Im Verfahren um die AOK-Rabattverträge für Arzneimittel hat die zweite Vergabekammer des Bundes am Freitag den Zuschlag für einige der ausgeschriebenen Verträge untersagt. In verschiedener Hinsicht sei bei der Ausschreibung gegen das Vergaberecht verstoßen worden, so die Begründung. Die Kammer entschied, dass Arzneimittel-Rabattverträge gesetzlicher Krankenkassen zu öffentlichen Aufträgen zählen und somit beim Abschluss von Rabattverträgen unter anderem das Kartellvergaberecht zu beachten sei. Die AOK kann innerhalb der nächsten zwei Wochen Beschwerde beim Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf einlegen. (dpa, 16.11.2007)
„Die Entscheidung hat unmissverständlich klar gemacht, dass Rabattvereinbarungen nach dem EU-/GWB-Vergaberecht ausgeschrieben werden müssen“, so Dr. Marc Gabriel, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Vergaberechtsexperte, gegenüber dem Konferenzveranstalter EUROFORUM. „Doch anstatt die nunmehr klar beantwortete Frage nach dem „Ob“ eines Vergabeverfahrens dem Oberlandesgericht Düsseldorf im Beschwerdeweg vorzulegen, sollten sich die Kassen jetzt auf die Frage konzentrieren, wie Rabattvereinbarungen und sonstige Beschaffungen gesetzlicher Krankenkassen künftig in Übereinstimmung mit sämtlichen Vorgaben des Vergaberechts förmlich ausgeschrieben werden können.“
Auf der EUROFORUM-Konferenz „Ausschreibungen der Krankenkassen“ (29. und 30. Januar 2008, Düsseldorf) wird Gabriel einen Überblick über die aktuelle Rechtslage und Rechtsfolgen fehlerhafter Vergabeverfahren geben. Am Beispiel von Rabattverträgen, Hilfsmitteln und integrierten Versorgungsanträgen erläutert er die vergaberechtlichen Vorgaben. 16 weitere Experten aus dem Gesundheitswesen äußern sich auf der EUROFORUM-Konferenz über die neuen Anforderungen an Ausschreibungen in unterschiedlichen Versorgungsbereichen. Dabei klären sie auch die Frage, wie Ausschreibungen im Detail vergaberechtskonform und betriebswirtschaftlich effizient gestaltet werden.
Dr. Karl-Heinz Mühlhausen, Rechtsexperte beim AOK-Bundesverband, bezweifelt, dass die Entscheidung der Vergabekammer Bund die sozialrechtlichen Besonderheiten ausreichend berücksichtigt. „Nach Paragraph 130a des Sozialgesetzbuches fünf hätte eindeutig ein Sozialgericht über die Streitigkeit entscheiden müssen“, sagte er im Gespräch gegenüber EUROFORUM. Es sei unwahrscheinlich, dass diese Form der rechtlichen Nachprüfung von Rabattvertragsabschlüssen künftig Bestand haben könne. Auf der Konferenz beleuchtet er die Zukunft sozialrechtlicher Versicherungsgrundsätze vor dem Hintergrund der Vorlage des Europäischen Gerichtshofs (EuGH).
Die Debatte darüber, welche Gerichtsinstanzen über die Rechtmäßigkeit der Verträge entscheiden sollten, greift Prof. Dr. Stephan Rixen (Universität Kassel) in seinem Konferenzbeitrag auf.
Keine Gewinner, nur Verlierer macht Dr. Ludger Hubl, Geschäftsführer der Merck dura GmbH, bei der Entscheidung der Vergabekammer Bund aus: „Zu den Verlierern gehören zum einen die AOK und möglicherweise weitere Krankenkassen, die nun keine Rechtsgrundlage mehr haben, um Arzneimittel verbilligt vom Hersteller zu beziehen; zum anderen die Arzneimittelhersteller und der Patient, der am Ende die Zeche zahlt.“ Insbesondere eine Reihe kleinerer Pharmaunternehmen würde nun in große Bedrängnis geraten. Manche Hersteller hätten ihre Produktion um ein Vielfaches gesteigert, um die von der AOK eingeforderte Lieferfähigkeit nach Mitteilung der beabsichtigten Zuschlagserteilung zu gewährleisten. „Gerade jenen Unternehmen, die ihre Lieferverpflichtung ernst genommen haben, drohen jetzt Schäden in zwei- bis dreistelliger Millionenhöhe“, so Hubl. Die Mehrmenge sei nun nicht mehr absetzbar, getätigte Bestellungen nicht mehr rückgängig zum machen. Hubl sieht eine weitere Gefahr für die Arzneimittelindustrie: „Es ist derzeit noch nicht absehbar, welche Konsequenzen das Urteil der Vergabekammer auf politischer Ebene haben wird.“ Wenn das Modell Rabattverträge scheitert, sei damit zu rechnen, dass das Bundesministerium für Gesundheit weitere, weitaus restriktivere Regelmechanismen einsetzt, um die mit Rabattverträgen avisierten Einsparziele zu erreichen. Wie sich die Zusammenarbeit zwischen Krankenkassen und Pharmafirmen künftig gestaltet, beschreibt Hubl in seinem Konferenzbeitrag.
Weitere Themen: Kartellrecht, Ausschreibungspraxis, Zukunft der Vertragslandschaft und Patientensteuerung
Über Beschaffungsmaßnahmen von Krankenkassen aus kartellrechtlicher Sicht informiert Dr. iur. Fabian Pape vom Bundeskartellamt. Einen Einblick in die Ausschreibungspraxis der Techniker Krankenkasse gewährt Hilde Tittelbach, Leiterin der Vergabestelle. Dem Thema Ausschreibungen und integrierte Versorgung widmet sich Klaus Böttcher von der KKH-Kaufmännische Krankenkasse. Gerhard Kruse, Bereichsleiter Gesundheitspartnerservice bei der AOK Schleswig-Holstein, vertritt die Meinung, es werde im Gesundheitswesen einen langsamen, aber sicheren Konzentrationsprozess geben, den Beteiligte nur durch Kooperationen überleben können. Auf der EUROFORUM-Konferenz informiert er über Auswirkungen von erfolgten Ausschreibungen auf die Vertragslandschaft, die Entwicklung neuer Angebotsstrukturen und Veränderungen für Patienten und Ärzte. Ein Ausblick darauf, wie sich der Gesundheitsmarkt verändert, falls Kassen künftig auch Krankenhausleistungen ausschreiben, rundet das Themenspektrum ab.
Hilfsmittelsektor
Neben Arzneimittelverträgen stehen die Ausschreibungen im Hilfsmittelsektor im Mittelpunkt der Veranstaltung. Carla Grienberger vom IKK-Bundesverband beleuchtet die Ausschreibungssystematik. In einer Podiumsdiskussion, an der neben Grienberger auch Vertreter der Deutschen BKK, der rehaVital und des Industrieverbandes Spectaris teilnehmen, wird nach dem richtigen Weg für Hilfsmittel-Ausschreibungen gefragt.
Das vollständige Programm ist im Internet abrufbar unter:
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Romy König
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