Sachsen

„Verblisterung entmündigt“

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Berlin -

Sachsens Apotheker und Ärzte sehen bei einer industrielle Zweit- und Neuverblisterung von Arzneimitteln keine Vorteile. Ihre Kritik haben die Apothekerkammer und -verband sowie Ärztekammer und Kassenärztliche Vereinigung (KV) des Freistaats in einem Positionspapier verankert: Weder aus ärztlicher und pharmazeutischer Sicht empfehlen sie die Verblisterung – sie setzten stattdessen auf das Medikationsmanagement im Rahmen des Pilotprojekts ARMIN. Zuvor hatten bereits die Ärzte und Apotheker in Brandenburg und Thüringen ähnliche Papiere veröffentlicht.

Immer wieder werde die Zweit- und Neuverblisterung bei der Versorgung von Heimen und chronisch Kranken als Lösungsansatz propagiert. Valide und objektive Daten, ob und inwieweit die Verblisterung die Arzneimitteltherapiesicherheit tatsächlich verbessere oder die Gesamtkosten reduziere, lägen aber kaum vor. Studien aus Deutschland beschränkten sich auf die Heimversorgung und postulierten ausschließlich pauschale Einspareffekte bei den Arzneimittelausgaben und dem Personaleinsatz.

Aus Sicht der sächsischen Apotheker und Ärzte kann die Verblisterung „höchstens in Einzelfällen sinnvoll sein“. Eine zielgerichtete Arzneimittelversorgung müsse sich immer am einzelnen Patienten und der individuellen Therapie des Arztes orientieren. Standardisierte Arzneimittelanwendungen seien weder ärztlich gewollt noch pharmazeutisch sinnvoll.

Verbandschef Thomas Dittrich weist darauf hin, dass sich viele Arzneiformen wie Säfte und Zäpfchen, aber auch Salben oder Schmerzpflaster überhaupt nicht für eine Verblisterung eignen würden. „Es besteht die Gefahr, dass solche Darreichungsformen zugunsten verblisterter Arzneimittel ersetzt werden und damit für die Versorgung von Heimpatienten und älteren Patienten nur noch eingeschränkt zur Verfügung stehen.“

Doch selbst wenn eine Therapie ausschließlich über feste Arzneiformen möglich wäre, müssten die passenden Wirkstärken verfügbar sein. „Häufig werden jedoch vom Arzt auch halbe Tabletten verordnet“, so Dittrich. Weil es aber keine gesicherten Informationen über die Stabilität geteilter Arzneiformen in einem Blister gebe, dürften Tabletten erst kurz vor der Anwendung geteilt werden. Der Rest müsse entsorgt werden.

Auch hinsichtlich der Identifizierung von Arzneimitteln warnen Apotheker und Ärte vor Sicherheitslücken. „Insbesondere, wenn die Blister industriell hergestellt werden, kann die abgebende Apotheke wichtige Sicherheitsmerkmale auf den Originalpackungen nicht mehr wirklich kontrollieren“, gibt Kammerpräsident Friedemann Schmidt zu bedenken. „Patienten oder Heimpersonal haben keine Möglichkeit, die Herkunft der Medikation über die Originalverpackungen der Arzneimittel nachzuvollziehen, Fehler können kaum erkannt werden.“ Aus der Sicht von Schmidt schafft die Zweit- und Neuverblisterung weitere Qualitätsprobleme: „Uns liegen derzeit kaum sichere Informationen dazu vor, wie stabil die Blistermaterialien sind und wie sich gemeinsam verblisterte Arzneimittel gegenseitig beeinflussen.“

Erik Bodendieck, Präsident der Landesärztekammer, betonte: „Für den gesamten Behandlungsprozess eines Patienten ist es von großer Bedeutung, dass der behandelnde Arzt die Therapiehoheit und die Therapiefolge jederzeit in der Hand hat.“ Die Möglichkeit einer notwendigen und kurzfristigen Therapieumstellung sei bei einer Verblisterung jedoch nicht gegeben. „Es käme zu einer Therapieverzögerung, welche bei einigen Erkrankungen schwerwiegende Folgen für den Patienten nach sich ziehen könnte“, warnte Bodendieck.

Eine Verbesserung der Compliance wird aus Sicht des Arztes ebenfalls nicht erreicht. „Zur Sicherung der medizinischen Versorgungsqualität und zum Schutz des Patienten muss die Verantwortung für die Arzneimitteltherapie in den Händen des Arztes bleiben, da er die Letztverantwortung für den gesamten Behandlungsprozess trägt“, forderte Bodendieck.

Die Apotheker und Ärzte räumen zwar ein, dass die Verblisterung das Heimpersonal entlaste und damit unbestritten einen Einspareffekt erbringe. Allerdings würden dadurch Patienten und Heimpersonal hinsichtlich der Arzneimittelanwendung quasi entmündigt. „Die Zweit- und Neuverblisterung birgt – wie alle Tätigkeitsverlagerungen im Sinne eines Outsourcings – die Gefahr in sich, dass das Know-how des Umgangs mit Arzneimitteln bei den bislang Verantwortlichen verloren geht“, warnte KV-Chef Klaus Heckemann.

Gerade bei Heimpatienten, die in einem gesteigerten Maße von der Kompetenz der sie versorgenden Personen abhängig seien, sei die Schaffung einer Mittelbarkeit durch Zweit- und Neuverblisterung kontraproduktiv, so Heckemann. Kritisch hinterfragt werden müsse auch, ob der isolierte Einspareffekt im Heim durch die zusätzlich notwendigen ärztlichen und pharmazeutischen Aufwendungen aufgewogen werden könne.

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