Macheten, Beile, Pistolen, Teppichmesser – Apotheker und PTA werden mit den verschiedensten Waffen bedroht. 47 Raubüberfälle auf Apotheken wurden 2013 in den elf Bundesländern, in denen eine Auswertung möglich war, erfasst. Allein in Berlin schlugen Räuber 13-mal zu, 2012 gab es 22 Überfälle, ein Jahr zuvor 19. Kürzlich überfielen zwei Männer eine Apotheke in Berlin Neukölln, fesselten die beiden Mitarbeiterinnen und bedrohten sie mit Messer und Pistole. Ein solches Erlebnis kann traumatisch sein, eine notfallpsychologische Betreuung notwendig. Aber in Apotheken scheint das Thema noch kein Thema zu sein.
Statistisch werden Raubüberfälle auf Apotheken nicht separat erfasst. Laut Sonderauswertungen fanden 2013 in Bayern sechs Überfälle statt, 2012 vier und 2011 fünf. Baden-Württemberg kam 2013 auf sieben, 2012 auf zehn und 2011 auf sechs Überfälle und Hessen 2013 auf vier Fälle, 2012 auf elf und 2011 auf 15. Weniger Überfälle verzeichnen Brandenburg (4), Niedersachsen (2) und Sachsen (1). Im Saarland, in Schleswig Holstein, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern gab es laut Statistik keine Überfälle auf Apotheken. Die Landeskriminalämter schließen weitere nicht erfasste Fälle nicht aus.
Laut Michael Jeinsen, Geschäftsführer eines Spezial-Versicherungsmaklers für Apotheken, sind Raubüberfälle auf Apotheken eher selten. Apotheken seien für Räuber nicht so ergiebig, da die Kasse wegen häufiger Leerungen wenig Geld enthalte, der Verkaufsraum dafür relativ viele Kunden. Meist würden solche Taten als Serie von einem Täter verübt. So stand unlängst ein 26-jähriger Serienräuber vor dem Berliner Landgericht. Der IT-Experte hatte mit den Überfällen seine Geldprobleme lösen wollen und sah in Apotheken ein gutes Potenzial: „Weil dort Akademiker arbeiten, die schnell begreifen, dass ich einfach nur Geld will, und nicht so schnell in Panik geraten.“ Er wurde zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
Gabriele Bringer, Psychologin und Geschäftsführerin des Stresszentrums Berlin, betreut Betroffene. Sie ordnet Raubüberfälle in die Kategorie der traumatischen Erlebnisse ein. „Der Betroffene befindet sich in seinem Alltag in einem Gefühl von Sicherheit. Wenn plötzlich jemand diese Sicherheit bedroht, kann das starke Ängste hervorrufen“, so Bringer.
Dabei sei sehr individuell, wie jeder Einzelne die traumatische Erfahrung verarbeite. Das Trauma hänge davon ab, wie stark sich der Betroffene bedroht gefühlt habe. „Sekundäre Traumatisierung kann auch jemanden treffen, der einen Vorfall zwar nicht selbst erlebt hat, aber durchaus betroffen hätte sein können. Die Fantasie kann schlimmer sein als die Erfahrung selbst“, so Bringer.
Das Trauma lasse sich umso besser verarbeiten, je eher etwas zum eigenen Schutz getan worden sei, beziehungsweise je stärker das Gefühl gewesen sei, etwas getan zu haben, so Bringer. Das könne durch das Drücken eines Sicherheitsschalters passieren, ebenso wie durch den eigenen Entschluss, sich ruhig zu verhalten.
Hilfreich sei auch eine Kamera, die Sicherheit vermittele, dass der Täter gefasst werde. Bringer hält darüber hinaus Präventionsmaßnahmen für sinnvoll: „Dadurch wird das traumatische Erlebnis nicht so stark, weil die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen so vorbereitet werden, dass sie wissen, wie sie sich in und nach solch einem Fall verhalten können. Das hilft auch im Nachhinein, besser zu verarbeiten“. So könnten Folgeerkrankungen vermieden werden.
Die meisten Betroffenen, so Bringer, befänden sich zunächst in einem Schockzustand. Laut ihrer Schätzung können zwei Drittel der Betroffenen das Erlebnis mit der Hilfe von Kollegen, Vorgesetzten oder Freunden und Familie verarbeiten – ohne professionelle Hilfe. „Es hilft, sich ernst genommen zu fühlen, reden zu können und etwas zu finden, womit man sich selbst unterstützen kann, eigenaktiv zu werden. Es hilft, eigene Entscheidungen zu treffen, auch die, vielleicht mal nicht davon zu erzählen.“ Auch bestimmte Situationen könnten eine Verarbeitung erleichtern, „der kollegiale Austausch etwa ist eine wunderbare Bedingung“.
Bei einem Drittel der Betroffenen sei eine notfallpsychologische Betreuung nötig: „Wir prüfen gemeinsam mit den Betroffenen, ob sie in der Lage sind, das Erlebnis selbst zu verarbeiten, durch Familie und Kollegen und durch ihre eigene Lebenserfahrung. Wir prüfen, wie stabil sie sind und ob sie Ähnliches schon erlebt und verarbeitet haben. Wir wecken die Ressourcen, damit selbst fertig zu werden. Im Unterschied zu einer Therapie gehen wir davon aus, dass wir es mit Gesunden zu tun haben“, so Bringer. Bei der Betreuung seien lediglich eine bis fünf Sitzungen nötig.
Für Apotheken regt Bringer an, Schulungen für das gesamte Team durchzuführen. Das sei nachhaltiger, als einzelne Mitarbeiter auf externe Seminare zu schicken. „Es geht nicht um Selbsthilfegruppen, sondern darum, unterstützendes Verhalten anzusprechen“, so die Psychologin. „Wenn man Kollegen zum Reden hat, ist Normalität besser als alleine zu Hause zu grübeln. Eine Isolierung ist nicht immer hilfreich.“
Nancy Gottlieb, PTA in der Jumbo-Apotheke in Berlin, hat selbst durch eine solche kollegiale Unterstützung einen Raub verarbeitet. Im September 2013 überfiel ein Räuber die Apotheke gleich zwei mal innerhalb von einer Woche. Betroffen waren neben Gottlieb insgesamt noch drei weitere Angestellte. „Wir haben das Richtige getan“, sagt sie heute, „einfach das, was der Täter gesagt hat. Ich hätte etwas machen können, ich habe sogar Selbstverteidigung gelernt. Aber das Risiko für meine Kollegin war zu hoch“, schätzt Gottlieb. Zudem habe sie gewusst, dass der Überfall von einer Kamera aufgezeichnet worden sei.
Die Polizei habe damals Telefonnummern von Hilfsangeboten da gelassen. Angerufen hat sie nicht. Gleich nach dem Überfall stellten sich die Frauen wieder hinter den HV-Tisch und arbeiteten weiter. „Es war das Beste für den ersten Moment. Wenn man vom Pferd fällt, soll man direkt wieder drauf steigen“, so Gottlieb. Als sie nach Hause kam, „knabberte“ es an ihr. „Aber wir konnten uns untereinander helfen. Wir haben viel darüber geredet. Man brauchte jemanden zum reden“, sagt sie. Mittlerweile habe sie das Erlebnis gut verarbeitet. Der Täter wurde gefasst und verurteilt, er habe sich entschuldigt. „Das hat sehr geholfen“, so die PTA. Dennoch sei sie heute grundsätzlich vorsichtiger.
Bei den Apothekenverbänden sind Raubüberfälle kein Thema: Weder in Bayern, noch in Nordrhein, Baden-Württemberg oder Berlin bieten die Verbände Präventionsseminare oder Soforthilfe an. Der Bedarf sei von den Mitgliedern bislang nicht geäußert worden, heißt es unisono. Bei Raubüberfällen würden Apotheker nicht die Verbände als Ansprechpartner sehen, sondern Polizei und Versicherung.
Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) bietet eine unverbindliche und vertrauliche Beratung an. Mitarbeiter informieren über Hilfsangebote, wie die Vermittlung an einen Psychotherapeuten. „Bei Bedarf kann der oder die Betroffene dort probatorische Sitzungen zur Abklärung eines etwaigen Therapiebedarfs wahrnehmen.“
In einer Broschüre gibt die BGW Verhaltenshinweise. „Denken Sie daran, dass die Täter unter hohem Druck oder möglicherweise unter Entzug stehen und sich stark irrational und unberechenbar verhalten könnten.“ Man solle äußerlich ruhig, verbindlich und selbstsicher auftreten und die Anweisungen des Täters befolgen. Mit verschiedenen Maßnahmen, so die BGW, könnten auch Apothekeninhaber die Sicherheit und das Sicherheitsgefühl ihrer Beschäftigten erhöhen: Regale oder Plakate sollten so platziert werden, dass der Blick nach außen frei sei, die Verkaufsräume sollten gut ausgeleuchtet sein, mit 300 Lux in der Offizin, 500 Lux im Kassenbereich.
Zudem sollten im Verkaufsraum Notrufanlagen mit Alarmknopf eingerichtet werden. Das Ausgabefenster für den Nachtdienst sollte so gestaltet sein, dass niemand hindurch greifen oder es zerschlagen könne. Zudem sollten die Bargeldbestände vor Ort möglichst niedrig gehalten werden. Mit dem Team solle trainiert werden, wie man sich im Notfall zu verhalten habe, geheime Warnsignale sollten verabredet werden.
Deutlich häufiger treten übrigens Einbrüche beziehungsweise Einbruchsversuche auf: Im vergangenen Jahr wurden in den zehn Bundesländern, die hierzu Statistiken teilen, mehr als 750 Fälle registriert. Die Aufklärungsquote variiert zwischen 14 und knapp 60 Prozent.
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