Versorgungsstärkungsgesetz

Besonders exklusive Apothekenverträge

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Berlin -

Bislang sind die Apotheken von der Integrierten Versorgung (IV) nahezu ausgeschlossen. Denn die Abgabe von Arzneimitteln gehört zur Regelversorgung und frühere Gemeinschaftsprojekte von Pharmazeuten und Medizinern wurden nicht als sektorenübergreifend oder interdisziplinär angesehen. Das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) erweitert die Gestaltungsmöglichkeiten der Kassen und erhöht damit auch die Chancen für Selektivverträge im Apothekenbereich.

Nach dem Entwurf für das GKV-VSG regelt das Sozialgesetzbuch (SGB V) künftig nicht mehr nur IV-Verträge, sondern auch Vereinbarungen über „besondere ambulante Versorgungsaufträge“. Mit dem neuen Paragrafen sollen die bisherigen Regelungen zusammengefasst werden, sodass es für die Kassen einfacher wird, Einzelverträge mit Leistungserbringern abzuschließen. Bislang habe es erhebliche Überschneidungen gegeben, die nur historisch erklärbar und auch nur in dieser Hinsicht zu verstehen seien, so Dr. Ulrich Orlowski, Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium (BMG).

Mit den geplanten Regelungen zur „besonderen Versorgung“ in Paragraph 140a werden laut BMG bürokratische Hemmnisse abgebaut: „So ist es künftig nicht mehr zwingend erforderlich, einen sektorenübergreifenden Ansatz zu wählen oder besondere Versorgungsaufträge zu definieren“, heißt es in dem Referentenentwurf zum GKV-VSG.

An den bisherigen strengen Vorgaben war 2008 auch der Hausarzt- und Hausapothekenvertrag der Barmer GEK gescheitert. Aus Sicht des Bundessozialgerichts (BSG) handelte es sich dabei nämlich nicht um einen IV-Vertrag: Eine „interdisziplinär-fachübergreifende“ Versorgung lag den Richtern zufolge nicht vor, da lediglich Mediziner aus dem hausärztlichen Versorgungsbereich eingebunden waren.

Ob die Zusammenarbeit von Ärzten und Apothekern als „sektorenübergreifend“ anzusehen sei, sei fraglich – aber auch irrelevant. Denn mit dem Vertrag würden lediglich zusätzliche hausärztliche Leistungen in den Bereichen Dokumentation und Koordination geregelt; an keiner Stelle werde aber die Regelversorgung verlassen. Fazit: Ausschließlich zusätzliche Vergütungsanreize für die beteiligten Hausärzte und Apotheker zu schaffen, sei noch keine Integrierte Versorgung.

Die Hürden für Verträge wie diesen sollen deshalb jetzt niedriger gelegt werden: Explizit erlaubt das GKV-VSG auch Vereinbarungen, „die allein die Organisation der Versorgung betreffen“. Das BMG erklärt: „Da auch reine Organisationsleistungen einen wichtigen Schritt zur Versorgungsverbesserung beitragen können, wird […] klargestellt, dass sogenannte Managementverträge zulässig sind.“

Die möglichen Vertragspartner bleiben nahezu dieselben Akteure wie bisher: „zur Versorgung der Versicherten berechtigte Leistungserbringer“, Träger von Versorgungseinrichtungen, Pflegekassen und -einrichtungen, Praxiskliniken, Pharma- und Medizinproduktehersteller sowie – das ist neu – Kassenärztliche Vereinigungen. Apotheken werden in dem Paragrafen – wie die Ärzte – nach wie vor nicht explizit genannt, dürften aber in den Bereich der Leistungserbringer fallen.

Die Erleichterungen könnten eine Chance für Projekte wie die Schwangeren-Beratung in Bayern oder den TK-Diabetes-Coach sein. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass sich die ABDA für die Neuregelung stark gemacht hat. Allerdings wurde damit das Risiko in Kauf genommen, dass die neuen Möglichkeiten für Selektivverträge – bislang ein rotes Tuch für die ABDA – entdeckt und genutzt werden. Beim Deutschen Apothekertag (DAT) in München hatte Jens Spahn (CDU) deutlich gemacht, dass es der Politik nicht darum geht, allen Apotheken zusätzliches Geld für neue Dienstleistungen nachzuwerfen, sondern echte Selektivverträge zu fördern.

Eine wichtige Hürde für die Verträge gibt es aber nach wie vor, wenn auch weniger strikt: die Wirtschaftlichkeit. Nach dem Gesetzentwurf muss nach vier Jahren nachgewiesen werden, dass sich die Verträge rechnen. Das freilich dürfte nicht allzu schwierig sein, wenn die Kassen erst einmal beginnen, mit Exklusivitätsversprechen die Preise zu drücken. Wie schnell Kooperationen und Splittergruppen in der Apothekerschaft in die Bresche springen, hat sich bereits bei den Hilfsmittelverträgen gezeigt. Auch die Versandapotheken scharren bereits mit den Hufen.

Spannend wird die Ausgestaltung: Denn die Teilnahme an IV-Verträgen ist für die Versicherten zunächst freiwillig. In Hessen hatten zwei Gerichte unlängst festgestellt, dass Ausschreibungen die freie Apothekenwahl nicht aushebeln können. Inwieweit die Kassen Anreize setzen können, um Patienten zu Vertragspartnern zu lotsen, wird im Zweifelsfall gerichtlich zu klären sein. In Baden-Württemberg gibt es bereits einen Vertrag, bei dem Patienten die Zuzahlung erlassen bekommen, wenn sie sich an Arzt und Apotheke binden.

Ein Risiko bleibt für die Kassen: Die Verträge müssen zwar nicht mehr vorab genehmigt werden. Allerdings drohen neuerdings Strafgelder von bis zu zehn Millionen Euro, wenn das Bundesversicherungsamt (BVA) feststellt, dass Versicherte oder Leistungserbringer unzulässig ausgegrenzt werden. Der GKV-Spitzenverband macht sich bereits dafür stark, diesen Passus noch zu streichen.

Insgesamt sind die Rahmenbedingungen für Selektivverträge mit der Neuregelung trotzdem deutlich offener geworden, als sich Kassenchefs wie etwa Barmer-Vize Dr. Rolf-Ulrich Schlenker überhaupt hätten träumen lassen. Geld aus dem Innovationsfonds gibt es allerdings auch in Zukunft nur, wenn die Verträge Leistungen beinhalten, die über die Regelversorgung hinausgehen.

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