Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland / Ausgabe Januar 2011

Reformwahn zerstört Apothekenstruktur 04.01.2011 09:43 Uhr

Der Zerstörung sinnvoller und gesunder Strukturen im Gesundheitswesen widmet sich die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland im Leitartikel der Januarausgabe 2011. Schon frühere Gesundheitsminister haben den Apotheken immer wieder Erträge entzogen, die für die Aufrechterhaltung einer geordneten Arzneimittelversorgung unabdingbar waren. Jetzt setzt Rösler mit seinen "Reformen" erneut zum Großangriff auf die Apotheken an: Sie sollen hunderte Millionen Euro aufbringen, um die falsch finanzierte Gesetzliche Krankenversicherung zu sanieren. Und trotz Wahlversprechen der FDP gibt es kein Verbot der unkontrollierten Arzneimittelabholstellen in Tankstellen, Blumenläden und Drogeriemärkten - ein Akt unverantwortlicher Interesselosigkeit an dem bewährten System der Arzneimittelversorgung in Deutschland!

Die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland erscheint monatlich mit einer Auflage von 1 Million Exemplaren. Sie ist deutschlandweit kostenlos in Apotheken erhältlich.


ANGRIFF AUF DIE APOTHEKEN
Wie auch Röslers "Reformen" die gute Apothekenstruktur zerstören

Die Vergangenheit, die wir überblicken können, ist einige Jahrhunderte alt. Die Gegenwart schafft es gerade einmal auf ein paar Jahre. Demnach muss es viel mehr gute alte als gute neue Dinge geben.

Ob man staunend vor den Sandsteingebirgen des Kölner Doms steht oder andächtig durch die Säle von Sanssouci schreitet, ob man die prächtigen Schlösser der bayrischen Könige bewundert oder auf der Wartburg hoch über Eisenach der Geschichte nachspürt - immer wieder beeindrucken uns die großartigen Leistungen unserer Väter. Und manchmal setzen wir alles daran, Verlorenes wiederzugewinnen - die Frauenkirche in Dresden ist ein wunderbares Beispiel für Bürgermut und Opfersinn.

Dinge, die Jahrhunderte lang allen Wirrungen der Zeiten getrotzt haben, müssen etwas Besonderes an sich haben. Fasziniert betrachten wir die Bilder der alten Meister in den Museen, streichen über das wunderbar warme Holz antiker Möbel, schlagen ehrfürchtig alte Bücher auf. Niemand käme auf den Einfall, diese Dinge zu zerstören, es sei denn, man ist Psychopath. Im Gegenteil - man hegt und pflegt sie.

Doch alle diese Beispiele sind gegenständlich, wir können sie sehen und berühren. Es gibt aber auch althergebrachte Dinge, die wir nicht anfassen, deren Existenz wir aber fühlen können, weil sie in unser Dasein eingreifen, weil wir täglich mit ihnen leben.

Die Rede ist von abstrakten Ordnungen und Strukturen, die Jahrhunderte und Generationen überdauert haben. Bis auf den heutigen Tag erfüllen sie höchst erfolgreich ihren Zweck. An sie haben sich die Menschen gewöhnt. Sie spüren, diese Strukturen tun ihnen gut. Sie erleichtern das Leben, sie geben Sicherheit und strahlen Verlässlichkeit aus.

Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ist so eine Struktur. Weit über hundert Jahre alt, hat sie bewiesen, dass Millionen und Abermillionen kranker Menschen sich zu jeder Zeit auf sie verlassen konnten. Sie ist gerecht und solidarisch. Die Welt sah und sieht mit großen Augen auf dieses Versicherungssystem. Manch ein Land hätte es gerne, manch ein Staat hat es nachgeahmt.

Was sich bewährt hat und jeden Tag neu bewährt, zerstört man nicht.

Das deutsche Apothekenwesen ist einige Jahrhunderte älter. Wer weiß schon, dass Kaiser Friedrich II. bereits im Jahre 1241 in einer "Medizinalordnung" dafür sorgte, dass Arzt und Apotheker getrennte berufliche Wege gingen? Und dass er gleich auch noch die Preise für Arzneimittel gesetzlich festschrieb? Weitblickend wollte er damit verhindern, dass während Epidemien und Notzeiten die Preise explodierten. Das war die Geburtsstunde des heutigen Apothekenwesens:
Nur ein Apotheker durfte eine Apotheke besitzen und führen.

Natürlich hat sich die Tätigkeit des Apothekers im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verändert. Neue naturwissenschaftliche und medizinische Erkenntnisse forderten Wandlungen und Anpassungen. Aus dem Kenner und Händler von Heilpflanzen wurde der Hersteller von Arzneimitteln in der Apotheke. Insbesondere als vor mehr als hundert Jahren die Chemie als Wissenschaft explodierte, waren es Apotheker, die in ihren Apotheken forschten und neue, hochwirksame Medikamente entwickelten. Das war die Geburtsstunde vieler bedeutender Arzneimittelfirmen. In dieser Zeit wurde Deutschland zur "Apotheke der Welt".

Und wieder wandelte sich das Tätigkeitsbild des Apothekers. Die Welt ist komplizierter geworden. Zahllose innovative Arzneimittel erfordern hohe Aufmerksamkeit für Wirkungen und Nebenwirkungen. Neue Krankheitsbilder, aufgeklärte Patienten und der medizinische Fortschritt selbst erzwingen ein Höchstmaß an Beratungsaktivitäten seitens der Apotheke. Dazu bedarf es solider pharmazeutischer Kenntnisse und ständiger Weiterbildung der Apothekerinnen und Apotheker sowie des Apothekenpersonals.

Es gibt kaum einen Berufszweig, der diese Notwendigkeit so verinnerlicht hat. Fortbildung wird in jeder Apotheke großgeschrieben. Die Bevölkerung weiß das. Warum würde sie sonst die Kompetenz der Apotheker und das Vertrauen in die Apotheke bei zahllosen Umfragen auf die besten Plätze setzen?

Neben einem hohen Vertrauen in die Beratungskompetenz der deutschen Apotheke spielen aber im Bewusstsein der Patienten und Kunden auch andere Leistungen eine wichtige Rolle. Keine Mutter muss Angst haben, dass ihr Kind mitten in der Nacht ein dringend benötigtes Medikament nicht erhält.

Denn Nacht für Nacht, an Sonntagen wie an Feiertagen - ja, selbst am Weihnachtsfest - sind mehr als 2000 Apotheken geöffnet. Und 20000 Patienten pro Nacht müssen versorgt werden. Das sind mehr als sieben Millionen Menschen im Jahr! Viele davon sind Kinder.

In Deutschland gibt es rund 21500 Apotheken. Sie haben den gesetzlichen Auftrag, die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln umfassend und überall - "flächendeckend" sagt man dazu - zu garantieren. Dafür müssen sie die notwendigen Arzneimittel - viele davon lebensnotwendig - im Wert von über vier Milliarden Euro (!) ständig auf Lager halten.

Auch deshalb ist die Apotheke schnell. Zusammen mit dem pharmazeutischen Großhandel und seinen Autos - wer kennt nicht die Aufschrift "Eilige Arzneimittel"? - dauert es nur wenige Stunden, dann steht das dringend benötigte Medikament zur Verfügung. Und ist dem Patienten aus Krankheitsgründen nicht zuzumuten, noch einmal in die Apotheke zu kommen, bringt ein Mitarbeiter der Apotheke das Arzneimittel nach Hause.

Ob Ernährungsberatung oder der Verleih von Geräten und Hilfsmitteln, die man nur eine begrenzte Zeit benötigt, ob Impfberatung für exotische Urlaubsziele oder Messungen von Blutdruck und Blutzucker - die Liste der Leistungen der deutschen Apotheken ließe sich endlos weiterführen: So stellen die Apotheken im Jahr in ihren Apothekenlaboren über 17 Millionen Rezepturen her!

Das Beste zum Schluss: Dass die Apotheke auch Anlaufpunkt für viele ältere, kranke, hilfesuchende und Hilfe benötigende Bürger ist, zeugt darüber hinaus von ihrer hohen sozialen Kompetenz.

Dieses perfekt organisierte Apothekensystem mit seinem hohen Verbrauchernutzen und seinem gesetzlich festgelegten umfassenden Versorgungsauftrag für die Bevölkerung in Deutschland hat die Politik schon seit Längerem im Visier.

Nicht anders kann man die Zulassung des Versandhandels mit Medikamenten im Jahre 2004 interpretieren. Nicht anders auch die Duldung der Auswüchse - etwa der nicht anzeigepflichtigen und nicht behördlich kontrollierten "Abholstellen" für im Versandhandel bestellte Medikamente in Tankstellen, Videotheken, Metzgereien und Blumenläden. Sie hätten längst verboten werden müssen.

Stattdessen bläst auch Gesundheitsminister Dr. Philipp Rösler (FDP) jetzt zum Sturm auf die Apotheken.

"Gesundheitsexperten" wie Jens Spahn (CDU) hatten es sich einfach gemacht: Um ein angeblich drohendes Defizit der Krankenkassen im Jahre 2011 zu verhindern, schlugen sie dem Gesundheitsminister unter anderem vor, den Apotheken und dem pharmazeutischen Großhandel mehrere hundert Millionen Euro wegzunehmen. Der Vorschlag wurde jetzt Gesetz.

Alle Mahnungen, alle Hinweise darauf, dass Apotheken wie Großhandel diese Belastungen nicht tragen können, wischte Rösler vom Tisch. Als Arzt ist Betriebswirtschaft nicht seine Sache, obwohl er einmal neun Monate lang Wirtschaftsminister in Niedersachsen war.

Die negativen Auswirkungen des Gesetzes auf Investitionen, Arbeitsplätze, Öffnungszeiten und die umfassenden Leistungen der Apotheken sind noch nicht abzusehen. Abzusehen ist wohl, dass wieder einmal die Apotheken "dran" sind. "Die sichere und erfolgreiche Struktur des Apothekenwesens in Deutschland muss doch kaputtzukriegen sein ..." Denkt man so im Gesundheitsministerium?

Was sich bewährt hat und jeden Tag neu bewährt, zerstört man nicht.

Auch deshalb verliert der Wähler das Vertrauen in die Kompetenz der Gesundheitspolitiker.

Wie drückte es das Magazin "Reader's Digest" in einer Pressemitteilung vom März 2010 aus? "Das größte Vertrauen schenken Deutsche und Europäer jenen Berufsständen, auf die man sich verlässt, wenn es wirklich darauf ankommt: Feuerwehrleute, Piloten, Krankenschwestern, Apotheker und Ärzte. Diese fünf Berufe sind die Vertrauenssieger einer 16 Länder Europas umfassenden Studie".

Vertrauenssieger sind also die, auf die man sich verlässt, wenn es wirklich darauf ankommt ...

Die Politiker landeten auf dem letzten Platz.


WEM DIE DEUTSCHEN NICHT VERTRAUEN
Ein Kommentar der Redaktion

Es passt ins Bild. Aber so schlimm hatte man sich das Misstrauen der Bevölkerung denn doch nicht vorgestellt. Der Bertelsmann-Stiftung gebührt das Verdienst, herausgefunden zu haben, wem die Deutschen vertrauen, und der Rheinischen Post, es vorab veröffentlicht zu haben: Sagenhafte 94 Prozent vertrauen ihrem Hausarzt. Immerhin noch 77 Prozent schenken ihrem Apotheker ihr Vertrauen. Altersheime kommen nur auf 23 Prozent. Am Ende der Vertrauensskala rangiert das Gesundheitsministerium: mehr als 80 Prozent der Bürger vertrauen ihm nicht.

Kein Wunder bei diesen "Reformen".

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