verlassen? Immerhin hat kein geringerer als Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler (FDP) die Versicherten zum Wechsel der Krankenkasse aufgefordert. Als wenn das an der Unterfinanzierung etwas ändern würde. Nach Meinung von Experten kommt keine Krankenkasse mittelfristig um die Erhebung von Zusatzbeiträgen herum.
Schuld an den Beitragserhöhungen sei der Gesundheitsfonds. Das sagen die Chefs der Kassen nicht erst seit gestern. Zum 1. Januar 2009, dem Geburtstermin des Gesundheitsfonds, war der Einheitsbeitrag noch auf 15,5 Prozent festgelegt worden. Das galt jedoch nur für sechs Monate. Zum 1. Juli 2009 wurde er - wahltaktisch motiviert - von der Regierung auf 14,9 Prozent gesenkt. Diese Belastung wird seit 2005 nicht mehr zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer solidarisch aufgeteilt. 7,9 Prozent muss der Arbeitnehmer tragen, 7 Prozent der Arbeitgeber.
Experten sahen damals schon die negativen Folgen der chronischen Unterfinanzierung dieses "Bürokratie-Monstrums", wie die FDP es einmal genannt hat, voraus. Und sie behielten Recht. Zwar greift der Staat dem schwächelnden Gesundheitsfonds mit einem Zuschuss unter die Arme, jedoch nur in Form eines zinslosen Darlehens. Den sollen die Kassen Ende nächsten Jahres zurückzahlen. Das werden sie nur leisten können, wenn die Mitglieder brav ihre Zusatzbeiträge bezahlen, auf die dann kaum eine Kasse verzichten kann.
"Ökonomisch ist das eine Missgeburt", brachte Axel Börsch-Supan, Professor für Volkswirtschaftslehre und damals Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium, schon im Jahre 2006 seine Kritik am Gesundheitsfonds auf den Punkt.
"Die Rache von Ulla Schmidt" nannte die Rheinische Post in einem Kommentar denn auch den Gesundheitsfonds. Und fuhr dann fort: "Der Zusatzbeitrag spiegelt das ganze Versagen der abgewählten großen Koalition". Wie wahr. Aber der Gesundheitsfonds war ja nicht die einzige undurchdachte und überflüssige "Reform" während der Amtszeit von Ulla Schmidt, sondern nur der Höhepunkt vor dem Ende.
Und so ist der Gesundheitsfonds auch nicht der einzige Grund für die Erhebung von Zusatzbeiträgen. Da sind auch die enormen Verwaltungskosten der Krankenkassen. 8,3 Milliarden Euro gaben die Kassen im Jahre 2008 dafür aus. 131 Millionen Euro gingen alleine für Werbezwecke drauf - damit nimmt eine Kasse der anderen die Mitglieder weg. Die Ausgaben für Ruhegehälter, Pensionen und Renten aus Zusatzversorgungen waren mit 569 Millionen auch nicht gerade bescheiden.
Und die Verwaltungskosten werden weiter steigen. Die Kassen selbst machen die Rechnung auf: Bis zu 1,5 Milliarden (!) Euro wird der Einzug der Zusatzbeiträge kosten. Das hat die AOK errechnet. Es ist ja auch der blanke Wahnsinn, wenn die Kassen ihre Zusatzbeiträge einzeln bei jedem Mitglied einziehen müssen. Für jedes Mitglied muss ein eigenes Konto angelegt werden. Es müssen Briefe geschrieben, Bankeinzüge eingeholt, Geldeingänge verbucht, es muss gemahnt und gepfändet werden - für 50 Millionen Mitglieder. Dass dieser Aufwand nur 2,00 - 2,50 Euro pro Mitglied und Monat kosten soll - so die Berechnungen der Kassen - ist schon fragwürdig.
Aber das ist ja nicht alles. Die Kassen, die als Zusatzbeitrag 1 Prozent vom Gehalt fordern, müssen die Einkommensverhältnisse ihrer Mitglieder erkunden. Wie prüft man diese Auskünfte, wie schützt man diese sensiblen Daten? Gerade in letzter Zeit sind Kassen ins Gerede gekommen, sie würden mit vertraulichen Daten ihrer Versicherten schlampig umgehen.
Streit zwischen Apothekerschaft und Kassen herrscht zurzeit um die Frage, ob die Kassen Erträge aus Rabattverträgen, die sie mit Arzneimittelherstellern geschlossen haben, in Milliardenhöhe verschleiern. Fritz Becker, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbandes (DAV), wirft den Kassen vor, diese Erträge nicht an die Versicherten weiterzugeben, sondern damit steigende Verwaltungskosten zu vertuschen. "Die Kassen verheimlichen ihren Versicherten eine Milliarden-Einsparung", so Becker zur "Bild-Zeitung".
Obwohl die Kassen diesen Vorwurf vehement zurückweisen und das Bundesgesundheitsministerium abwiegelt, alles sei korrekt verbucht worden - eine Verschleierung von Erträgen aus dem Abschluss von Rabattverträgen seitens der Kassen wäre ein Skandal. Darauf hat diese Zeitung immer wieder hingewiesen. Es kann nicht sein, dass Kassen, die wild hinter Rabattverträgen her sind - ungeachtet wie belastend die ständigen Wechsel der Medikamente für die Patienten auch sein mögen - eine detaillierte Auskunft über die Höhe dieser zusätzlichen Erträge verweigern.
Denn ganz gleich, ob es nun 1 Milliarde Euro sind - so die Schätzung der Apotheker - oder 500 Millionen, so darf man mit Zahlen dieser Größenordnung nicht umgehen. Gipfel der Arroganz: die DAK. Auf die Frage des Brancheninformationsdienstes "APOTHEKE ADHOC" nach der Höhe der Erträge bei der DAK lautete die Antwort: "Fragen Sie bei VW, welche Rabatte die durch ihre Verträge mit Zulieferern bekommen?" Das ist Missachtung des Informationsbedürfnisses von Millionen Mitgliedern.
Wie drückte es die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt im Oktober 2008 in einem Interview gegenüber den "Stuttgarter Nachrichten" aus? "In Wahrheit geht es den Kassenmanagern darum: Alles soll intransparent bleiben ..."
Warum steigen die Kassenbeiträge weiter? Neben der (politisch gewollten) Unterfinanzierung des Gesundheitsfonds und den hohen, aber intransparenten Verwaltungskosten der Kassen stehen auch und wieder einmal die Arzneimittelpreise im Fokus.
Die Diskussion dreht sich dabei um die patentgeschützten Originalpräparate. Sie sind die Hauptursache für wachsende Arzneimittelausgaben. Die Hersteller dieser Arzneimittel sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, für ihre oft hochinnovativen Produkte zu hohe Preise zu verlangen.
Es lässt sich nicht leugnen: Die Preise für patentgeschützte Präparate sind in Deutschland nicht selten höher als in anderen Ländern der EG. Das hat sowohl historische als auch handfeste ökonomische Gründe: Deutschland, früher einmal "die Apotheke der Welt", war immer schon "Referenzland" für viele weitere Länder, was die Preise für neue Arzneimittel anbetrifft. In den Abschlägen auf den deutschen Preis bei der Einführung innovativer Medikamente in diesen Ländern drückt sich deren geringere volkswirtschaftliche Leistung ebenso aus wie ihre
niedrigere Sozialstruktur.
Den Krankenkassen war dies schon immer ein Dorn im Auge. So war es denn nur logisch, dass Gesundheitsminister Rösler nach einem Gespräch mit den Kassen im Februar erklärte, er werde ein Konzept vorlegen, um "die Arzneimittelpreise dauerhaft in den Griff zu bekommen".
Was Rösler übersieht: Jedes patentgeschützte Arzneimittel ist im Prinzip einzigartig - ein Monopol. Es wirkt neu gegen eine Krankheit, gegen die es bisher noch kein (oder kein so gutes) Mittel gab. Und Monopole haben nun einmal einen Monopolpreis - das heißt, der Hersteller kann im Prinzip fordern, was er will - oder was der Markt bereit ist zu zahlen.
Aber in diesem besonderen Markt der Arzneimittel versagen die Marktprinzipien: "Der Markt" - das sind wir alle - zahlt alles, weil bisher niemand einem ernsthaft Kranken Linderung oder Gesundung verweigern will.
Ob Preisverhandlungen zwischen Regierung, Krankenkassen und Herstellern diese Entwicklung stoppen können? Nur wenn ein fairer Ausgleich zwischen allen Interessen gefunden wird.
Und sie bewegt sich doch
Ein Kommentar der Redaktion
4,35 Milliarden Euro hat der Staat im vergangenen Jahr an Mehrwertsteuer auf Medikamente kassiert. Das ist unanständig hoch im Vergleich zu fast allen anderen Staaten Europas. Kein Wunder, dass im Gesundheitsfonds ein riesiges Loch klafft. Aber jetzt soll es ernst werden. Die FDP war schon immer für einen niedrigeren Steuersatz. Die Koalition will jetzt den Mehrwertsteuersatz auf Medikamente "überprüfen". Sollte die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel sich am Ende doch noch bewegen?
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