Arbeitgeberverband auf dem Holzweg 07.02.2012 12:00 Uhr
Arzneimittel sind Waren besonderer Art. Wer das immer noch nicht begriffen hat, ist die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). In ihrem Bemühen, zu allem und jedem einen Kommentar abzugeben – und sei er noch so abwegig – hat sie sich jetzt wieder einmal den Arzneimittelmarkt vorgeknöpft. Doch die Forderungen nach Liberalisierung auf dem Apothekenmarkt zeigen nur, wie wenig man bei der BDA vom harten Wettbewerb in diesem Markt versteht. In ihrer Februarausgabe legt die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung dar, warum die Analyse und die Vorschläge der BDA zum Apothekenmarkt falsch sind und welche fatalen Folgen sie in der Praxis haben würden. Und sie zeigt auf, wie wichtig die Funktion der wohnortnahen Apotheke für den Patienten und den verantwortungsvollen Umgang mit Arzneimitteln ist.
Die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland erscheint monatlich mit der Auflage von 1 Million Exemplaren und ist kostenlos in Apotheken deutschlandweit erhältlich.
ARZNEIMITTEL SIND WAREN BESONDERER ART
Vorschläge des Arbeitgeberverbandes sind deshalb unbrauchbar
Arbeitgeber sind Unternehmen und Unternehmer, die Menschen Arbeit geben. Auch Freiberufler, wie Rechtsanwälte, Architekten, Steuerberater, Ärzte und Apotheker, sind Arbeitgeber. Auch sie beschäftigen Arbeitnehmer, investieren, tragen Risiken und kämpfen in ihren jeweiligen Märkten um wirtschaftlichen Erfolg. Doch nicht selten kämpfen sie ums Überleben.
Die Arbeitgeber vieler Branchen sind in Verbänden zusammengeschlossen. Dachorganisation ist die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). In ihr sind 52 Bundesfachspitzenverbände aus Handel, Handwerk, Industrie, Dienstleistungen und Landwirtschaft vertreten. Wenn die BDA zu wirtschafts- und sozialpolitischen Themen Stellung nimmt, merkt die Öffentlichkeit auf. Umso ärgerlicher, wenn die Verfasser einer solchen Stellungnahme schlampig recherchiert, schlecht analysiert und die falschen Schlüsse gezogen haben.
Genau dies ist jetzt passiert. Das Bundesgesundheitsministerium hatte im Dezember den Referentenentwurf zum „Zweiten Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ veröffentlicht. Die Anpassung an europäische Vorgaben und Rechtsprechungen zum Thema „Arzneimittel“ war überfällig. Unter anderem müssen Vorschriften zur Herstellung von Arzneimitteln, der Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten und der Verhinderung von Arzneimittelfälschungen neu gefasst oder ergänzt werden.
Die Apotheker haben zwar Verbesserungsvorschläge angemeldet. Auch monieren sie die fehlende Umsetzung von Vereinbarungen, die CDU und FDP im Koalitionsvertrag geschlossen hatten. Dazu gehört zum Beispiel das fehlende Verbot von sogenannten „Pick-up-Stellen“ – Abholstellen in Drogerien und Supermärkten für im Versandhandel bestellte Medikamente. Doch haben die Apotheker an weiten Passagen des Referentenentwurfes nichts auszusetzen.
Nicht so die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Die BDA ist mit den – nach ihrer Auffassung zu geringen – gesetzlichen Änderungen in Bezug auf den Arzneimittelmarkt in keiner Weise einverstanden. Sie ärgert, dass der Referentenentwurf die bestehenden Strukturen des Arzneimittelmarktes nicht grundsätzlich in Frage stellt. Vielmehr stellt die BDA in einer aktuellen Stellungnahme erneut Forderungen nach einer vollständigen „Liberalisierung“ des Arzneimittelmarktes. Würde der Gesetzgeber sie erfüllen, wäre dies das Ende der Apotheke „vor Ort“, wie sie sich im helfenden und beratenden Umgang mit Patienten und Kunden täglich neu bewährt.
Wie sehen die Vorschläge des Arbeitgeberverbandes aus und was ist falsch daran?
Grundsätzlicher Fehler der BDA-Stellungnahme ist die (bewusste?) Nicht-Berücksichtigung der Tatsache, dass Arzneimittel keine Produkte wie beliebige Lebens- oder Genussmittel sind.
Arzneimittel sind „Waren besonderer Art“. Nicht nur der kranke Mensch weiß das. Arzneimittel heilen und lindern. Sie können Nebenwirkungen haben, die es zu minimieren gilt. Wechselwirkungen zwischen mehreren Medikamenten müssen erkannt und im Sinne des Patienten bewertet werden. Manche Arzneimittel können Menschen süchtig machen. Das muss erkannt und verhindert werden. Gefälschte Arzneimittel können tödliche Folgen haben. Zumindest aber können sie schwere gesundheitliche Schäden verursachen. Arzneimittel brauchen Beratung, schwerer erkrankte Patienten benötigen psychosoziale Betreuung. Dafür steht der Apotheker in seiner Apotheke – vor Ort, Tag für Tag, und regelmäßig auch nachts.
Damit steht Deutschland nicht allein. Jedes europäische Land sieht das genauso.
Leugnet man die Tatsache, dass Arzneimittel Waren besonderer Art sind, kommt man zu falschen Schlussfolgerungen. Denn wenn der erste Knopf der Jacke falsch geknöpft ist, sind alle anderen auch falsch. So geschehen in der Stellungnahme des Arbeitgeberverbandes. Dann muss man für personell ausgedünnte Apothekenketten plädieren und für die Stärkung des beratungsfernen Versandhandels. Dann muss man die Gefahren des Eindringens von Arzneimittelfälschungen via Internet ebenso negieren wie die des erleichterten Arzneimittelmissbrauchs. Dann muss man Argumente für die unkontrollierten und unkontrollierbaren Abholstellen in Drogeriemärkten, Tankstellen und Blumenläden für im Versandhandel bestellte Medikamente notfalls an den Haaren herbeiziehen. Dann muss man auch fordern, dass ausländische Versandhandelsfirmen die aus guten Gründen festgelegten deutschen Arzneimittelpreise unterbieten dürfen.
Pech nur, dass der Bundesgerichtshof soeben entschieden hat, dass sich Arzneimittelversender mit Sitz im Ausland streng an die deutsche Preisbindung für rezeptpflichtige Medikamente halten müssen.
Überhaupt die Preisbindung für Arzneimittel. Sie ist dem Arbeitgeberverband ein Dorn im Auge. Er plädiert für die ersatzlose Streichung im Glauben, dann sei endlich Wettbewerb zwischen den Apotheken. Der würde dann alles billiger machen. Das ist der zweite gravierende Irrtum des Gutachtens: Wettbewerb wird nur als Preiswettbewerb verstanden. Doch Preiswettbewerb ist nur die eine Seite der Medaille. Qualitäts- und Service-Wettbewerb sind mindestens genauso wichtig. Würde die deutsche Exportindustrie nicht den Qualitätswettbewerb auf den globalen Märkten gewinnen – und dafür einen angemessenen Preis erzielen – wäre sie längst pleite. So aber ist sie führend in der Welt. Seltsam, dass ausgerechnet der Arbeitgeberverband diesen Zusammenhang im Gesundheitswesen nicht erkennen kann oder will.
Wie die Wirklichkeit auf dem Arzneimittelmarkt aussieht, erschließt sich dem Arbeitgeberverband nicht. Unter den Apotheken herrscht heute schon ein gnadenloser Wettbewerb. Der Prozess des Ausdünnens hat längst begonnen. Dass er sich weiter verstärken wird, steht außer Frage. Der Grund liegt in dramatisch verfallenden Erträgen, denn die Politik weigert sich seit Jahren, die staatlich festgelegte Vergütung für die Abgabe von rezeptpflichtigen Arzneimitteln zu erhöhen. Gleichzeitig sind die Kosten überproportional gestiegen. Der Grund: Zahllose Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Arzneimittelherstellern erfordern permanent steigenden Verwaltungs- und Beratungsaufwand, der unbezahlt bleibt. Dass es Krankenkassen gibt, die die Bezahlung teurer Rezepte schuldig bleiben, verstärkt den Druck noch.
Doch der Arbeitgeberverband will nicht nur freie Preisbildung für alle Arzneimittel, er plädiert auch für die Möglichkeit, dass Krankenkassen darüber hinaus Lieferverträge mit einzelnen Apotheken abschließen dürfen. Das wäre dann das Ende für tausende Apotheken und ebenso viele Standorte.
Dass ausgerechnet die höchste Organisation der deutschen Wirtschaft die volkswirtschaftlichen Kosten – Zeitverluste durch größere Entfernungen, höhere Straßenbelastung, Autokosten, Benzinvergeudung, Umweltverschmutzung – außer Acht lässt, ist schon peinlich genug. Denn die über vier Millionen Menschen, die jeden Tag eine Apotheke aufsuchen, müssten dann womöglich weite Wege auf sich nehmen.
Dass die zusätzlichen psychischen und physischen Belastungen des kranken Menschen, der meist so schnell wie möglich nach Hause will, auch keine Rolle zu spielen scheinen, ist nur traurig.
ARZNEIMITTEL SIND KEINE GUMMIBÄRCHEN
Ein Kommentar der Redaktion
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ist weiß Gott kein kleiner Laden. Immerhin repräsentiert sie drei Viertel der gewerblichen Wirtschaft. Ihre Stellungnahmen zu wirtschafts- und sozialpolitischen Themen müssen Hand und Fuß haben.
Doch ihre Stellungnahme zum Referentenentwurf des Gesundheitsministeriums zum „Zweiten Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ hatte weder Hand noch Fuß: falsche Prämissen, unhaltbare Schlussfolgerungen und daher unbrauchbare Vorschläge. Ohne Sachkenntnis geht es eben nicht. Arzneimittel sind Waren besonderer Art und keine Gummibärchen. Das sollte endlich auch dem Arbeitgeberverband klar werden.