Demographie

Apotheken an der Generationenklippe

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Berlin -

Senioren nicht nur vor, sondern auch hinter dem HV-Tisch sind keine Seltenheit. Dass Pharmazeuten bei Erreichen der Altersgrenze nicht in Rente gehen, sondern weiterarbeiten, hat verschiedene Gründe: die Freude am Berufsleben oder – mit steigender Tendenz – ein fehlender Nachfolger. Die Kammern warnen seit Jahren vor der drohenden Generationenklippe.

Der Anteil der aktiven Apotheker im Rentenalter oder kurz davor variiert von Bundesland zu Bundesland. In Baden-Württemberg sind 18,5 Prozent der Inhaber älter als 63 Jahre, 8 Prozent sogar älter als 68. Das sind 152 Kollegen, die eigentlich längst ihren Ruhestand genießen könnten.

Ähnlich sieht es in Niedersachsen aus: Hier sind 19,6 Prozent 63 Jahre und älter, 137 Apothekenleiter sind sogar jenseits der 68 (8,7 Prozent). In Hamburg liegt der Anteil bei 19,6 beziehungsweise 11,2 Prozent. Auch Westfalen-Lippe ist ein „alter“ Kammerbezirk: Von den 1021 Inhabern sind 186 zwischen 63 und 67 Jahren alt, weitere 138 gehören zur Gruppe 68+. Das ergibt in der Summe einen Anteil von 20,7 Prozent.

Etwas besser steht Bayern da mit 16,5 Prozent der Inhaber ab 63 Jahren. Im Freistaat sind 158 Kollegen in der Apotheke zu finden, die ihren 70. Geburtstag schon hinter sich haben. Das entspricht 4,8 Prozent. Bemerkenswert sind auch die 206 Angestellten im selben Alter, das entspricht einer Quote von 3,8 Prozent. Insgesamt sind 10,2 Prozent der angestellten Approbierten 63 Jahre oder älter.

Ganz anders sieht es in Sachsen aus – eigentlich einem der am meisten überalterten Bundesländer in Deutschland: Hier sind nur 7,6 Prozent der Inhaber 63 Jahre und älter, wobei 3 Prozent älter als 68 und 2,6 Prozent sogar älter als 70 Jahre sind. Die Gründe dafür sind nicht bekannt; vermutet wird, dass die Generation, die 1990 bei der Privatisierung dabei war, den Renteneintritt bereits hinter sich hat.

In Schleswig-Holstein liegt der Anteil 63+ sogar nur bei 3,8 Prozent. An der Küste ist für die meisten Inhaber mit dem Eintritt ins Rentenalter Schluss. Auch hier gibt es von offizieller Seite keine Erklärung für den guten Altersdurchschnitt. In Thüringen sind 2,9 Prozent der Inhaber und 6,8 Prozent der Approbierten älter als 68 Jahre; in beiden Gruppen liegt die Quote 63+ bei rund 10 Prozent.

Michael Schmitz, Geschäftsführer der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, bezeichnet die Situation in seinem Kammerbezirk als eine Herausforderung. Bei Fortbildungen habe man zwar den Eindruck, die Pharmazie werde immer jünger. Bei den Inhabern sehe die Situation aber anders aus.

Er nennt einen Grund für die Überalterung unter den Apothekenleitern: „Wenn früher eine attraktive Apotheke frei wurde, musste man sich als Selbstständiger überlegen, ob man seine alte Apotheke aufgibt und zum besseren Standort wechselt. Heute kann man sie einfach als Filiale übernehmen. Unsere Erfahrung ist: Je besser die Lage, desto schlechter sind die Aussichten für junge Pharmazeuten, zum Zug zu kommen.“ Er und sein Team veranstalten regelmäßig runde Tische für Filialleiter – die künftige Generation der Selbstständigen, wie er sagt.

Bei den Angestellten ist der Anteil der Generation 63+ deutlich geringer: Hier fallen etwa in Niedersachsen 12,6 Prozent in diese Gruppe, in Baden-Württemberg sind es 8,6 Prozent. In Sachsen liegt die Quote bei 3,5 Prozent, in Schleswig-Holstein bei 2,5 Prozent. Hier zeigen Detailszahlen, dass die Teilzeitquote mit 75 Prozent nur unwesentlich höher liegt als über alle Altersgruppen hinweg.

Generell gilt: Männer arbeiten häufiger bis in die Rente hinein als Frauen. In Niedersachsen etwa sind 11,5 Prozent der männlichen Inhaber älter als 68 Jahre, aber nur 5,2 Prozent der Frauen. Bei den Angestellten gibt es wegen des hohen Frauenanteils das Phänomen, dass jeder vierte Approbierte älter als 68 Jahre ist. Bei den Frauen sind es 4,1 Prozent.

Die Apothekerkammer Berlin hatte unlängst errechnet, wie groß der mittelfristige Rekrutierungsbedarf des beruflichen Nachwuchses ist. Zwar steht die Hauptstadt vergleichsweise gut da: Nur 2,4 Prozent der berufstätigen Apotheker sind älter als 65, insgesamt sind nur 17,5 Prozent älter als 55 Jahre. Dennoch müssen laut Analyse bis 2029 rund 930 Apotheker ersetzt werden. Bis 2034 gehen demnach sogar rund 1500 Kollegen in Rente. Das sind 27 beziehungsweise 42 Prozent der Kammermitglieder. Allerdings gibt es auch hier einen großen Unterschied: Während bei 21 beziehungsweise 33 Prozent der Angestellten ein Generationswechsel stattfinden muss, sind es bei den Inhabern 51 Prozent bis 2029 und sogar 75 Prozent bis 2034.

ABDA-Zahlen zeigen: Das Durchschnittsalter der Approbierten in öffentlichen Apotheken liegt bei 47,2 Jahren, wobei Männer mit 51,2 Jahren etwas älter sind als Frauen mit 45,7 Jahren. Bei den Inhabern liegt die Zahl bei 51,5 Jahren, auch hier sind Leiterinnen mit 50 Jahren jünger als ihre männlichen Kollegen (53 Jahre). Bei den Angestellten ergibt sich aus 44,2 Jahren für Frauen und 47,4 Jahren für Männer ein Durchschnittsalter von 44,7 Jahren. Klinikapotheken liegen mit 43 Jahren auf ähnlichem Niveau, in sonstigen Branchen sind Apotheker im Durchschnitt 41,5 Jahre alt.

Aus Hamburg liegen auch Zahlen zu PTA vor, die die Apotheken freiwillig gemeldet haben. Demnach sind nur 0,4 Prozent 68 Jahre oder älter, 3,5 Prozent gehören zur Gruppe 63+. 87,5 Prozent sind jünger als 55 Jahre.

Die Demographie trifft freilich nicht nur die Apotheken, sondern alle Branchen: Die geburtenstarken Jahrgänge der 50er- und 60er- Jahre bereiten sich jetzt auf den Ruhestand vor. Zugleich sorgt der Pillenknick der späten 60er und 70er Jahre für zahlenmäßig deutlich schwächere Jahrgänge danach. Das hat erhebliche Konsequenzen für den Arbeitsmarkt. Jedes Jahr gehen mindestens 200.000 Arbeitskräfte mehr in Rente als neue Erwerbspersonen nachwachsen.

Die beschriebene Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung führt dazu, dass bis 2060 für die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter mit einem Rückgang von über 20 bis 30 Prozent von 49 Millionen (2014) auf 38 Millionen (obere Variante) bis 34 Millionen (untere Variante) zu rechnen ist. Selbst bei Modellrechnungen mit einer deutlich höheren Zuwanderung von 300.000 Personen pro Jahr zeigt sich noch ein Rückgang von über 15 Prozent.

Für den Arbeitsmarkt bedeutet dies, dass das maximal verfügbare potenzielle Arbeitskräfteangebot, das sogenannte Erwerbspersonenpotenzial, noch stärker schrumpfen wird als die Bevölkerung insgesamt. Für die Apothekerschaft in Ostdeutschland verschärft sich diese Entwicklung noch: Die noch in der ehemaligen DDR ausgebildeten Pharmazieingenieure erreichen ebenfalls das Rentenalter.

Einem entsprechenden proportionalen Rückgang der Erwerbstätigkeit und damit möglicherweise verbundenen Wachstumshemmnissen kann entgegengewirkt werden, indem das verbleibende Erwerbspersonenpotenzial in Zukunft besser ausgeschöpft wird. Ein möglicher Ansatzpunkt ist, dass Jüngere früher in den Arbeitsmarkt eintreten. In den vergangenen Jahren ist die Erwerbstätigenquote der 20- bis 24-Jährigen in Deutschland bereits von 59 Prozent (2005) auf 64 Prozent (2014) gestiegen und liegt damit deutlich über dem EU-Durchschnitt von 48 Prozent. Beigetragen dazu hat unter anderem die Umstellung vieler Studiengänge auf verkürzte Bachelor-Abschlüsse.

Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Steigerung der Frauenerwerbstätigkeit. Diese hat seit 2005 um 10 Prozentpunkte zugenommen und liegt nun bei 73 Prozent. Im Apothekenmarkt ist der Frauenanteil traditionell schon seit Langen mit über 80 Prozent überdurchschnittlich hoch, so dass diese Möglichkeit hier kaum noch Entlastung bringen kann. Im EU-Durchschnitt beträgt die Frauenarbeitsquote nur 63 Prozent, nur in Schweden ist sie mit 78 Prozent vergleichbar hoch.

Vor dem Hintergrund der steigenden Lebenserwartung wäre es folgerichtig, wenn auch ältere Menschen länger im Arbeitsmarkt bleiben. Das von der EU gesetzte Lissabon-Ziel einer Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen von 50 Prozent hat Deutschland längst erreicht. Im Jahr 2013 erreichten auch die 60- bis 64-Jährigen eine Erwerbstätigenquote von 50 Prozent.

Dennoch bleibt hier laut Arbeitsmarktstudien Raum für weitere Steigerungen. Schließlich gilt es, die wachsende Gruppe von Personen mit Migrationshintergrund noch besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren: Gemäß dem Mikrozensus 2010 stellten diese knapp 30 Prozent der sogenannten Stillen Reserve, waren also entweder auf der Suche nach einem Arbeitsplatz oder für einen solchen kurzfristig verfügbar.

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