Erneut scharfe Kritik an Rabattausschreibung 30.06.2009 12:00 Uhr
Die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland greift in der Ausgabe Juli das Thema Rabattverträge der Krankenkassen auf. Erneut muss sich die AOK mit Vorwürfen auseinandersetzen - diesmal von führenden Generikaverbänden: Sie werfen der Krankenkasse vor, mit ihrer Auslegung der gesetzlichen Rahmenbedingungen deutlich zu weit zu gehen - zu Lasten von Patienten und Versicherten.
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Krankenkassen
NEUE VORWÜRFE ZU RABATTVERTRÄGEN
Kaum hat sich die Aufregung über die neue Welle der AOK-Rabattverträge gelegt, hagelt es gegenüber der Krankenkasse erneut drastische Vorwürfe. Führende Verbände von Arzneimittelherstellern äußern scharfe Kritik an dem Umgang der AOK mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen.
Zum Hintergrund: Seit Anfang 2007 dürfen Krankenkassen sogenannte Rabattverträge mit Herstellern schließen. Das bedeutet, bestimmte Wirkstoffe werden ausgeschrieben und das günstigste Angebot bekommt den Zuschlag. Für die Versicherten der Krankenkasse heißt das, dass sie gegebenenfalls nicht mehr das Arzneimittel erhalten, das sie gewohnt sind, sondern ein vergleichbares Präparat eines anderen Herstellers.
Was sich unkompliziert anhört, hat in der Vergangenheit für massive Probleme gesorgt. Ältere oder chronisch kranke Patienten, die viele verschiedene Arzneimittel einnehmen müssen, zeigten sich in der Apotheke verunsichert, empört oder sogar erbost, da sie weiterhin ihr vertrautes Arzneimittel einnehmen wollten. Den neu entstandenen Beratungsbedarf hatten die Apotheken zu decken.
Auch Lieferschwierigkeiten einiger Hersteller, kombiniert mit unnötiger Bürokratie, sorgten für Chaos in deutschen Apotheken. Doch die Kassen ließen sich davon nicht beirren.
Seit dem 1. Juni sind die neuen Rabattverträge der AOK wirksam. Schon im Vorfeld haben sich Apotheken auf die neue Welle vorbereitet, um die Verunsicherung der Patienten, die sich nicht selten negativ auf die Therapietreue und damit auch auf die Gesundheit auswirkt, so gut wie möglich abzufangen. Doch nun muss sich die AOK mit neuen Vorwürfen von Seiten der pharmazeutischen Industrie auseinandersetzen. Diese werfen der Krankenkasse vor, ihre Möglichkeiten ohne Rücksicht auf die Patientensicherheit auszuschöpfen. "Die AOK will möglichst hohe Einnahmen aus den Rabattverträgen erzielen, die am 1. Juni 2009 in Kraft getreten sind. Das ist betriebswirtschaftlich nachvollziehbar und legitim. Die AOK setzt alle Hebel in Bewegung, ihr Einsparziel zu erreichen. Dazu gehört auch eine extensive Auslegung der Substitutionsvoraussetzung für den gleichen Indikationsbereich zugelassen? Der Bundesverband der Arzneimittelhersteller, der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie, der Verband Forschender Arzneimittelhersteller und Pro Generika sind einhellig der Auffassung, dass die AOK damit die Grenzen überschreitet, die ihr durch Recht und Gesetz gezogen sind", so Peter Schmidt, Geschäftsführer des Branchenverbandes Pro Generika in einer Pressemitteilung.
Laut Branchenverband bestand bisher Einigkeit darüber, dass ein Arzneimittel im Rahmen eines Rabattvertrages nur dann ausgetauscht werden darf, wenn die Anwendungsbereiche des Arzneimittels übereinstimmen. Zulässig war ein Austausch auch dann, wenn das neue Medikament für alle Anwendungsbereiche des jeweiligen Wirkstoffes zugelassen ist oder zumindest für die Anwendungsgebiete, auf die sich auch die Zulassung des Originalpräparats erstreckt.
Nun beklagen die Verbände, dass das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) neuerdings die Meinung vertreten, dass ein einziges gemeinsames Anwendungsgebiet ausreicht, um ein Arzneimittel durch ein anderes zu ersetzen. Das gehe sogar so weit, dass Patienten in der Packungsbeilage ihres neuen Arzneimittels weder ihre Krankheit aufgeführt fänden noch Angaben über die Anwendung des Medikaments bei
ihrer Erkrankung erhielten. Ist dieser Vorwurf korrekt, sind alle Weichen in Richtung "Non-Compliance" - also der Weigerung, das neue Arzneimittel einzunehmen - gestellt.
Die Apotheken, die seit der zweifelhaften Ausweitung der Wettbewerbsmöglichkeiten die vom BMG und den Kassen ausgelösten Sorgen und Ängste auffangen müssen, sind nun zwischen die Fronten geraten. Arzneimittelhersteller informieren die Apotheken darüber, dass die AOK einige Arzneimittel unzulässig ersetzen lasse, während die AOK darauf hinweist, dass diese Information der Hersteller wirtschaftliche Hintergründe habe und dass die Apotheken mit Folgen rechnen müssten, wenn sie sich nicht an die Regeln der neuen Rabattverträge hielten.
Zustände wie im wilden Westen, möchte man meinen. Und vom eigentlichen Verantwortlichen, dem Bundesgesundheitsministerium, hört man derweil nicht viel. Das wiederum ist allerdings nicht ungewöhnlich, denn im Streit um das Wohl des Patienten begibt man sich ungern an vorderste Front, besteht doch das Risiko, in die Schusslinie zu geraten. Und mit dieser Taktik fuhr das BMG auch schon in den vergangenen zwei Jahren bestens: Als die ersten Rabattverträge 2007 an den Start gingen, trugen aus Sicht der meisten Versicherten die Apothekerinnen und Apotheker die Schuld daran, dass der Patient plötzlich nicht mehr das Arzneimittel erhielt, das er möglicherweise schon seit Jahren einnahm und zu dem er großes Vertrauen hatte. Inzwischen hat zum Glück die massive Kritik rund um die Rabattpraxis der Kassen dafür gesorgt, dass viele Apothekenkunden um die gesetzliche Verpflichtung des Apothekers wissen, Rabattarzneimittel auszutauschen. Doch dass die Möglichkeit der Ausschreibung und damit verbunden auch die undurchsichtige Regelung bezüglich der Austauschbarkeit von Arzneimitteln auf das Konto des Bundesgesundheitsministeriums gehen, wissen die wenigsten.
Und wie bei so vielen "Reformen", die das BMG angestoßen hat, gilt auch hier: Die Folgen trägt der Patient.
REFORMEN KOMMEN, PROBLEME WACHSEN
Ein Kommentar der Redaktion
Schnelle Entscheidungen treffen, lautstark die vermeintlichen Vorteile für das gebeutelte Gesundheitswesen anpreisen und beim Scheitern andere verantwortlich machen: darin ist das Bundesgesundheitsministerium unter Ulla Schmidt stark. Auch die Rabattverträge über Arzneimittel sind dafür ein wunderbares Beispiel.
Das BMG will den Wettbewerb ankurbeln und Kosten einsparen. Und das im wahrsten Sinne des Wortes um jeden Preis. Die dabei auftretenden Probleme - hier eine monströse Bürokratie, Patienten, die ihre Therapie abbrechen, und schwammige Formulierungen in den rechtlichen Vorgaben - werden als nichtig abgestempelt, Kritik von allen Seiten mit rein wirtschaftlichen Interessen erklärt. Die betroffenen Parteien, also Krankenkassen, Hersteller, Apotheken oder Ärzte, gehen sich teils gegenseitig "an die Gurgel", während man sich im BMG entspannt zurücklehnt.
Genauso funktioniert Ulla Schmidts Politik auch in anderen Bereichen. Unterfinanzierte Krankenhäuser kämpfen mit den Krankenkassen um ihre Rechte und jeden Cent. Arzneimittelexperten warnen vor den Gefahren des Versandhandels mit Arzneimitteln und bleiben ungehört. Besonders auffällig: Fehlerhafte Entscheidungen werden stets im Brustton der Überzeugung verteidigt; egal, wie drastisch und unumkehrbar die Folgen für die Gesellschaft sind. Und auch im Fall der Arzneimittelrabattverträge und ihrer negativen Auswirkungen auf die Patienten wird die Politik wieder davonkommen. Ein Beispiel: Bei einem älteren, alleinstehenden Menschen, der seit Jahren unter Herzproblemen leidet und dessen Gesundheitszustand sich plötzlich verschlechtert, wird es schwer nachzuweisen sein, dass dieser Mensch sein neues, ungewohntes Arzneimittel aus mangelndem Vertrauen oder Unsicherheit nicht oder nicht in der richtigen Dosierung eingenommen hat.
Die Apotheken werden alles tun, um den Patienten ihre Sicherheit wiederzugeben.
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