Arzneimittelversorgung auf „Pfandautomaten-Niveau“? 29.05.2017 16:47 Uhr
Nachdem wir dieses unsägliche Hick-Hack um das RX-Versandverbot und damit ein Beispiel für Wahlkampf mit Schwerpunkt auf „Kampf“, aber dies ohne „Sinn und Verstand“, erleben durften, fühlen wir uns veranlasst, unseren Unmut – wenn auch emotional gefärbt – über die aktuelle Sachlage kundzutun.
Folgendes Bild: Eine große Versandapotheke mit holländischen Wurzeln sucht nach dem Scheitern ihres Franchisekonzeptes Vor-Ort-Partnerapotheken zur Ergänzung ihres Versandes. Im selben Atemzug eröffnet sie vorsorglich in einer deutschen Kleinstadt einen Abgabeautomaten. Der pharmazeutischen Kompetenz wird mit einem Shop-Manager Rechnung getragen und ein Apotheker sitzt in Holland an einem „Freigabe-Knöpfchen“. Da steigt einem als Heilberufler dann doch der Blutdruck! Und das Schlimmste ist: Weder die Politik noch die Verwaltung waren bisher in der Lage, diesen Automaten dauerhaft aus dem Verkehr zu ziehen. Die Apothekenpflicht lässt grüßen! Irgendwann sollte sich die Politik festlegen, über was sie reden und noch viel wichtiger, was sie regeln möchte.
Wir würden uns hier deutlich mehr Blick über den Tellerrand und etwas mehr Weitsicht als bis zum Wahltag wünschen. Denn schließlich sind die gewählten Volksvertreter dem Wähler verpflichtet und von ihm beauftragt, für sein Wohl zu sorgen – jenseits aller Parteigrenzen. Klare Regelungen und Gesetze tun jetzt not.
Eine Versorgung auf "Pfandautomaten- Niveau" zu akzeptieren, erscheint fahrlässig, ja gar gemeingefährlich, angesichts von tausenden Arzneimitteltoten jährlich. Trotzdem scheint man ein sicheres Versorgungssystem auf dem Altar des Wahlkampfes opfern zu wollen – und den Wähler gleich mit.
Arzneimittel, und auch gerade rezeptfreie Medikamente sind keine Massenware. „Rezeptfrei aus der Apotheke heißt wirksam und gut verträglich“, so lautete bereits die Kampagne der Deutschen Gesundheitshilfe. Und die hierfür erforderliche Beratung kann am besten der über Jahre bekannte und vertraute Apotheker. Denn nachhaltig wirksame Beratung setzt Vertrauen voraus.
Solches kann der Arzneimittel-Versandhandel schwerlich leisten. Aber im Gegensatz zu vielen anderen denken wir da nicht in „Schwarz oder Weiß“. Vielmehr sehen wir mittelfristig den Bedarf für eine klare Versand-Regulierung von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Damit die Politik ihre Hausaufgaben erledigen kann, benötigt sie Zeit. Einen wertvollen Zeitgewinn kann ein kurzfristiges RX-Versandverbot bringen.
Langfristig werden wir zur flächendeckenden Versorgung der Patienten eine Art Versand brauchen. Dieser sollte aber nur aus den regional niedergelassenen, vollversorgenden Apotheken heraus als Ergänzung eines qualifizierten Botendienstes zugelassen sein. Nur Apotheken, welche die ganze Palette der geforderten Dienstleistungen zur Sicherstellung der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung vorhalten – Notdienstbereitschaft, Notfalldepot, Vorrat zur Versorgung in Krisenfällen, Vorhaltung von Kapazitäten für Rezeptur und Defektur, BTM-Versorgung u. v. a., immerhin übertragene „hoheitliche Aufgaben“ – sollten dazu auch die Berechtigung bekommen.
Dieses System der Mischkalkulation durch gnadenlose „Rosinen-Pickerei“ ins Wanken zu bringen, nämlich den Versand nur der lukrativen Arzneimittel ohne Erfüllung der sonstigen Aufgaben zu übernehmen, kann und darf nicht gelingen. Am Ende kostet jedes Ersatzsystem zur Sicherstellung der übrigbleibenden Versorgungsaufgaben ein Vielfaches mehr und ist schlechter.
Und auch das Zündeln einer einzelnen kleinen Partei fällt in die Kategorie „gefährlich und klientelgesteuert“. Wieder einmal wird der Wegfall des Fremd- und Mehrbesitzverbotes zum Wahlprogramm erhoben in der Hoffnung auf Aufmerksamkeit um jeden Preis, denn um die Sache kann es ja nicht gehen. Bleibt unsererseits zu hoffen, dass der mündige Wähler die Intention erkennt und diesen Politikern die Quittung für so viel Servilität gegenüber internationalen Großkonzernen am Wahltag präsentiert.
Wir konstatieren nur, zu kurz gedacht und noch kürzer gesprungen!
Nochmals: Unser erprobtes und bewährtes System der Arzneimittelversorgung sollte deshalb nicht ohne Not aufs Spiel gesetzt werden. Vielmehr gilt es, dieses System zu erweitern, der Landflucht und dem demographischen Wandel anzupassen und dabei auch und gerade auf die Potentiale einer flächendeckenden Apothekenlandschaft zurückzugreifen. Denn was uns klar ist, muss der Politik offensichtlich nachdrücklicher verdeutlicht werden: Wenn eine Landapotheke schließt, ist sie weg und kann hier nicht mehr helfen!
Für das Präsidium des MVDA e. V. mit herzlichem Gruß
Gabriela Hame-Fischer
Präsidentin MVDA e. V.
Sibelius-Apotheke München
Dr. Holger Wicht
Vizepräsident MVDA e. V.
Stadt-Apotheke Meiningen