Immer wieder beklagen sich Patienten über in ihren Augen zu teure Arzneimittel. Sie glauben, die Apotheken dürften den größten Teil des Preises eines Arzneimittels behalten. Die Ausgabe Oktober der Neuen Allgemeinen Gesundheitszeitung für Deutschland widerlegt im Leitartikel dieses Vorurteil und stellt anschaulich dar, dass die Apotheke an einem sehr teuren, rezeptpflichtigen Arzneimittel kaum mehr verdient als an einem günstigen Präparat. Dass gerade der Staat der große Gewinner auf dem Arzneimittelmarkt ist und auch die Krankenkassen einen erheblichen Anteil der den Apotheken zustehenden Spanne kassieren, ist kaum einem Endverbraucher bekannt.
Die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland erscheint monatlich mit einer Auflage von einer Million Exemplaren in ganz Deutschland und ist kostenlos in Apotheken erhältlich.
Der Staat ist der größte Verdiener am Arzneimittelmarkt
DAS MÄRCHEN VON DEN „APOTHEKENPREISEN“
Es passiert leider immer wieder. Zum Beispiel in den „Westfälischen Nachrichten“ vom 7. August 2009. Die Zeitung veröffentlichte an diesem Tag einen Leserbrief, in dem sich der Verfasser - er soll hier ungenannt bleiben - über den seiner Meinung nach zu hohen Preis für eine Hautsalbe beklagt, die ihm vom Arzt verschrieben wurde. Der Autor des Leserbriefes hat sich Mühe gemacht, hat recherchiert und mit der Apotheke und der Krankenkasse gesprochen. Das ist lobenswert. Allerdings zeigen seine Ausführungen auch, wie schwer es ist, den Menschen im Lande klarzumachen, dass die Apotheke nur einen kleinen Teil des Preises eines Arzneimittels erhält. „Betrug am Patienten“, titelten die „Westfälischen Nachrichten“ aufgeregt, ohne jede gebotene journalistische Sorgfalt. Das ist der eigentliche Skandal, bedient der Titel doch die Vor- und Falschurteile der Öffentlichkeit in bedenklicher Weise.
Denn von einem „Betrug am Patienten“ kann bei Arzneimitteln, soweit es die Apotheke betrifft, nie und nimmer die Rede sein, mag das Medikament auch noch so teuer erscheinen. Im vorliegenden Falle hatte der Patient ein Rezept seines Hausarztes für eine Hautsalbe in der Apotheke eingelöst. Die Salbe war ein sogenannter „Re- oder Parallelimport“ aus Griechenland. Das bedeutet, dass der Hersteller sie (auch) in Griechenland produziert und ein Importeur sie nach Deutschland einführt; sie hier, wie es juristisch heißt, „in den Verkehr bringt“. Im vorliegenden Falle kostete die Salbe in der Apotheke 14,60 Euro.
Wer bekommt nun wie viel von diesen 14,60 Euro? Zunächst einmal: Der Staat bedient sich ungerührt mit 2,33 Euro - mag das Gesundheitswesen auch noch so unter Finanzierungsproblemen stöhnen. Denn er belastet die Arzneimittel mit dem normalen Steuersatz von 19 % - ein in Europa fast einmaliger Vorgang, nur Dänemark kassiert ähnlich ab. In den übrigen Staaten der EU sind die Finanzminister nicht so gierig: Sie sind sich der hohen Bedeutung einer verantwortungsvollen Finanzierung des Gesundheitswesens voll bewusst. Daher verzichten sie auf die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel oder setzen zumindest nur einen stark ermäßigten Steuersatz an. In Deutschland gilt der ermäßigte Satz von 7 % zwar für eine unendliche Zahl von Produkten - ob Maulesel oder Hauskaninchen, ob Schnittblumen oder Schweineschmalz, ob Brennholz oder Pornohefte, ob Landkarten oder Malbücher, ob Sammlerbriefmarken oder Ölgemälde. Arzneimittel gehören in Deutschland hingegen nicht zu den Produkten mit ermäßigtem Steuersatz.
Das hat natürlich seinen Grund: Die dramatisch hohen Mehrwertsteuereinnahmen auf Medikamente. „kkdirekt“, die Branchenseite für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) im Internet, auf der alle Krankenkassen direkt und „aus erster Hand“ ihre Daten der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, wirft dem Staat vor, er „profitiere von der Behandlungsbedürftigkeit seiner Bürger“: 4,6 Milliarden Euro an Mehrwertsteuer habe er im Jahre 2008 allein an den Arzneimitteln „verdient“. Für 2009 mache die Belastung sogar 5 Milliarden Euro aus. Würde der Staat Medikamente und Hilfsmittel nur mit dem ermäßigten Steuersatz von 7 % belasten, könnte der Beitragssatz in der GKV um 0,3 Prozentpunkte auf 15,2 % gesenkt werden. Das hat die Techniker Krankenkasse (TK) errechnet.
Ebenso wie „kkdirekt“ kommt auch die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) zu dem Schluss, dass der Staat sich in nicht zu vertretendem Maße an den Beitragszahlungen der Versicherten bereichert: Sie weist darauf hin, dass im Jahre 2008 die Mehrwertsteuereinnahmen des Staates aus Arzneimitteln höher waren als die Einnahmen aller deutschen Apotheken zusammen, soweit sie den Apotheken für die Leistung der bundesweiten Versorgung Zigmillionen gesetzlich Versicherter mit Arzneimitteln zur Verfügung standen.
Aber die ABDA hat noch weiter gerechnet: Der gesamte Bundeszuschuss aus Steuermitteln des Staates an die GKV habe im Jahre 2008 nur 2,5 Milliarden Euro betragen. Nach Rechnung der ABDA hat der Staat dem Gesundheitssystem 1,8 Milliarden Euro mehr entzogen, als er als Finanzierungshilfe hineingesteckt hat.
Die „Westfälischen Nachrichten“ hätten gut daran getan, eher diesen Skandal als „Betrug am Patienten“ zu bezeichnen.
Kehren wir zurück zu unserer Hautsalbe. 14,60 Euro abzüglich Mehrwertsteuer macht 12,27 Euro. Aber die behält die Apotheke natürlich auch nicht.
An dieser Stelle müssen wir uns mit der sogenannten Arzneimittelpreisverordnung beschäftigen. Die hat der Staat eingeführt, damit die Preise für rezeptpflichtige Arzneimittel von Flensburg bis Berchtesgaden exakt gleich sind. Das ist richtig und vernünftig. Niemand soll sich an Notlagen der Patienten - sei es, weil die nächste Apotheke weit weg ist oder weil eine Epidemie droht, - durch die Forderung höherer Preise für Arzneimittel finanziell gesundstoßen können.
Die Arzneimittelpreisverordnung regelt genau die Aufschläge, die Großhandel und Apotheke auf den Preis des Herstellers berechnen dürfen. Im Falle der Hautsalbe beträgt der Preis des Herstellers oder Importeurs 3,60 Euro. Dafür, dass er die Salbe einkauft, finanziert und lagert und pünktlich in die Apotheke bringt, berechnet der Großhandel nur einen Aufschlag von 45 Cent. Das ist nicht allzu viel, wenn man bedenkt, dass in den über 100 Betrieben des pharmazeutischen Großhandels in Deutschland mehr als 160 000 verschiedene Medikamente und sonstige Gesundheitsprodukte auf ihre schnelle Lieferung in die Apotheke warten. Und die Läger müssen immer prall gefüllt sein, um die unbedingte Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln für Wochen sicherzustellen. So will es das Gesetz.
Somit muss die Apotheke für die Hautsalbe an den Großhandel 4,05 Euro bezahlen. Auf diesen Einkaufspreis berechnet sich nun der Aufschlag für die Apotheke. Der Wert setzt sich zusammen aus einem festen Aufschlag von 8,10 Euro - er ist für alle rezeptpflichtigen Arzneimittel gleich hoch, egal, wie teuer sie sind, - und einem Aufschlag von 3 % auf den Einkaufspreis von 4,05 Euro. Das macht 12 Cent. So schreibt es die Arzneimittelpreisverordnung vor. Abweichungen sind verboten.
Rein rechnerisch würden der Apotheke demnach von 14,60 Euro also 8,22 Euro zur Deckung ihrer Kosten bleiben.
Aber auch diesen Betrag darf die Apotheke nicht behalten: Sie muss von dem ihr zustehenden festen Aufschlag in Höhe von 8,10 Euro noch 2,30 Euro an die Krankenkasse abführen, das entspricht immerhin einem Rabatt von fast 30 %!
Was bleibt von dem Preis der Hautsalbe in Höhe von 14,60 also für die Apotheke übrig? Nur 5,92 Euro. Davon muss der Apotheker seine Angestellten bezahlen, seine Miete, seine Lagerkosten, seinen Computer, Strom, Gas, Wasser, teure Laborgeräte - kurz, alles, was man zum Betreiben einer Apotheke braucht; bis hin zur „Apotheken-Umschau“ und zur „Neuen Allgemeinen Gesundheitszeitung für Deutschland“, die er dann kostenlos an seine Stammkunden verteilt. Und kostet das Arzneimittel 100 Euro oder 200 Euro, bleiben für die Apotheke nur ein paar Euro mehr übrig - so will es die heute gültige Arzneimittelpreisverordnung: Der Apotheker soll nicht an den hohen Preisen für neu entwickelte Arzneimittel verdienen. Die Apothekerverbände selbst waren es, die der Politik diesen festen Zuschlag vorschlugen, der wie ein Honorar für die Dienstleistung wirken sollte.
Bleibt noch die Frage des Leserbriefschreibers, wo denn seine Zuzahlung in Höhe von 5 Euro bliebe. Nun, auch die darf die Apotheke nicht behalten. Sie gehören der Krankenkasse, und die Apotheke muss sie kassieren und an die Krankenkasse abführen. Und für diese Dienstleistung erhält die Apotheke keinen Cent ...
„Wer den großen Gewinn hier macht, blieb mir leider verborgen“ - mit diesem Satz endet der Leserbrief in den Westfälischen Nachrichten.
Die Apotheke war es jedenfalls nicht.
KNAPP VORBEI IST AUCH DANEBEN
Ein Kommentar der Redaktion
Prof. em. Dr. med. Ulrich Schwabe und Dr. Dieter Paffrath, Vorstandsvorsitzender der AOK Schleswig-Holstein, haben soeben den „Arzneiverordnungs-Report 2009“ veröffentlicht. Der analysiert die Rezepte der Ärzte im letzten Jahr. Und er beschwert sich lautstark über steigende Arzneimittelkosten. Natürlich erregt der Report große Aufmerksamkeit in der Presse. „Preistreiberei zu Lasten der Versicherten - Wissenschaftler sehen Einsparpotenzial von mehreren Milliarden Euro“, titelte die Leipziger Volkszeitung. Wissenschaftler? „Professor Schwabe nennt frei erfundene Apothekenhonorare, ... das ist ebenso peinlich wie unseriös“, empört sich Fritz Becker, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbandes, und fügt an: „Die Autoren können nicht den Einkaufspreis vom Verkaufspreis unterscheiden.“ Weil der Report zudem wichtige Informationen zur Preisbildung von Generika verschweigt, urteilt Thomas Porstner, Justiziar des Branchenverbandes Pro Generika laut dem Branchendienst „Gesundheit Adhoc“: „Die Zeit der Glaubwürdigkeit für den Arzneiverordnungs-Report ist vorbei.“
Der Preis für den „Arzneiverordnungs-Report“ ist seit 2004 von 29,95 auf 47,95 Euro gestiegen. Das ist eine „Kostenexplosion“ von satten 60 Prozent!
Ist das nicht eine Menge Geld für falsche Informationen?
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